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Parlamentswahl in der Türkei
AKP fordert Verfassungsänderung

Die islamisch-konservative Partei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan hat bei der Parlamentswahl in der Türkei die absolute Mehrheit zurückerobert. Jetzt wird Erdogans schon länger gewünschte Verfassungsänderung wieder ein Thema, er will eine Präsidialherrschaft. Doch dafür reicht die Mehrheit der AKP nicht.

    AKP-Anhänger am Sonntag in Istanbul.
    AKP-Anhänger am Sonntag in Istanbul. (dpa / picture-alliance / Cem Turkel)
    Für die Verfassungsänderung ist die AKP aber auf die anderen Parteien angewiesen, weil es dazu einer Zweidrittel-Mehrheit bedarf. Erdogan strebt eine politische Aufwertung des Präsidentenamtes hin zu einer Präsidialherrschaft an. "Ich rufe alle Parteien, die in das Parlament einziehen auf, sich auf eine neue zivile nationale Verfassung zu verständigen", sagte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu. Er kündigte an, die Rechte aller Bürger und die Meinungs- und Glaubensfreiheit zu schützen.
    Erdogans Kalkül geht auf
    "Das Wahlergebnis hat gezeigt, dass sich die Leute für die Stabilität und das Vertrauen entschieden haben, die bei der Abstimmung am 7. Juni gefährdet waren", sagte Präsident Erdogan. Damals war Erdogans AKP nach der Parlamentswahl eigentlich zu einer Koalition und Kompromissen gezwungen - das scheiterte, Erdogan bezeichnete das Ergebnis als "Fehler". Die Neuwahl am Sonntag brachte nun ein für die AKP besseres Ergebnis und die absolute Mehrheit der Mandate. Und so gibt es einige Stimmen, die Erdogan vorwerfen, dass ihm nie an einem Regierungsbündnis gelegen gewesen sei und er von vornherein auf eine Rückkehr zu den alten Machtverhältnissen setzte. Letzteres Kalkül ging auf. Die türkische Gesellschaft gilt seit dem aggressiven Wahlkampf als gespalten.
    Auf die AKP entfielen mehr als 49 Prozent der Stimmen und damit entgegen der Prognosen fast neun Prozent mehr als im Juni, womit die Partei mit 316 der insgesamt 550 Sitze im Parlament rechnen kann, wie der Staatssender TRT am Sonntagabend nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen meldete. Der Stimmenzuwachs der AKP ging offenbar auf Kosten der prokurdischen HDP und der nationalistischen MHP, die Millionen Stimmen an die AKP verloren. Die AKP hatte die ihr ideologisch oft nahestehenden MHP-Wähler massiv umworben. Die säkuläre Oppositionspartei CHP verharrte ähnlich im Juni bei rund 25 Prozent. Zur Wahl aufgerufen waren rund 54 Millionen Türken, die Beteiligung lag bei rund 87 Prozent.
    Nach Einschätzung des Europapolitikers Reinhard Bütikofer (Grüne) sollte das Wahlergebnis in der Türkei von der EU sorgfältig unter die Lupe genommen werden. "Man wird genau hingucken müssen, inwieweit das in seinen Dimensionen doch überraschende Ergebnis einfach das Ergebnis einer Fehlprognose aller dortigen Demoskopen gewesen ist oder möglicherweise auch das Ergebnis von Manipulationen", sagte der Politiker am Sonntagabend der Deutschen Presse-Agentur.
    Ausschreitungen in kurdisch geprägter Stadt
    In seiner Dankesrede sprach Ministerpräsident Davutoglu auch vage von einer Belebung des Friedensprozesses mit den Kurden. Zugleich sei die Türkei aber entschlossen, die als Terroristen betrachteten kurdischen Rebellen zu bekämpfen. Selahattin Demirtas, der Chef der prokurdischen HDP beklagte die Umstände der Wahl. Er sagte, dass seine Partei nicht in der Lage gewesen sei, einen Wahlkampf zu führen. Dennoch schaffte es auch die HDP wieder, die erforderlichen zehn Prozent für einen Einzug in das Parlament zu erzielen.
    In Diyarbakir kam es zu Zusammenstößen zwischen Kurden und der Polizei.
    In Diyarbakir kam es zu Zusammenstößen zwischen Kurden und der Polizei. (dpa / picture-alliance)
    Die Nachricht vom Wahlerfolg der AKP löste in der vorwiegend von Kurden bewohnten Stadt Diyarbakir im Südosten des Landes erste wütende Reaktionen und vereinzelte Zusammenstöße mit der Polizei aus. Dabei wurde nach Angaben der privaten Nachrichtenagentur Dogan ein Jugendlicher verletzt und in ein Krankenhaus gefahren. Seit dem Urnengang im Sommer ist die Türkei von Gewalt erschüttert worden. Nach einem tödlichen Terroranschlag auf eine kurdische Versammlung im Grenzort Suruc im Juli brach der Friedensprozess zwischen der Türkei und der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK ab. Seitdem geht die Türkei militärisch gegen Kurden vor, auch im Irak und in Syrien. Auf kurdischer Seite wurden mehrfach Anschläge verübt.
    (nch/dk)