Unser Körper besteht aus hunderten verschiedenen Zellen: Fettzellen, Muskelzellen, Blutkörperchen, unterschiedliche Nervenzellen, von allem was dabei. Diese Zellen haben ihre jeweils ganz eigene Ausrüstung – je nach Aufgabe, die sie im Körper erfüllen. Aber: Sie können auch umschwenken. Jetzt berichtet ein Forschungsteam im Fachmagazin Nature, dass es direkt im Gehirn andere Zellen in neue Nervenzellen umwandeln kann – und zwar genau in solche, die bei Parkinson-Patienten absterben und dazu führen, dass sie Bewegungen immer schlechter steuern können. Volkart Wildermuth hat sich die Arbeit angesehen.
Wie schwierig ist das, einer Zelle zu sagen: Du wirst jetzt bitte eine Nervenzelle?
Früher glaubte man, dass die Identität einer Zelle unveränderlich festgeschrieben ist. Aber in den letzten Jahren stellt sich immer mehr heraus, dass diese Identität nicht statisch ist, sondern ständig aktiv stabilisiert wird. Konkret entstehen sowohl die Hilfszellen als auch die Nervenzellen des Gehirns aus gemeinsamen Vorläufern.
Was sind das denn für Hilfszellen? Was tun die?
Konkret geht es um Astrozyten, das sind sternförmige Zellen, die die Nervenzellen mit Nährstoffen versorgen, für eine stabile Umgebung sorgen und Abfälle entsorgen. Also für die Funktion des Gehirns sind sie ganz entscheidend. Die Forschergruppe um Xiang-Dong Fu an der University of California in San Diego hat jetzt herausgefunden, dass die Identität der Hilfszellen durch einen Faktor namens PTB aufrechterhalten wird. Solange sie PTB produzieren, bleiben Hilfszellen Hilfszellen. Aber im Hintergrund liegt noch eine weitere Identität bereit, sozusagen eine schlummernde Nervenzelle. Xiang-Dong Fu will nun PTB wegfangen, um diese schlummernde Nervenidentität in den Hilfszellen aufzuwecken und so die Symptome von Parkinson zu lindern.
Einen Stoff in einer Zelle wegfangen. Wie kann das gehen?
PTB muss ständig neu produziert werden und zwar nach einer genetischen Anleitung. Diese Anleitung kann man ganz gezielt abfangen mit sogenannten Antisense Molekülen. Die Details sind kompliziert, aber der Effekt ist, dass die Hilfszellen kein PTB mehr bilden und damit kommen sie sozusagen in eine Identitätskrise. Das hat das Team in der Zellkultur ganz genau verfolgt. Im Verlauf von Wochen verändern sich die Eigenschaften der Zellen. Sie fangen an, Moleküle zu bilden, die für Nervenzellen typisch sind. Sie beginnen elektrische Signale weiterzuleiten. Ohne das PTB setzt sich der schlummernde genetische Regelkreis für die Identität Nervenzelle durch. Das ist ein sich selbst verstärkender Prozess: auch wenn PTB nur für kurze Zeit fehlt, fällt die Zelle nicht in ihre alte Identität als Hilfszelle zurück, sondern sie bleibt auf Dauer eine Nervenzelle.
Das klingt fast schon zu einfach. Man sagt der Zelle: Sei eine Nervenzelle und sie macht’s.
Das ist für Ernest Arenas vom Karolinska Insitut in Schweden, die die Arbeit in Nature kommentiert, die große Überraschung. Auch Arenas hat schon versucht, Hilfszellen in Nerven umzuwandeln. Dafür musste er gleich mehrere Gene übertragen. Jetzt scheint es dafür eine Abkürzung zu geben. Arenas sagt, er hätte versucht, die Hilfszellen zu zwingen. Jetzt gelingt es, sie sanft zu überreden.
Ist das jetzt eine Methode, mit der man Parkinson aufhalten kann?
Das ist die Hoffnung. Parkinsonkranken fehlen ganz spezifische Nervenzellen im Mittelhirn, die eben den Botenstoff Dopamin produzieren. Und genau die entstehen, wenn Xiang-Dong Fu die Umwandlung der Hilfszellen gezielt dort anregt, wo bei Parkinson die Nerven zugrunde gehen. Offenbar sind die Hilfszellen an verschiedenen Orten des Gehirns für die jeweils dort wichtigen Aufgaben vorgeprägt. Und wenn dieser Faktor PTB fehlt, dann entstehen aus ihnen die passenden Nervenzellen, also im Mittelhirn Nervenzellen, die mit Dopamin arbeiten.
Das sind jetzt Versuche in der Zellkultur gewesen. Aber kann man so einen Identitätswechsel auch im Gehirn anstoßen?
Ja, das zeigen Experimente mit Mäusen, denen die Dopaminneurone auf einer Seite des Gehirns fehlen. Deshalb bevorzugen sie deutlich die Pfoten der gegenüberliegenden Seite. Die Forscher haben die Antisense Moleküle gegen die PTB-Produktion direkt ins Mittelhirn der Mäuse gespritzt. Nach und nach wandelten sich die Hilfszellen dort in Nerven um und parallel begannen die Tiere, wieder die Pfoten auf beiden Körperseiten gleichmäßig zu verwenden. Und das, obwohl der Verlust an Dopaminneuronen nur zu etwa einem Drittel durch die umgewandelten Hilfszellen ausgeglichen wird. Die Chancen und Risiken des Verfahrens will Xiang-Dung Fu in Versuchen mit größeren Tieren ausloten, zunächst in Ratten später in Affen. Wenn alles gut verläuft, hofft er in drei bis fünf Jahren erste Studien mit Parkinsonpatienten beginnen zu können. Und Ernes Arenas verweist darauf, dass der Ansatz, Hilfszellen in Nervenzellen umzuwandeln, auch bei anderen neurodegenerativen Krankheiten hilfreich sein könnte.