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Parlamentswahl in Großbritannien
David gegen Goliath in Boris Johnsons Wahlkreis

Uxbridge im Westen Londons ist nicht irgendein Wahlkreis. Es ist der Wahlkreis von Premier Boris Johnson, der sich jedoch nur selten hier blicken lässt. Ein Labour-Kandidat versucht nun, den Premier ausgerechnet in seinem Wahlheimatkreis zu schlagen. Und es könnte tatsächlich knapp werden.

Von Jörg Münchenberg |
Der britische Premierminister Boris Johnson stellt das neue Wahlprogramm seiner Partei vor.
Im Wahlkampf lässt sich Premierminister Boris Johnson kaum in seinem Wahlkreis Uxbridge & South Ruislip blicken (AFP)
Draußen vor der kleinen Baptistenkirche herrscht gute Stimmung. Ein paar Aktivisten haben sich eingefunden. Um vor dem "hustings", wie die traditionellen Podiumsdiskussionen mit den Kandidaten genannt werden, die Chance zu nutzen, gegen den Brexit zu trommeln.
"Unser Protest hier ist 'pro EU'. Aber wir sind nicht für eine bestimmte Partei. Wir werben für taktisches Wählen in Großbritannien. Also hier könnte es Labour sein, in anderen Wahlkreisen Liberaldemokraten oder Grüne. Unser Ziel: wir wollen den Brexit stoppen und ein zweites Referendum erreichen", erklärt Paolo, der hier ein Lebensmittelgeschäft betreibt.
Uxbridge ist nicht irgendein Wahlkreis im Westen Londons. Es ist der Wahlkreis von Premier Boris Johnson, der sich jedoch nur selten hier blicken lässt. Ein paar Reden hier, ein paar Handshakes da. Das soll reichen, schließlich wählt die Region seit Jahrzehnten konservativ.
Auch heute Abend schwänzt Johnson die Podiumsdiskussion, trotz mehrfacher Einladung durch Pastor Rich Blake Lobb, der die gut 40 Interessierten im schmucklosen Gemeindesaal begrüßt:
Kaum jemand hat ernsthaft damit gerechnet, dass sich Johnson dem Publikum stellen würde. Doch die vom Pastor verlesene Grußbotschaft von Johnson - Tenor: er kenne angesichts der vielen Wahlkampfauftritte die Probleme der Menschen vor Ort - löst beim Publikum nur Gelächter aus.
Herausforderer wittert eine Chance
Eine Steilvorlage für den Labour-Herausforderer Ali Milani. Gerade mal 25 Jahre alt, als Kind aus dem Iran nach London gekommen und in Uxbrige aufgewachsen. Von der Statur her eher bullig und im Tonfall nicht unbedingt zuvorkommend:
"Wir sind hier im Wahlkreis von Boris Johnson. Und diese lokalen Podiumsdiskussionen sind ein Stützpfeiler der Demokratie. Und Boris Johnson kommt nicht mal vorbei. Das sagt alles darüber aus, wie Johnson diesem Wahlkreis gegenübersteht".
Milani wittert eine Chance, auch wenn es anmutet wie der Kampf David gegen Goliath. Melani ist klarer Außenseiter. Aber bei den Parlamentswahlen 2017 gewann Johnson den Wahlbezirk Uxbridge und South Ruislip mit einem Vorsprung von nur 5.000 Stimmen. Und das bei einem Wahlsystem, bei dem schlicht der gewinnt, der die meisten Stimmen bekommt.
 November 3, 2019, London, London, UK: London, UK. Ali Milani, the Labour Party General Election candidate is canvassing with supporters in Uxbridge & South Ruislip at the start of his campaign. He hopes to defeat British Prime Minister Boris Johnson who is MP for the constituency. London UK PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY - ZUMAl94 20191103zafl94074 Copyright: xRayxTangx
Der Herausforderer: Ali Milani, Labour-Kandidat (r.) (imago images / ZUMA Press)
Es wäre mehr als nur eine peinliche Niederlage, sollte Johnson tatsächlich sein Mandat in Uxbridge verlieren. Schon gab es Spekulationen, er könne dann sein Amt als Premier überhaupt nicht antreten oder müsse zunächst ins britische Oberhaus ausweichen.
Inzwischen gehen Beobachter jedoch davon aus, dass er - einen Wahlsieg der Tories vorausgesetzt - trotzdem Premier werden könnte. Dennoch, der politische Schaden bei einem Wahlkreisverlust wäre kaum zu ermessen. Doch auch Milani muss um Zustimmung kämpfen, das wird selbst an diesem Abend mit einem vorwiegend Labour-freundlichen Publikum in der Baptist Church deutlich.
Geschockt über die Abwesenheit von Boris Johnson
"Das Problem, dass ich mit Labour habe, obwohl sie viel mehr Geld investieren wollen als die Konservativen - ich will einen guten Spitzenkandidaten haben und Jeremy Corbyn ist nicht ein guter Spitzenkandidat. Es tut mir leid, es geht auch um Glaubwürdigkeit. Es geht eben nicht nur um das Geld alleine", sagt Richard, ein Lehrer an der hiesigen Schule, der eigentlich immer für Labour gestimmt hat. Jetzt aber haben viele Stammwähler ein großes Problem mit Corbyn, der mit seinen radikalen Plänen viele verunsichert. Von den Antisemitismus-Vorwürfen gegen Labour und die Parteispitze ganz zu schweigen.
Aber Milani hat noch ein anderes Problem - das sitzt direkt neben ihm auf dem Podium. Ein unabhängiger Kandidat, verkleidet als Weltraumroboter, den Kopf verborgen unter einem riesigen silberfarbenen Pappmache-Mülleimer:
"Das britische Volk wurde gefragt, dass britische Volk muss erneut gefragt werden. Ich schlage vor, es muss ein neues Referendum geben, ob es ein neues Referendum geben soll", fordert Count Binface, wie er sich selbst nennt. Einer der vielen Spaßkandidaten, die in Großbritannien traditionell zu den Wahlen antreten. Am Ende aber könnten es genau die paar hundert Stimmen sein, die Milani zu einem historischen Wahlsieg in Uxbride fehlen. Weshalb er mit säuerlicher Miene die Ausführungen von Count Binface über sich ergehen lässt.
"David" gegen "Goliath"
Doch zumindest an diesem Abend sieht es gut aus - viele im Publikum werden Labour wählen. Larina etwa sagt, das Ganze sei sehr hilfreich gewesen. Sie sei aber geschockt über die Abwesenheit von Boris Johnson, der nicht mit den Leuten reden wolle. Und auch David erklärt, er wird Labour wählen, das sei das einzige Gegenmittel für den Klassenkampf gegen die arbeitende Bevölkerung durch die Sparpolitik, auch wenn Labour natürlich nicht perfekt sei.
Ob aus Sicht von Labour genügend Menschen in Uxbridge und South Ruislip so denken, wird sich übermorgen erweisen. Ob es "David" Ali Milani tatsächlich gelingen wird, "Goliath" Boris Johnson zu schlagen.