Kirill Jermakow kommt aus der Kirche. Er trägt einen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd, einen ordentlichen Seitenscheitel und einen trendig gestutzten Vollbart. Jermakow ist Universitätsangestellter, 31 Jahre alt, Familienvater und Mitglied der Regierungspartei Einiges Russland. Die Parteizentrale hat ihn für ein Interview empfohlen.
"Ich bin vor zwei Jahren bei Einiges Russland eingetreten, weil ich gesehen habe, dass ihre Mitglieder konkrete Projekte umsetzen. Zum Beispiel bauen sie gemeinsam mit den Universitäten Schwimmbäder. Ich wollte da mitmachen."
Zurzeit hilft Jermakow einem Moskauer Kandidaten und Parteikollegen beim Wahlkampf, nimmt Klagen von Anwohnern entgegen.
"Gestern wurde ich um halb zwölf am Abend angerufen. Von Leuten, in deren Haus eine Shisha-Bar eröffnet wurde. Der Rauch und der Lärm stören die Nachbarn. Wir werden gemeinsam mit den Anwohnern dagegen kämpfen."
Putin selbst ist offiziell kein Mitglied
Die Partei präsentiert sich als Problemlöser. Mit dem Programm habe er sich nie befasst, meint Jermakow. Aber eine andere Partei als diese wäre für ihn nicht in Frage gekommen.
"Ich will der Gesellschaft nützen. Dazu brauche ich ein Instrument, und das ist Einiges Russland, die Regierungspartei, die Partei des Präsidenten. Da gibt es nichts zu verbergen."
Der Präsident Russlands, Wladimir Putin, ist offiziell gar nicht Mitglied bei Einiges Russland. Parteivorsitzender ist Premierminister Dmitrij Medwedew. Er hat in letzter Zeit viele potenzielle Wähler verprellt. Als er kürzlich öffentlich auf die niedrigen Gehälter russischer Lehrer angesprochen wurde, sagte er, Lehrer sei man aus Berufung. Die Umfragewerte von Einiges Russland sanken. Putins Beliebtheit hingegen liegt stabil bei rund 80 Prozent. Letzte Woche sprang er der Partei bei, empfing Vertreter von Einiges Russland im Kreml.
"Der Wahlkampf geht zu Ende. Er heißt Wahlkampf, weil der Wähler im Zentrum steht. Nicht die, die gewählt werden, sondern die, die wählen. Diesen Leuten muss unsere Aufmerksamkeit gelten, im Wahlkampf, aber besonders danach."
"Partei der Gauner und Diebe"
Der Oppositionspolitiker und Antikorruptionsaktivist Aleksej Nawalnyj prägte vor der letzten Duma-Wahl 2011 den Begriff "Partei der Gauner und Diebe" für Einiges Russland. In den letzten Jahren wurden zahlreiche hochrangige Parteimitglieder der Korruption überführt und verhaftet, darunter zum Beispiel der mittlerweile entlassene Gouverneur der Teilrepublik Komi in Nordrussland. Er soll sogar ein Netz von Kriminellen angeführt haben. Oder der Ex-Gouverneur von Sachalin im Fernen Osten, der angeklagt ist, Millionen an Schmiergeld kassiert zu haben. Vor zwei Wochen, mitten im Wahlkampf, hat ein Mitstreiter Nawalnys, der Oppositionspolitiker Ilja Jaschin, einen Bericht über Einiges Russland vorgestellt. Darin hat er die kriminellen Machenschaften diverser Parteimitglieder aufgelistet. Jaschin vor der Presse in Moskau:
"In den 90er Jahren trug der typische russische Kriminelle ein himbeerfarbenes Sakko und Goldkettchen. Heute ist er Abgeordneter, Gouverneur oder Minister, trägt einen teuren Anzug, ein Parteiabzeichen, bedient sich patriotischer Rhetorik und hat ein Putin-Porträt im Büro. Einiges Russland hat eine riesige Zahl von Kriminellen an die Macht gebracht. Es geht dabei nicht um Einzelfälle, sondern um ein System."
Die Führung von Einiges Russland hingegen spricht von Einzelfällen und von schwarzen Schafen, gegen die man vorgehe. Jaschins Bericht hat sie ignoriert. Jungmitglied Jermakow presst die Lippen zusammen und schüttelt den Kopf.
"Die Partei Einiges Russland erneuert ihre Reihen. Ich weiß das, denn ich zähle dazu."
Dass Einiges Russland am Sonntag erneut stärkste Partei in der Duma wird, steht außer Frage. Jüngste Umfragen sehen sie bei 41 Prozent.