Die Geschichte ist längst zu einem politischen Lehrstück geworden. Wie kann es sein, dass sich ein Thema über Wochen auf den Titelseiten der Zeitungen und in allen Nachrichtensendungen hält, obwohl es in der Sache selbst nichts wirklich Neues zu sagen gibt.
So geschieht es derzeit in Italien, wo seit Wochen darüber diskutiert wird, ob die Hilfsorganisationen im Mittelmeer mit kriminellen Schlepper-Organisationen zusammenarbeiten. Das hat der sizilianische Staatsanwalt Carmelo Zuccaro behauptet, allerdings ohne konkrete Beweise vorzulegen. Seine Vorwürfe seien "Arbeitshypothesen", so der Staatsanwalt, der sich angesichts der vielen Flüchtlinge, die Tag für Tag nach Italien kommen, Sorgen zu machen scheint:
Bringen NGOs Migranten nach Italien, um der Wirtschaft zu schaden?
"Hier sind auch andere Interessen im Spiel, die zu beachten sind. Dazu gehört meiner Meinung nach die Unmöglichkeit, Wirtschaftsmigranten in Italien aufzunehmen."
Die "Arbeitshypothesen" des Staatsanwalts haben es in sich: Es könne sein, dass manche Hilfsorganisationen Migranten nach Italien bringen, um die Wirtschaft zu schwächen. Einige NGOs seien unbefugt in afrikanischen Gewässern unterwegs, erhielten Anrufe aus Libyen, um möglicherweise die Aufnahme von Migranten zu arrangieren. Auch von ausgeschalteten Funksendern zur Verschleierung des eigenen Standortes war die Rede. Außerdem, so der Staatsanwalt, könne es sein, dass einige der Hilfsorganisationen gar von Schmugglern finanziert würden.
Von den populistischen Parteien in Italien gibt es dafür viel Applaus, vor allem von Matteo Salvini, Chef der extrem rechten Lega Nord.
Migration sei ein Milliardengeschäft
Matteo Salvini: "Da ist der Staatsanwalt Zuccaro aus Catania, der vor das große Kontrollorgan der Richterschaft geladen werden soll, weil er es gewagt hat, das zu sagen, was alle wissen, dass die Migration ein Milliardengeschäft ist. Ich hoffe wirklich, dass niemand Maßnahmen gegen diesen mutigen Staatsanwalt ergreift."
Schützenhilfe bekommt der auch von Angelino Alfano, Christdemokrat und zur Zeit italienischer Außenminister, bis vor kurzem Innenminister und damit direkt zuständig für Migrationsangelegenheiten.
"Ich gebe Staatsanwalt Zuccaro hundertprozentig Recht. Das sind Heuchler, all die, die sich jetzt auf Befehl echauffieren."
Dazu gehören auch Kabinettskollegen, wie zum Beispiel Justizminister Andrea Orlando:
"Es geht nicht darum, die These des Staatsanwalts zu unterstützen. Die Ermittlungen des Staatsanwalts müssen unterstützt werden. Und aus deren Ergebnissen können dann Schlüsse gezogen werden. Wenn Alfano meint, dass das Bild, das der Staatsanwalt zeichnet, richtig ist, fragt man sich, warum er nicht darüber gestolpert ist, als er noch Innenminister war."
Die Hintergründe versucht inzwischen auch ein Parlamentsausschuss zu ergründen, geleitet von Federico Gelli vom Partito Democratico.
"Ich traue mich mit den Informationen, die uns zur Verfügung stehen, nicht, gegen eine einzige dieser NGOs zu schießen. Wenn der Staatsanwalt Beweise hat, und wir hoffen, dass er sie hat, oder wenn er uns einen Weg weist, zu Verantwortlichen zu kommen, kann er beruhigt sein. Dann werden wir unsere Pflicht tun."
Beweise stehen aus
Als Quellen für seine Behauptungen nannte Zuccaro bei seiner gestrigen Anhörung im Senat die europäische Grenzschutzagentur Frontex und die italienische Marine. Beide haben allerdings auch noch nie entsprechende Beweise vorgelegt, obwohl Frontex die italienische Polizei ständig über alle relevanten Vorgänge informiert. Dementsprechend sauer sind inzwischen die Hilfsorganisationen. Loris de Filippi von Ärzte ohne Grenzen:
"Da wird wahllos ein Berg von Müll auf die NGOs geworfen. Das wird viele Jahre Folgen haben. Die Leute werden immer weniger an die NGOs glauben, die nicht nur für die Flüchtlinge, sondern auch für die ärmeren Italiener und für die Entwicklungsländer eine unverzichtbare Stütze sind. Es sind diejenigen, die sich für das Wohl anderer aufzehren, die versuchen, zu helfen. Momentan werden Solidarität, Mitleid und humanitäre Hilfe ins Banale gezogen. Das kann nicht akzeptiert werden."
Kritisiert werden müsste dagegen die europäische Politik, der es nicht gelinge, die wahren Fluchtursachen zu bekämpfen.