Mit breiter Brust reist Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy an diesen Tagen durch sein Land. Das spanische Wirtschaftswachstum soll in diesem Jahr nach der Brüsseler Prognose über dem von Deutschland liegen:
"Es war nicht immer leicht für unsere Wirtschaftspolitik. Aber es hat sich gelohnt. Die Europäische Union erwartet für Spanien in diesem Jahr ein Wachstum von 2,3 Prozent. Wir sind stolz darauf. Aber wir sind erst dann zufrieden, wenn alle etwas von der wirtschaftlichen Erholung haben. Wir werden nicht ruhen, bis wir das erreicht haben."
Die Rede hielt Rajoy bei der Einweihung einer neuen Fertigungsstraße von Ford in der Nähe von Valencia. 2,3 Milliarden Euro hat der Autobauer seit 2011 in Spanien investiert - während er in Belgien eine ganze Fabrik geschlossen hat. Ähnlich ist es bei Opel in Saragossa oder Renault in Valladolid:
"Ich arbeite in der Motorenfabrik. Da wurde auch schon über Schließungen nachgedacht. Jetzt gibt es neue Modelle, mehr Motoren und Getriebe. Wir verdienen jetzt ein bisschen weniger, aber wir haben Arbeit. Das ist das Wichtigste."
Das Grundgehalt bei Renault in Valladolid liegt bei nur noch 850 Euro im Monat. Das ist ein Viertel weniger als das bisherige Einkommen. Doch Werksschließungen wie in Frankreich gab es in der spanischen Automobilbranche nicht. Der langjährige Betriebsratschef Joaquín Arias sagt:
"Das ist ein Weltkonzern. Da heißt es: Meine Herren, wir haben diese Modelle und diese Stückzahl. Wer die besten Bedingungen bietet, bekommt den Auftrag. Wir stehen im Wettbewerb mit Slowenien, Rumänien, Frankreich. Sie erpressen uns."
Gute Bedingungen in Spanien
Und Spanien bietet ganz offensichtlich wieder gute Bedingungen. Die Lohnkosten sind dabei vor allem durch eine Arbeitsmarktreform gesunken, die Entlassungen erleichtert und den Unternehmen den Ausstieg aus Tarifverträgen ermöglicht hat. Manche Beobachter sehen Spanien auf dem Weg zum Billiglohnland. Angel de la Fuente von der Wirtschaftsstiftung Fedea sieht das anders:
"Kurzfristig hat man gar keine andere Chance. Als wir noch die Peseta hatten, konnten wir die Währung abwerten. So wurden wir billiger und konnten unsere Produkte im Ausland besser verkaufen. Mit dem Euro geht das nicht. Wenn wir unsere Arbeitskosten im Vergleich zu Deutschland senken wollen, geht das nur über eine Senkung der Einkommen. Langfristig müssen wir die Produktivität steigern, damit die Leute mehr verdienen können, und die Produkte gleichzeitig wettbewerbsfähig bleiben."
Es wären also auch Forschung und Entwicklung neuer Produkte wichtig für Spanien. Doch an den Hochschulen und Forschungszentren hat es einen regelrechten Kahlschlag gegeben, viele spanische Forscher sind mit ihren Projekten ins Ausland gegangen. Volkswirt De la Fuente glaubt, dass sich das noch sehr negativ auswirken wird:
"Wenn man die Wettbewerbsfähigkeit langfristig sichern will, sind Bildung und Forschung grundlegend. Aber hier hat die Regierung kaum etwas unternommen. Langfristig ist das ein Desaster. Während die Regierung sehr entschlossen den Arbeitsmarkt reformiert hat, lässt sie hier jede Strategie vermissen."
Wahlgeschenke
Es ist die letzte Debatte zur Lage der Nation in dieser Legislaturperiode. Darum werden - wie so oft - auch Wahlgeschenke verteilt: Nachdem die Steuern bereits wieder gesenkt worden sind, rechnen Parlamentsbeobachter für heute mit neuen Ankündigungen in der Sozialpolitik. Angel de la Fuente von der Stiftung Fedea meint, dass sich Spanien das eigentlich nicht leisten kann:
"Wir beobachten eine große Entspannung bei der Haushaltsdisziplin. Die Regionen versuchen nicht einmal mehr, die Defizitvorgaben zu erfüllen. Vor Wahlen vergisst man das Sparen schon mal. Die Einnahmen sind zwar gestiegen, aber das reicht nicht. Entsprechend wird das Defizitziel in diesem Jahr verfehlt."
Dem Wirtschaftswachstum stehen auf der einen Seite die nur langsam sinkende Massenarbeitslosigkeit von zuletzt 24 Prozent oder die anhaltenden Zwangsräumungen gegenüber. Erst die Parlamentswahlen Ende des Jahres werden zeigen, ob sich die Spanier von der Bilanz Rajoys überzeugen lassen.