Nachdem man einen Erdrutschsieg von May erwartet habe, sie selber und ihr Umfeld auch, werde auch ein knapper Sieg als Niederlage und Schwächung gedeutet, sagte der Historiker, der das akademische Jahr als Gerda-Henkel-Gastprofessor an der London School of Economics verbringt.
Fixierung auf Brexit funktioniert nicht
Die Prognose, die alle noch vor wenigen Wochen gehabt hätten, sei nach den jüngsten Terroranschlägen in Großbritannien verschwunden: Dass es eine riesengroße Mehrheit für die Konservativen geben werde. "Das hängt nicht nur mit dem Terroranschlag zusammen, sondern mit einem seltsamen Wahlkampf, mit Fehlern, die May persönlich gemacht hat, aber auch mit einem erstaunlich wiederbelebten Gegenpart, nämlich der Labourpartei unter Jeremy Corbyn." Der Schlachtplan der Tories sei gewesen, das Thema Brexit im Zentrum des Wahlkampfs zu halten und das habe überhaupt nicht funktioniert. Die Briten interessierten auch andere Themen.
Labours Themen ziehen stärker als erwartet
Das Lager von Mays Herausforderer, Labour-Chef Jeremy Corbyn, habe dagegen geschicktes Erwartungsmanagement betrieben. "Vor kurzem hätte man noch gesagt, das ist unmöglich, dass Corbyn gewählt wird, jetzt ist es nur noch unwahrscheinlich aber nicht mehr vollkommen ausgeschlossen." Diese geringen Vorerwartungen würden Corbyn jetzt helfen. Er schlage sich besser im Wahlkampf als viele auch aus den eigenen Reihen das erwartet hätten. "Labours Themen ziehen viel stärker als die Tories das geglaubt haben", so Geppert. "Soziale Gerechtigkeit, Schulen, Krankenhäuser, öffentliche Verwaltung, die Kritik an der Sparpolitik der Konservativen, nicht nur unter May, das ist viel stärker auf Resonanz gestoßen als die Strategen der konservativen Partei das für möglich und wahrscheinlich gehalten haben." Die Tories merkten nun mit Schrecken, dass auch radikale, marxistisch inspirierte Politikideen viel weniger als verrückt erachtet würden von den Briten als angenommen.
Hinzu käme so etwas wie der "Bernie Sanders"-Effekt": "Ein glaubwürdiger Anti-Establishment-Typ, der alt und kauzig ist und der irgendwie zum Held der rebellischen Jugend wird." Das spiele auch eine Rolle. "Aber Stand heute: Das ist nicht der wahrscheinliche nächste Premierminister."