Der Berichterstatter des Europäischen Parlaments, David McAllister, hat den Wiedereinzug der Ultranationalisten ins serbische Parlament bedauert. "Die Radikalen um den Politiker Seselj vertreten unmögliche Positionen", sagte McAllister im Deutschlandfunk. Im Vergleich zu anderen EU-Staaten sei es aber im Rahmen geblieben. Seselj selbst habe mit einem besseren Ergebnis gerechnet.
McAllister betonte, 85 Prozent der Serben hätten sich bei der vorgezogenen Parlamentswahl für einen proeuropäischen Kurs entschieden. Ministerpräsident Aleksandar Vucic von der Fortschrittspartei habe nun ein klares Mandat für vier Jahre, um seine Reformpolitik fortzusetzen. Das Parlament müsse nun Schritt für Schritt die Reformen umsetzen. McAllister geht davon aus, dass die EU-Beitrittsverhandlungen noch mehrere Jahre dauern werden. Brüssel werde diesen Prozess unterstützen. Ein stabiles Serbien sei auch im Interesse von Europa.
Das Interview in voller Länge:
Mario Dobovisek: Serbien hat gewählt in vorgezogenen Neuwahlen. Haushoch gewonnen hat der amtierende Regierungschef Alexander Vucic, der das Land in die EU führen möchte. Aber - und das Aber muss unterstrichen werden - radikale Parteien wie die Nationalisten rund um den ehemaligen Freischärler Seselj haben kräftig zugelegt, ziehen ins Parlament ein.
In Serbiens Hauptstadt, in Belgrad begrüße ich Niedersachsens früheren Ministerpräsidenten David McAllister. Er ist Berichterstatter des Europaparlaments für Serbien und dessen EU-Beitrittsverhandlungen. Guten Morgen, Herr McAllister!
David McAllister: Guten Morgen aus Belgrad.
Dobovisek: Premier Vucic hat sich von den selbst angestoßenen Neuwahlen Schwung und Stabilität für seinen Annäherungskurs an die EU erhofft. Jetzt legen die EU-Kritiker, die Nationalisten, die Radikalen deutlich zu. Hat er sich dann doch irgendwie verspekuliert?
McAllister: Das war gestern schon ein beeindruckender Wahlsieg für Ministerpräsident Vucic und seine Fortschrittspartei. Er hat jetzt ein klares Mandat für vier Jahre, seine Reformpolitik fortzusetzen, und das ist ein ganz klares Votum der Menschen in Serbien. Es ist bedauerlich, dass die Rechtsradikalen zugelegt haben. Das ist ein europaweiter Trend, den wir jetzt leider auch in Serbien sehen. Auf der anderen Seite haben wir gerade im Bericht ja selbst gehört, dass Seselj enttäuscht war, denn sie haben mit mehr gerechnet. Es ist letztlich im Vergleich zu anderen EU-Staaten im Rahmen geblieben. Aber unbestritten ist, dass die Nationalisten, die Radikalen um Seselj unmögliche Positionen vertreten.
Dobovisek: Und sie ziehen ins Parlament in Belgrad wieder ein. Was bedeutet dieses, nennen wir es, Comeback für die Beitrittsverhandlungen mit der EU?
McAllister: 85 Prozent der Serben haben gestern Parteien gewählt, die einen klar proeuropäischen Kurs verfolgen. Das gilt ja nicht nur für die Fortschrittspartei; das gilt auch für die Sozialisten unter Außenminister Dacic, aber auch für einige Oppositionsparteien wie beispielsweise die Sozialdemokraten. Gestern Abend gab es eine ganz klare Bestätigung des proeuropäischen Kurses der serbischen Regierung und des serbischen Parlaments, und das ist eine gute Nachricht.
"Ein langer, nicht einfacher Weg in Richtung EU"
Dobovisek: Wieweit ist Serbien aus Ihrer Sicht - Sie sind Berichterstatter für die Beitrittsverhandlungen - von einem EU-Beitritt entfernt?
McAllister: Serbien hat sich auf einen langen, nicht einfachen Weg in Richtung Europäische Union gemacht. Wann die Serben soweit sein werden, tatsächlich der Europäischen Union beizutreten, liegt ganz maßgeblich bei ihnen selber. Sie haben sich auf den Weg gemacht. Letztes Jahr vor Weihnachten sind die ersten beiden Beitrittskapitel eröffnet worden. Ich würde es begrüßen, wenn in diesem Jahr weitere Kapitel eröffnet werden, insbesondere die wichtigen Kapitel 23, Justiz- und Grundrechte, sowie 24, Sicherheit, Freiheit und Recht.
Dobovisek: Wenn wir über einen Zeitrahmen sprechen wollen, wie sähe der aus Ihrer Sicht aus?
McAllister: Das ist schwierig vorherzusagen. Solche Beitrittsverhandlungen sind sehr komplex und werden mit Sicherheit noch einige Jahre dauern. Nochmals: Es liegt vor allen Dingen daran, dass die serbische Regierung, das serbische Parlament jetzt Schritt für Schritt alle Reformen einleiten und konsequent umsetzen. Es gibt dabei viele auch in Brüssel und Berlin, die bereit sind, sie aktiv zu unterstützen, denn ein stabiles Serbien ist auch in unserem ureigenen Interesse. Ein stabiles Serbien ist eine wesentliche Voraussetzung für eine dauerhafte Stabilität im westlichen Balkan.
Dobovisek: Viele Unterstützer in Europa, sagen Sie. Vucic hatte im Wahlkampf auch prominente Hilfe aus Deutschland. Altkanzler Gerhard Schröder ist nach Serbien gereist. Sagte, er besuche einen Freund. Einen lupenreinen Demokraten, Herr McAllister?
McAllister: Ich kenne Alexander Vucic aus mehreren Begegnungen. Das ist auch ganz normal, wenn man Berichterstatter für dieses Land ist. Alexander Vucic hat sich seiner Vergangenheit gestellt. Er hat sie aufgearbeitet und er hat ganz klar einen politischen Richtungswechsel auch für sich persönlich vorgenommen, hin zur europäischen Integration seines Landes, und diesen Kurs vertritt er glaubwürdig. Mir berichten viele, sowohl in der Kommission in Brüssel wie auch in anderen Hauptstädten, dass die sachliche Zusammenarbeit mit Alexander Vucic sich sinnvoll und angenehm gestaltet.
"Ruhiger und friedlicher Wahlkampf"
Dobovisek: Es wurde der Verdacht von Stimmenkäufen geäußert. Sie sind gerade in Belgrad, Herr McAllister, haben die Wahl in Serbien beobachtet. Können Sie Unregelmäßigkeiten erkennen?
McAllister: Ich habe gestern selbst einige Wahllokale besucht, sowohl in Obrenovac wie in Belgrad. Mein Eindruck war, dass die Wahlen gut organisiert waren. Es war ruhig und friedlich, wie der gesamte Wahlkampf für serbische Verhältnisse ruhig und friedlich eigentlich über die Bühne gegangen ist. Gleichwohl sind mir gestern Abend von Nichtregierungsorganisationen auch diese Beispiele geschildert worden. Ich glaube, jetzt gilt es erst mal, den unabhängigen Bericht der OSZE abzuwarten. Die werden ja heute Vormittag eine Pressekonferenz hier in Belgrad machen und dann werden wir uns das näher anschauen, ob das Einzelfälle waren, oder ob da System hinter steckte. Eines ist klar: Der OSZE-Bericht wird sehr sorgfältig ausgewertet werden. Ich werde auch die Erkenntnisse des OSZE-Berichts in meinen nächsten Bericht über Serbien im Europäischen Parlament einfließen lassen.
"Wahlergebnis in Österreich ist sehr bedauerlich"
Dobovisek: Wir haben bereits über die Radikalen in Belgrad, in Serbien gesprochen, rund um Herrn Seselj. Wir müssen auch in diesem Zusammenhang heute Morgen nach Österreich blicken, wo der FPÖ-Kandidat bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen in Österreich klar vorne liegt, überraschend vorne liegt mit weit über 35 Prozent. Ist das ein Europa, an das wir uns gewöhnen müssen, ein Europa der Radikalisierung, ein Europa der Extreme?
McAllister: Nein, ich hoffe nicht, und wir sollten alle gemeinsam daran arbeiten, dass das nicht passiert. Das Wahlergebnis in Österreich ist in der Tat sehr bedauerlich. In dieser Größenordnung hat das auch niemand vorhergesehen. Nun müssen wir erst mal abwarten, was bei der Stichwahl in Österreich dann passiert. Wir haben in vielen Ländern Europas das Phänomen, dass Rechtsradikale und Rechtspopulisten Zulauf haben. Wir müssen sie inhaltlich stellen. Man muss den Menschen deutlich machen, dass sie auf hoch komplexe Fragen ganz einfache Antworten geben, und das sind im Regelfall immer die falschen Antworten. Also in der Sache stellen und vor allen Dingen deutlich machen, dass in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts es keine sinnvolle Alternative zur europäischen Zusammenarbeit geben kann. Ich bedauere das außerordentlich, dass wir momentan diesen Zulauf in einzelnen Ländern haben. Auf der anderen Seite gilt es jetzt noch stärker als bislang, sich diesen Leuten inhaltlich zu stellen und den Menschen klar zu machen, dass das wirklich keine sinnvolle Politik ist.
Dobovisek: Aber offensichtlich funktioniert die europäische Zusammenarbeit im Moment ja nicht, wenn wir zum Beispiel auf die Flüchtlingskrise blicken, und da sind wir wieder zurück in Serbien, das ja auch von der Flüchtlingskrise betroffen ist. Ist das ein Bild, das Europa verändert, weil es radikale Kräfte fördert?
McAllister: Es gibt ja unterschiedliche Entwicklungen in den 28 Mitgliedsstaaten. Nicht überall haben Radikale und Populisten so einen starken Zulauf. Aber es gibt einzelne Staaten, die einem schon Sorge bereiten, insbesondere die hohen Prozentsätze für Geert Wilders in den Niederlanden oder jetzt auch die Erfolge der FPÖ oder der Vormarsch des Front National in Frankreich. Das bedeutet, dass die konstruktiven proeuropäischen Kräfte besser zusammenarbeiten müssen und zugleich auch erklären müssen, warum sie meinen, dass bestimmte Aufgaben europäisch sinnvoller gelöst werden können als auf der nationalen Ebene.
Dobovisek: Der CDU-Politiker David McAllister. Ich danke Ihnen für das Interview an diesem Morgen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.