Archiv

Parlamentswahl
In Estland siegen die Liberalkonservativen

Nur gut 23 Prozent: Die Wähler in Estland haben die bisher regierende linksliberale Zentrumspartei auf den zweiten Platz verwiesen. Die konservative Reformpartei wird mit knapp 29 Prozent stärkste Kraft. Als Sieger fühlen sich auch die Rechtsnationalen von Ekre. Sie haben ihren Anteil verdoppelt.

Von Florian Kellermann | 04.03.2019
Eine Frau mit einem Kind auf dem Arm wirft in Tallinn ihren Wahlzettel in eine Urne.
Die Esten haben gestern für einen Regierungswechsel gestimmt (dpa / AP / Raul Mee)
Die künftige estnische Ministerpräsidentin wird aller Voraussicht nach Kaja Kallas heißen. Ihre Reformpartei hat vier Sitze hinzugewonnen und wird die stärkste Kraft im neuen Parlament. Und die 41-jährige Parteivorsitzende Kallas hat außerdem auch als Kandidatin das mit Abstand beste Ergebnis unter allen Politikern eingefahren. Für sie stimmten mehr als doppelt so viele Menschen wie für den amtierenden Regierungschef Jüri Ratas von der Zentrumspartei.
Der gestand noch am Abend seine Niederlage ein: "Liebe Freunde, ich habe Kaja Kallas schon eine Nachricht geschickt. Ich habe ihr und der Reformpartei zum Sieg gratuliert. Und so ist es in Estland: Wer die Wahl gewinnt, der muss auch die Regierung bilden."
Koalition mit allen, außer den Rechtsnationalen
Die Wahlsiegerin ließ sich von ihren Anhängern feiern. Sie werde nun Koalitionsverhandlungen beginnen, so Kaja Kallas. Alle Parteien kämen hier in Frage - mit Ausnahme der rechtsnationalen Partei "Ekre".
Der Europaabgeordnete der Reformpartei Urmas Paet führte aus: "Viele Leute waren nicht glücklich über die Politik der Regierung, zum Beispiel über deren Steuerpolitik. Deshalb haben wir gewonnen. Viele haben uns aber auch gewählt, weil wir bestimmte Werte vertreten. Viele machen sich Sorgen um die Zukunft unseres Lands, wenn sie sehen, dass Ekre immer stärker wird. Sie wollen, dass wir ein offenes Land bleiben und ein Mitglied der Europäischen Union."
Die Reformpartei hatte die Politik in Estland über viele Jahre geprägt. Sie ist deutlich wirtschaftsliberal ausgerichtet. Außerdem zeigt sie eine harte Haltung gegenüber der russischen Minderheit, die knapp ein Viertel der Bevölkerung ausmacht. Die Partei möchte, dass der Schulunterricht in allen Schulen nach und nach ausschließlich auf Estnisch abgehalten wird.
Erst vor etwas über zwei Jahren hatte die Reformpartei die Regierung abgeben müssen, nach einem Misstrauensvotum im Parlament. Danach sorgte die Zentrumspartei mit einer vorsichtigen Steuerreform dafür, dass Geringverdiener prozentual weniger Steuern zahlen müssen. Außerdem hob ihre Regierung die Alkoholsteuer deutlich an.
Ekre: "Die jungen Leute sind es, die uns gewählt haben"
Zweiter Wahlsieger in Estland ist die rechtsnationale Partei Ekre. Sie kam auf den dritten Platz. Mit knapp 18 Prozent hat sie ihren Stimmenanteil mehr als verdoppelt.
Der Ekre-Abgeordneter Peeter Ernits zeigte sich erfreut: "Wir sind die populärste Partei unter den jungen Leuten. Nur deshalb haben wir auch unter den Stimmen, die im Internet abgegeben wurden, so gut abgeschnitten. Die jungen Leute sind es, die uns da gewählt haben."
"Ekre" stellt sich gegen das Gesetz, das eine eingetragene Partnerschaft auch für gleichgeschlechtliche Paare erlaubt. Außerdem macht die Partei Stimmung gegen Immigranten. Sie kritisierte die Regierung dafür, dass diese sich bereit erklärt hatte, einige Hundert Flüchtlinge aus dem Nahen Osten aufzunehmen. Der Parteivorsitzende Mart Helme geißelt auch immer wieder in die Europäische Union, vor einer Woche sprach er von einer "Euro-Diktatur". Einen Austritt aus der EU strebt "Ekre" aber offiziell nicht an.
Als wahrscheinlichste Koalition gilt nun ein Bündnis der Reformpartei mit zwei kleineren Formationen: den Sozialdemokraten und der rechtskonservativen Partei "Pro Patria". Beide waren bisher bereits Koalitionspartner der Zentrumspartei.