Die türkischen Wähler in Deutschland sind offenbar sehr interessiert an der Parlamentswahl. Nach Angaben der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu haben von den rund 1,4 Millionen Türken in Deutschland bereits etwa 413.000 ihre Stimme abgegeben. Bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr waren es gerade einmal 112.000 türkische Wähler. Insgesamt sind rund 2,8 Millionen türkische Wähler im Ausland aufgerufen, sich an der Parlamentswahl zu beteiligen. Wahlberechtigt ist, wer 18 Jahre alt ist und einen türkischen Pass besitzt.
Bekommt die AKP genug Stimmen für Verfassungsänderungen?
Diese Auslandswähler können noch bis Sonntag ihre Stimme in den diplomatischen Vertretungen des jeweiligen Landes abgeben. Bisher liegt ihre Wahlbeteiligung bei insgesamt etwa 24 Prozent. Umfragen haben ergeben, dass die islamisch-konservative Regierungspartei AKP, der auch Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan angehört, in Deutschland auf mehr als 50 Prozent der Stimmen kommt. Die größte türkische Oppositionspartei, die säkulare Partei CHP, kommt demnach auf 17 Prozent, die Kurdenpartei HDP auf 14 Prozent und die rechtsgerichtete MHP auf 13 Prozent.
Dass die AKP die Parlamentswahl gewinnen wird, gilt als sicher. Spannend wird, ob die Regierungspartei auch auf genügend Abgeordnete kommt, um die Verfassung für ein Präsidialsystem ändern zu können. Die Opposition ist gegen den Plan, weil sie fürchtet, dass Präsident Erdogan dadurch seine Macht unbegrenzt ausbauen könnte. In diesem Zusammenhang kommt es insbesondere darauf an, wie die Kurdenpartei HDP abschneidet: Schafft sie den Sprung über die Zehnprozent-Hürde ins Parlament, dürfte es für die AKP nicht zur verfassungsändernden Mehrheit reichen.
Im Wahlkampf spielen Außen- und Europapolitik kaum eine Rolle - viele Versprechungen sind schwammig. Die Wahlversprechen und Ziele der vier wichtigsten Parteien:
- AKP: Die islamisch-konservative Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt (AKP) stellt seit 2002 die Regierung in der Türkei. Bei den Parlamentswahlen 2011 kam sie auf 49,8 Prozent der Stimmen. Regierungschef und Spitzenkandidat ist Ahmet Davutoglu. Die AKP will die Rolle des Präsidenten per Verfassungsänderung stärken, Unterstützung von anderen Parteien bekommt sie nicht. Zur Verfassungsänderung ist eine Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig. Den von Erdogan angestoßenen Friedensprozess mit den Kurden will die AKP weiterführen und abschließen.
- CHP: Die Republikanische Volkspartei (CHP) ist größte Oppositionspartei und erreichte bei den letzten Parlamentswahlen knapp 26 Prozent. Die Mitte-Links-Partei wurde 1923 von Republikgründer Kemal Atatürk ins Leben gerufen und tritt mit dem Wahlkampfmotto "Eine lebenswerte Türkei" an. Spitzenkandidat ist Kemal Kilicdaroglu. Die CHP verspricht höhere Renten und mehr Beschäftigung. Vor allem die Jugendarbeitslosigkeit will sie bekämpfen. Die Arbeitszeit soll auf 40 Stunden pro Woche begrenzt werden. Den Mindestlohn will die CHP von derzeit umgerechnet 321 Euro pro Monat auf rund 508 Euro erhöhen. Die CHP ist ebenfalls für eine neue Verfassung, jedoch gegen das Präsidialsystem.
- MHP: Die Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) kam 2011 auf 13 Prozent der Stimmen. Ihr Chef ist Devlet Bahceli. Die ultrarechte Partei will die Friedensgespräche mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK stoppen und ebenfalls den Mindestlohn anheben. Ihr Parteiprogramm sieht zudem Verbesserungen für Rentner und Veteranen vor. Die MHP verspricht auch billigeren Strom und staatliche Unterstützung für Gebetshäuser der alevitischen Minderheit (Cemevi).
- HDP: Die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) will sich zum ersten Mal als Partei ins türkische Parlament wählen lassen. An der Spitze stehen - wie auf allen Parteiposten - eine Frau (Figen Yüksekdag) und ein Mann (Selahattin Demirtas). Die Partei setzt sich vor allem für Minderheiten ein und will den Friedensprozess zwischen der ihr nahestehenden PKK und der Regierung vorantreiben. Obligatorischer (sunnitischer) Religionsunterricht soll abgeschafft und durch Unterricht in der eigenen Religion ersetzt werden. Die staatliche Religionsbehörde will die Partei ebenfalls abschaffen. Die HDP verspricht unter anderem kostenlose Bildung, Unterricht in der jeweiligen Muttersprache sowie eine Anhebung des Mindestlohns.
(tj/cc)