Donnerstagabend, kurz vor acht, auf dem Mutter-Teresa-Platz im Stadtzentrum von Tirana: Tausende von Anhängern der sozialistischen Partei PS sind gekommen, ein Fahnenmeer in Schwarz und Rot, der Doppeladler auf rotem Grund, aus gewaltigen Soundboxen wird der Menge eingeheizt.
Zu Fuß, begleitet von Bodyguards kommt Edi Rama, der Ministerpräsident und Parteichef der Sozialisten, seit vier Jahren Regierungschef, zuvor über zehn Jahre lang Bürgermeister der Hauptstadt. Jeder sieht ihn, den groß gewachsenen Mann mit dem kahlrasierten Kopf und grauem Drei-Tage-Bart. Er schreitet in offenem weißen Hemd und Jeans zur Bühne auf die Mitte des Platzes, heiser vom intensiven Wahlkampf bei oftmals 35 Grad im Land.
Abspulen von Verdiensten
Routiniert spult der amtierende Ministerpräsident, der Umfragen zufolge mit einem weiteren Mandat rechnen kann, seine Verdienste herunter: Steuererleichterung für kleine Familienbetriebe, besser ausgebildete Streifenpolizisten, mehr Ruhe und Ordnung auf den Straßen. Bei seinen Anhängern verfängt diese Bilanz:
"Die Wirtschaft hat sich verbessert. Es ist jetzt besser, als bevor Edi Rama an die Macht gekommen ist. Ich bin sicher, dass es einen Trend von vorne gibt, und ich hoffe, dass in den kommenden Jahren sich die Wirtschaft verbessern wird."
"Wir kennen ihn. Er ist gerecht, er ist fleißig, und arbeitet. Wir hoffen, dass er den Staat voranbringt, und wir sind auch religiös, deshalb hoffen wir, dass Gott ihm auch hilft."
Schwache Regierung, schwache Opposition
Zwei große Parteien ringen um die Macht im nächsten Parlament von Tirana: Die Sozialistische Partei PS unter Regierungschef Rama und die eher konservative Demokratische Partei DS unter Herausforderer Lulzim Basha, einem 43-jährigen Juristen.
Basha habe sich politisch verzockt, meinen albanische Analysten. Denn drei Monate lang, von Februar bis Mai dieses Jahres, hatte Basha und seinen Parteianhängern das Parlament boykottiert, vor dem Amtssitz des Ministerpräsidenten Protestzelte aufschlagen lassen – mitten auf dem Hauptkapitale, die deswegen ein Vierteljahr für den dichten Hauptstadtverkehr Tiranas gesperrt werden musste – und weshalb? Basha glaubte, dass sein Konkurrent mit seinem Beamtenapparat die Wahlen manipulieren würde. Professor Afrim Krasniqi, Politologe an der Universität Tirana:
"Die Regierung hat nicht so viel Erfolg gehabt, weil wir in Albanien leben und sehen die Bilanz, aber zum ersten Mal: Die Opposition ist schwach und ist nicht Konkurrent. Und deshalb hat die Regierung profitiert."
"Wir erwarten auch nicht viel"
Es überwiege die Enttäuschung über die mangelnden Fortschritte im Alltagsleben, wie Demoskopen die vorherrschende Stimmung vor den Wahlen am Sonntag beschreiben. Auch bei jungen Leuten ist dies anzutreffen. Sie sei noch nicht 18, sagt diese Schülerin. Aber: "Ich glaube, dass wenn wir am Montag hören werden, dass es eine Fortsetzung gibt, dass dieser Ministerpräsident weitermachen wird, dann wir erwarten auch nicht viel, weil sich nicht viel ändern wird. Das Leben wird normal weitergehen."
Ungeachtet dessen zeigen sich der Regierungschef Edi Rama und seine Sozialisten siegesgewiss. Nach seiner von Tausenden von Angängern bejubelten Rede steigen – vermutlich noch nicht einmal voreilig – Feuerwerksraketen in den sommerlich warmen Junihimmel der Hauptstadt.