Sarah Zerback: Regierungspolitiker, die sich die Taschen füllen und die Menschen Südafrikas mit ihrer Arbeitslosigkeit, der Armut und der fehlenden Perspektive alleine lassen. Probleme, die zum größten Teil auf das Konto von Jacob Zuma gehen, der das Land in den vergangenen zehn Jahren in die Krise manövriert hat. Die Quittung bekommen hat der langjährige Präsident vor einem Jahr, da wurde er schließlich abgelöst von Cyril Ramaphosa, der wiederum versprochen hat, es nun ganz anders zu machen und viel besser als sein Vorgänger aus derselben Partei. Und tatsächlich: Auch nach 25 Jahren nonstop an der Macht hat die absolute Mehrheit der Wählerinnen und Wähler ihn dieser Woche dem ANC das Vertrauen ausgesprochen. 57 Prozent, so lautet das vorläufige Ergebnis, das endgültige wird für heute erwartet.
Und am Telefon ist jetzt Bartholomäus Grill, er berichtet seit gut drei Jahrzehnten aus Afrika, seit 2013 für den "Spiegel". Der Autor lebt in Kapstadt und dort erreichen wir ihn jetzt auch. Guten Morgen, Herr Grill!
Bartholomäus Grill: Guten Morgen!
Zerback: 57 Prozent, also ein Wahlergebnis, von dem ja Regierungsparteien in Europa nur träumen können. Aber in Südafrika ist es eigentlich kein wirklicher Grund zum Jubeln oder?
Grill: Ja, wenn man das Ergebnis vergleicht, es sind genau 57,5 Prozent, dann ist das das schlechteste Resultat, das der ANC seit dem Ende der Apartheid eingefahren hat. Der ANC lag schon mal bei fast 70 Prozent. Und das ist ein deutlicher Denkzettel, allerdings kann er mit dieser Mehrheit, kann die Regierungspartei locker weiterregieren.
"Zuma-Regierung war eine kleptokratische Regierung"
Zerback: Ein Denkzettel wofür genau?
Grill: Na ja, vor allen Dingen für die Zuma-Jahre, das waren neun verlorene Jahre, die Südafrika weit zurückgeworfen haben. Diese Zuma-Regierung war eine kleptokratische Regierung, sie haben insgesamt, es gibt Berechnungen, ungefähr 100 Milliarden Euro umgerechnet gestohlen, veruntreut, abgezweigt und das Land in eine schwere wirtschaftliche Krise gestürzt. Und erst nach der Ablösung von Zuma durch den jetzigen, amtieren Präsidenten, den Cyril Ramaphosa, ist wieder Hoffnung aufgekeimt.
"Ramaphosa ist auf jeden Fall ein Hoffnungsträger"
Zerback: Was heißt das denn jetzt? Ist dieser Dämpfer angekommen? Und was heißt das vor allem für Ramaphosa, ist der dadurch jetzt wirklich in einer starken Position, um es jetzt nun so ganz anders und besser zu machen in der Zukunft?
Grill: Ramaphosa hätte sich natürlich ein besseres Ergebnis gewünscht, also jenseits der 60 Prozent, damit seine Reformideen gestärkt werden. Aber er ist auf jeden Fall ein Hoffnungsträger, hat allerdings eine gewaltige Aufgabe vor sich. Zum einen hat er eine Partei, die vollkommen zerstritten ist, die moralisch verrottet ist, die voll ist mit Funktionären, die korrupt sind. Da muss er aufräumen. Und zum anderen muss er die Wirtschaft wieder flott machen, das ist eine gewaltige Aufgabe.
"Die Widerstände sind verdeckt, aber sie sind groß"
Zerback: Ja, das klingt nach zwei wirklich großen Herausforderungen. Nähern wir uns mal beiden separat. Also erst mal seine Regierungspartei, die ANC, wird ja auch schon mal als Mafiaclique beschrieben Wir stark sind denn da jetzt die Widerstände gegen einen neuen Präsidenten, der da mal so richtig aufräumen möchte?
Grill: Ja, die Widerstände sind verdeckt, aber sie sind groß, denn viele Funktionäre haben ja jede Menge zu verlieren, ihre Posten, ihre Pfründe, ihre Privilegien. Und die werden es Ramaphosa mit Sicherheit nicht einfach machen. Und man wird ihn auch daran messen, ob er tatsächlich durchgreift und in dieser Partei aufräumt.
Zerback: Hat er denn da Verbündete, die tatsächlich an seiner Seite kämpfen und ihn stärken?
Grill: Ja, er hat natürlich Verbündete, es gibt das Ramaphosa-Lager, es gibt aber eben auch das alte Lager von Ex-Präsident Jacob Zuma. Und da sitzen Leute in Führungspositionen, von denen Ramaphosa auch abhängig ist. Seine Macht beruht auf der Loyalität dieser Leute. Und einige dieser Leute müsste er natürlich schnellstmöglich entfernen, die gehören nämlich ins Gefängnis und nicht auf die Regierungsbank.
"Der ANC genießt nach wie vor den Befreiungsbonus"
Zerback: Und bei dieser Erblast, die Sie da beschreiben, da ist es ja vielleicht fast schon verwunderlich, dass es dann immerhin noch 57,5 Prozent geworden sind der Stimmen. Wie erklären Sie sich das denn, dass da noch so viel Unterstützung ja tatsächlich in der Bevölkerung da ist?
Grill: Ja der ANC genießt nach wie vor den Befreiungsbonus, die Partei Nelson Mandelas hat die Apartheid überwunden und den Menschen die Freiheit geschenkt. Das haben sie nicht vergessen, das ist ein Grund. Der andere Grund ist, dass es eine der wenigen Errungenschaften des ANC seit der Wende ist, dass man einen rudimentären Sozialstaat aufgebaut hat, das heißt, dass ungefähr 17 Millionen Südafrika staatliche Transferleistungen bekommen, also Sozialhilfe, Altersgeld und so weiter. Und das ist oft das einzige Einkommen, das die Menschen haben, und sie haben es dem ANC gedankt, dass sie eben diese Sozialleistungen erhalten.
Zerback: Also zumindest diese moderaten Erfolge da, auch eine schwarze Mittelklasse, die ja tatsächlich in der Zeit auch entstanden ist. Und trotzdem muss man ja sagen, in diesem Land, das so wahnsinnig viele Bodenschätze hat, da haben ja die meisten Südafrikaner gar nichts von. Es wird von der Weltbank immer noch als eines der ungleichsten Länder der Welt beschrieben. Das muss doch wahnsinnigen Unmut schaffen.
Grill: Ja, es ist sogar das ungleichste Land der Welt nach dem Gini-Koeffizienten, der die Ungleichheit misst. Von daher ist der Zorn vieler Leute groß, vor allen Dingen von jungen, arbeitslosen Männern, die dann – und das hat sich in dem Wahlergebnis auch gezeigt – der EFF ihre Stimme gegeben haben. Die EFF, die sogenannten Economic Freedom Fighters, ist eine linkspopulistische Bewegung, angeführt von Julius Malema, der früher beim ANC war und jetzt diesem ANC vorwirft, die Revolution verraten zu haben. Und der fordert ein ganz radikales Programm der Umverteilung, der Verstaatlichung. Und dadurch hat der ziemlich viele neue Wähler gewonnen.
Zerback: Also die Populisten von ganz links als eigentlicher Wahlgewinner.
Grill: Es sind die einzigen, die richtig zugelegt haben.
"Ramaphosa ist ein erfahrener Ökonom"
Zerback: Jetzt lassen Sie uns darüber sprechen, Sie haben über die Wirtschaft geredet, Sie haben die Arbeitslosigkeit angesprochen, wir sehen, es ist zwar der weltweit drittgrößte Exporteur von Agrarprodukten, aber die Wirtschaft wächst viel zu schwach, kommt gerade aus einer Rezession. Wie Sie das beschreiben sicherlich alles eine Hypothek der Jahre unter Zuma, aber jetzt heißt es, wie da rauskommen? Hat Ramaphosa da ein überzeugendes Konzept?
Grill: Er hat ein Konzept, er ist ein erfahrener Ökonom, er war ja früher Gewerkschaftsführer und hat es dann als Unternehmer zum Multimillionär gebracht, er versteht was von Wirtschaft. Die Frage ist, ob er dieses Konzept durchsetzen kann, wie groß die Widerstände sind und wie sehr er sein Konzept eben dann durchziehen kann – und mit welchen Leuten vor allen Dingen.
"Können von einem massiven Regierungsversagen sprechen"
Zerback: Sie selbst, Sie haben sich ja mit der deutschen Kolonialgeschichte besonders intensiv auseinandergesetzt, haben ja gerade auch geschildert, wie sehr die Menschen das auch dem ANC immer noch danken, die Apartheid vor 25 Jahren eben beendet zu haben. Jetzt eben, 25 Jahre danach, was würden Sie denn sagen, wie groß sind noch immer die strukturellen Ungleichheiten eben zwischen coloured Menschen und Weißen in Südafrika?
Grill: Obwohl eine neue Mittelschicht entstanden ist, sind die Ungleichheiten, wie wir vorhin schon gesagt haben, nach wie vor mit die größten der Welt. Das hat sich nicht geändert. Aber man kann für diesen Zustand nicht immer die Apartheid beschuldigen, das ist eine beliebte Ausrede der politischen Elite. Man hatte 25 Jahre Zeit, die Situation zu verbessern, und man hat es kaum geschafft. Also wir können von einem massiven Regierungsversagen sprechen, eine große Enttäuschung, Südafrika war ja vor 25 Jahren angetreten, als Hoffnungsträger, als Regenbogennation, als Vorbildland für Afrika. Und jetzt gehört es zu den korruptesten Ländern des Kontinents.
"Das Hauptproblem ist die Arbeitslosigkeit"
Zerback: Was ja jetzt ansteht, ist unter anderem eine Landreform, um eben die Enteignungen zu beenden. Glauben Sie, das wird Ramaphosa durchsetzen können?
Grill: Nein, zum einen ist die Landfrage nicht die wichtigste Frage in diesem Land, denn viele junge Leute wollen das Land verlassen, sie gehen in die Städte. Das Hauptproblem ist die Arbeitslosigkeit.
Zerback: Da muss er ran …
Grill: Da muss er ran. Ich finde, die Landfrage wird vollkommen überbewertet. Das ist ein Schreckensszenario, was oft gezeichnet wird, aber darum geht es eigentlich gar nicht.
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