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Parlamentswahl im Iran
"Das Potenzial für Protest ist jederzeit gegeben"

Irans Bevölkerung erwarte keine wirkliche Verbesserung durch die Parlamentswahl, sagte die Iran-Expertin Azadeh Zamirirad im Dlf. "Wenn ein hardline-dominiertes Parlament zustande kommt, werden sich die politischen Räume weiter verkleinern." Dennoch oder gerade deshalb drohten dann neue Proteste.

Azadeh Zamirirad im Gespräch mit  Stephanie Rohde |
Drei Männer sitzen an einem Tisch und füllen ihre Wahlzettel aus. In der Mitte liegt ein Handy.
Im Iran wurde ein neues Parlament gewählt, rund die Hälfte der Kandidatinnen und Kandidaten durfte gar nicht erst antreten (AFP/ATTA KENARE / AFP)
Die Menschen im Iran haben ein neues Parlament gewählt. Doch, dass es sich um gar keine echte Wahl handelte, sagt selbst der iranische Präsident Hassan Rohani. Er kritisierte ganz offen, dass rund die Hälfte der Kandidatinnen und Kandidaten gar nicht erst antreten durften. Deshalb haben Aktivisten dazu aufgerufen, die Wahl zu boykottieren, unter anderem unter dem Hashtag #votenovote. Es wird eine niedrige Wahlbeteiligung erwartet. Noch werden die Stimmen ausgezählt (Stand: 22.02.2020, morgens). Wenn die Erzkonservativen, wie prognostiziert, sich im Parlament durchsetzen, wäre der moderate Präsident Rohani dann handlungsunfähig und das Atomabkommen nicht mehr zu retten?
Einschätzungen dazu von Azadeh Zamirirad. Sie ist Iran-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik und berät unter anderem die Bundesregierung.

Stephanie Rohde: Regierungsgegner wollten die Wahl boykottieren. Wird diese Wahl zum Misstrauensvotum gegen das komplette politische System?
Azadeh Zamirirad: Die islamische Republik selbst versteht sich ja eigentlich als revolutionärer Staat, der Massen mobilisieren kann, und hat auch Wahlbeteiligung immer entsprechend als eine Art Beleg für die eigene Legitimität angesehen. Wenn wir nun eine Wahlbeteiligung haben, die vielleicht deutlich unter 50 Prozent liegt das erste Mal, dann wäre das ein sehr deutliches, sehr klares Zeichen aus der Bevölkerung, dass dieses System und die Parteien, die Allianzen, die Fraktionen, die der Bevölkerung quasi vorgesetzt werden, eben nicht als legitim angesehen werden und nicht als Repräsentanten dieser Bevölkerung.
Rohde: Es gibt keine unabhängigen Beobachter. Gehen Sie davon aus, dass die Wahlbeteiligung korrekt angegeben wird?
Zamirirad: Das dürfte wahrscheinlich nicht in allen Provinzen der Fall sein. Es ist gut möglich, dass es hier und da zu Manipulationen kommt. Vermutlich muss man aber auch gar nicht so viel manipulieren. Es gibt teilweise in Teilen des Landes in verschiedenen Provinzen durchaus höhere Wahlbeteiligung. Da geht es den Leuten einfach um ihre lokalen Probleme. Die erhoffen sich dann tatsächlich vielleicht auch Besserung ihrer Lage. Das ist in größeren Städten anders. In Teheran beispielsweise, da dürfte die Wahlbeteiligung äußerst niedrig sein, vermutlich unter 30 Prozent. Das ist aber traditionell eigentlich fast immer so der Fall gewesen bei Parlamentswahlen. Also wir werden hier sehr unterschiedliche Wahlbeteiligungen in unterschiedlichen Teilen des Landes sehen. Insgesamt, denke ich, aber wird sie vermutlich doch erstmals deutlich unter 50 Prozent liegen.
"Ein Machtkampf zwischen sogenannten Reformern und Konservativen"
Rohde: Die iranische Führung hat ja immer wieder betont, der Iran sei ein demokratisches Land, man wähle demokratisch. Dieses Mal wurde aber rund die Hälfte der Kandidaten gar nicht zugelassen. Was sagt das eigentlich aus über den Zustand des Regimes, wenn es selbst den Anschein von demokratischen Wahlen gar nicht mehr aufrecht erhält?
Zamirirad: Man könnte das als Zeichen der Schwäche und Nervosität und vielleicht auch Angst deuten. Ich glaube aber eher, dass wir hier ein System sehen, das sich bestärkt fühlt, und vor allen Dingen eine politische Faktion sehen, die sich äußerst bestärkt fühlt durch die politischen Entwicklungen der letzten zwei Jahre, auch durch das Sanktionsregime und den US-Druck, die also absolut im Aufwind sind und nun merken, dass sie die Möglichkeit haben, tatsächlich eine ganze politische Faktion faktisch auszuschließen vom politischen Wettbewerb, der innerhalb bestimmter Grenzen ja noch vorhanden war. Das ist das erste Mal, dass wir das in dieser Form sehen. Es ist eher ein Zeichen dafür, dass man sich bestärkt fühlt zu sagen, okay, wir versuchen jetzt den Anlauf, das ist eigentlich nur der erste Schritt für die Präsidentschaftswahlen im Jahr darauf, und wir wollen eigentlich auf dem Weg dahin gar nicht mehr gestört werden von irgendwelchen anderen Faktionen.
Rohde: Sie meinen jetzt die Hardliner, die die Reformer oder Moderaten nicht mehr haben wollen?
Zamirirad: Ja, wir haben einen Machtkampf gehabt, der sich zentral vor allen Dingen zwischen sogenannte Reformern oder sogenannten moderaten Kräften und Konservativen abgespielt hat. Dieser Machtkampf hat sich nun nach rechts verschoben, der findet nun innerhalb des konservativen Lagers statt, also eher zwischen zentristischen traditionellen Konservativen und Hardline-Konservativen.
Rohde: Und die werden im Parlament voraussichtlich jetzt die Mehrheit haben. Was bedeutet das für den moderaten Präsidenten Rohani? Wird der an ganz kurzer Leine gehalten und kann eigentlich nichts mehr machen?
Zamirirad: Also handlungsunfähig wird er dadurch nicht, aber das Parlament hat natürlich viele Möglichkeiten, ihm das Leben schwerzumachen in der Exekutive. Das Parlament kann Minister vorladen, auch den Präsidenten selbst in bestimmten Sachfragen. Es kann auch Minister und den Präsidenten theoretisch auch absetzen. Das kann jederzeit Probleme bereiten. Es prägt auch in ganz erheblicher Weise den politischen Diskurs. Die Töne dürften schärfer werden, die Angriffe auf Rohani dürften schärfer werden. Er hat ja ohnehin nur noch anderthalb Jahre in seiner zweiten Amtszeit, kann nicht wiedergewählt werden. Also er ist ohnehin in einer deutlich geschwächten Position. Der bisherige Parlamentspräsident Laridschani, der nicht mehr antritt, war eine wichtige Spitze für ihn und auch das Atomabkommen. Auch das fällt nun weg.
"Entscheidungen werden ganz woanders getroffen"
Rohde: Was sagen sie denn zum Atomabkommen, wenn wir jetzt auf die Außenpolitik schauen? Rohani hat ja immer noch versucht, das zu retten gegen die Hardliner, die da ganz doll Stimmung gemacht haben. Ist das Atomabkommen jetzt vor dem Aus?
Zamirirad: Das kommt ganz darauf an, welcher Teil des konservativen Spektrums tatsächlich hier Oberhand gewinnt. Das ist ja gar nicht gesagt, dass das nur die radikalsten Hardlinekräfte, beispielsweise aus der sogenannten Stabilitätsfront, sind. Es sieht ja im Moment eher so aus, als könnte es vor allen Dingen der Koalitionsrat der Kräfte der islamischen Revolution sein. Das ist also eine Gruppe um den ehemaligen Bürgermeister Ghalibaf, der selbst 2015 die Atomvereinbarung zumindest mit unterstützt hat, ist zwar ein ausgesprochener Kritiker von Rohani und der Annäherungspolitik, wenn man so will, gegenüber dem Westen, aber hier gibt es durchaus noch unterschiedliche Töne. Also es ist durchaus denkbar, auch unter einem konservativen Parlament Unterstützung für das Abkommen zu erhalten, und letztlich, das Parlament entscheidet nicht über solche sicherheitspolitischen, außenpolitischen Fragen. Diese Entscheidungen werden ganz woanders getroffen.
Rohde: Schauen wir auf die wirtschaftliche Lage auch wegen neuer Sanktionen der USA, geht es den Iranern dramatisch schlecht. Preise für Brot und Gemüse zum Beispiel haben sich fast verdoppelt. Die Inflation ist horrend. Was wollen denn die gewählten Konservativen und Hardliner dann möglicherweise im Parlament tun, um das in den Griff zu kriegen?
Zamirirad: Ich denke, viele in der Bevölkerung erwarten eigentlich gar nicht, dass hier furchtbar viel passiert. Das Problem, was wir haben, ist ja nicht nur durch Sanktionen gemacht, sondern vielfach hausgemacht durch massives Missmanagement und weit verbreitete Korruption. Auch Teile dieser politischen Eliten sind ja hochgradig korrupt. Das heißt, hier erwartet man eigentlich nicht große Verbesserung. Man wird wahrscheinlich versuchen, populistisch hier und da zu sehen, dass es direkte Cash-Handouts gibt, dass man also versucht, sozusagen direkte Transferleistungen zu erhöhen, um Teile der Bevölkerung wieder einzufangen. Das bedeutet aber auch, dass ein größerer Teil der Bevölkerung wieder noch abhängiger wird von dieser Art von Staatsstrukturen. Also das ist alles ein Teufelskreis dort. Fundamentale, wirklich radikale Änderungen in der Wirtschaftspolitik sind eigentlich nicht zu erwarten.
"Das wird auch für Protestierende nicht leichter"
Rohde: Was müsste denn getan werden?
Zamirirad: Na ja, zum einen müsste ganz radikal eine Antikorruptionskampagne gefahren werden, das ist schwer genug. Dann müssten eigentlich auch die Befugnisse von bestimmten nichtverantwortlichen Akteuren in der Wirtschaftssphäre eingeschränkt werden. Das betrifft vor allen Dingen die Rolle von politischen Stiftungen, aber auch der sogenannten Revolutionsgarden. Das sind also paramilitärische Einheiten, die aber ganz massiv eine wesentliche Rolle im Wirtschaftsapparat einnehmen und damit eigentlich keine Privatwirtschaft oder wirklich einen Wettbewerb zulassen. Man müsste hier ganz radikal an dieser Machtbasis dieser Akteure rangehen.
Rohde: Und was würden Sie sagen, kann es neue Proteste geben? Das wurde ja angedeutet, dass das jetzt im Zuge der Parlamentswahl passiert.
Zamirirad: Ich denke, die Gefahr oder sozusagen das Potenzial für Protest ist jederzeit gegeben, also gerade auch dann, wenn Massen auf die Straße kommen. Proteste sind ohnehin mittlerweile, denke ich, etwas, was fundamental zu dem Alltag dieser islamischen Republik gehört und gehören wird. Wir werden immer wieder diese Art von Proteste erleben. Also der Druck auch von unten nimmt massiv zu. Es ist aber nun mal so, und darauf deuten auch die Parlamentswahlen, dass die nächsten Jahre sehr schwierig werden für die Bevölkerung, wenn wir nun ein hardline-dominiertes Parlament haben, werden sich auch die politischen Räume innen weiter sozusagen beschränken und verkleinern. Das wird auch für Protestierende nicht leichter werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.