Zerbröckelter Zement inmitten einer Trümmerlandschaft, die sich bis an den Horizont erstreckt. Mehr blieb in der syrischen Stadt Duma nicht übrig vom Hauptquartier einer saudisch finanzierten Dschihadistentruppe, nachdem Regimekräfte hier im Frühjahr 2018 eingerückt waren. "Armee des Islam", so nannten sich die Kämpfer, erklärt der offizielle Begleiter vom Presseamt, der durch die Ruinen vorangeht: "Tatsächlich spielten Namen aber keine Rolle. Diese Organisationen agierten alle wie ein und dieselbe Gruppe. Solche Bezeichnungen dienten ihnen nur dazu, von unterschiedlichen Finanziers Geld abzuschöpfen. Von Saudi Arabien, Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten. Sie wechselten die Schattierung, je nach Bedarf. Dscheijsch al Islam, Fatah al Shams. Und das hier war ihr gemeinsames Hauptquartier."
Die Assad-Gegner – eine Ansammlung von Terroristen. Die Aufstandsgebiete – Brutstätten des internationalen Dschihadismus, von denen die letzten jetzt konsequent, mit eisernem Besen ausgekehrt werden. So lautet das Narrativ des siegreichen Regimes. Gleichzeitig schlägt man in Damaskus aber auch moderate Töne an, verhandelt unter Aufsicht der UNO mit den Vertretern der Opposition über eine neue syrische Verfassung, bekundet mit den anstehenden Parlaments- und Präsidentenwahlen, dass man bereit sei, sich jederzeit dem Votum der Bevölkerung zu unterziehen.
Angesichts der militärischen Erfolge, die Russland und Iran für ihren Verbündeten eingefahren haben, hätte Baschar al-Assad zu solchen Gesten eigentlich keinen Anlass. Doch Russland übe Druck aus auf das Regime, sagte Muriel Asseburg, Syrien-Expertin bei der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik, einer Denkfabrik der Bundesregierung: "Druck auf das Regime, sich in Genf bei den Gesprächen im Verfassungskomitee zu engagieren. Und das andere ist, dass sie Druck ausüben auf das Regime, Korruption einzudämmen, Reformen durchzuführen, unter anderem im militärischen und im politischen Bereich."
Syrien braucht Geld aus Europa
Dahinter steht eine nüchterne Erkenntnis. Gemeinsam mit dem Partner Iran konnte Russland zwar den Krieg für Assad gewinnen, nicht jedoch den Frieden. Den wirtschaftlichen Wiederaufbau des ruinierten Landes werden beide Staaten nicht leisten können, nicht einmal in Ansätzen. Was gebraucht wird, ist Geld aus Europa. Das Regime einerseits zu Konzessionen bringen. Den Europäern andererseits klarmachen, dass sie auf die falschen Partner setzen. Auf Dschihadisten, Islamisten, Feinde der westlichen Werteordnung. Sie überzeugen, dass Assad für sie die bessere Wahl ist; wenn auch kein Demokrat im Sinne eines klassischen Westminster-Parlamentarismus, so mindestens doch ein Säkularist reinsten Wassers. Das ist es, was Russlands Außenpolitik zurzeit versucht. Bei einigen durchaus mit Erfolg.
"Ich gehe davon aus, dass Herr Assad und seine Regierung zumindest säkular ist, ja", sagt Christian Blex, AfD-Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen. Er hat 2018 eine Delegation seiner Partei nach Syrien angeführt. Die EU, so meint er, hätte schon von Anfang an lieber dem syrischen Staatschef beispringen sollen, statt einer Opposition im Fahrwasser von Islamisten und Dschihadisten. "Ich kann doch keine säkulare Regierung stürzen und durch Feinde meiner eigenen Kultur ersetzen. Das kann doch nicht in meinem Interesse sein. Syrien hat Wahlen. Syrien ist sicher keine Demokratie in unserem Sinne, aber es gibt dort Wahlen. Es gibt dort Parteien und es gibt dort Wahlen."
Der Präsident des durch den Krieg zerrütteten Landes soll im Jahr 2021 neu gewählt werden, das Parlament im Juli dieses Jahres. Ist das die Chance für Reformen? Kann die Gesellschaft sich unter Assad neu zusammenfinden? Birgt Syriens Parteienlandschaft die Chance, auch oppositionelle Strömungen friedlich einzubinden? De iure ist Syrien ein Verfassungsstaat mit Mehrparteiensystem. Dominiert wird Syriens Parlament von der so genannten Nationalen Progressiven Front unter Führung der seit Jahrzehnten staatstragenden Baath-Partei.
Einheitsfront aus Regierung und Opposition
André Bank, der Syrien-Experte beim Hamburger GIGA-Institut für globale und regionale Studien: "Diese Front lässt sich vergleichen mit dem, was wir auch in der ehemaligen DDR beispielsweise hatten oder auch in anderen osteuropäischen Blockparteien aus der Zeit des Kalten Krieges, wo wir eine dominante Partei hatten, die in Syrien – die Baath-Partei – quasi die Regierung stellt und die Politik dominiert, wo aber andere Parteien dem angebunden sind, die vermeintlich eine ideologische und programmatische Diversität suggerieren, aber eigentlich total unter der Dominanz dieser Baath-Partei stehen."
Staatssozialismus, nationale arabische Wiedergeburt, permanente Revolution. Kampfbereitschaft gegen Kolonialismus, Zionismus und gegen alles was Interessen einer länderübergreifenden arabischen Nation bedroht. So lauten die Prinzipien der Baath schon seit ihrer Entstehung Mitte des 20. Jahrhunderts in Syrien und im Irak.
Was sonst können die Syrer in diesem Sommer außer der Baath noch wählen? Worin liegen die politischen Alternativen? Ein Überblick ergibt: Staatssozialismus, nationale arabische Wiedergeburt, Revolution. Kampfbereitschaft gegen Kolonialismus und Zionismus. Auch Syriens andere zugelassene Parteien sind also im Wesentlichen arabisch-sozialistisch oder arabisch-nationalistisch.
Um seine Offenheit für abweichende Meinungen zu demonstrieren, hat Baschar al-Assad schon vor längerem Ali Haîdar zum Vorsitzenden der Nationalen Versöhnungskommission ernannt. Der Politiker und hauptberufliche Arzt hatte sich zu Beginn des Aufstands 2011 mit seiner Gruppe in der sozialnationalistischen Partei, SSNP, von der Block-SSNP in Assads Nationaler Front getrennt. Um sich anschließend wieder eingemeinden zu lassen – formell als Führer einer Oppositionspartei. Haidar, ein Endfünfziger im Hemd, mit aufgekrempelten Ärmeln, gibt sich unkompliziert und gestattet kurzfristig einen Interviewtermin. "Wir glauben an eine politische Lösung. Jeder syrische Bürger auf dem Gebiet des syrischen Territoriums ist für uns ein Partner. Wir schließen niemanden aus. Alle sind Partner auf dem Weg zu einer politischen Lösung."
Um seine Offenheit für abweichende Meinungen zu demonstrieren, hat Baschar al-Assad schon vor längerem Ali Haîdar zum Vorsitzenden der Nationalen Versöhnungskommission ernannt. Der Politiker und hauptberufliche Arzt hatte sich zu Beginn des Aufstands 2011 mit seiner Gruppe in der sozialnationalistischen Partei, SSNP, von der Block-SSNP in Assads Nationaler Front getrennt. Um sich anschließend wieder eingemeinden zu lassen – formell als Führer einer Oppositionspartei. Haidar, ein Endfünfziger im Hemd, mit aufgekrempelten Ärmeln, gibt sich unkompliziert und gestattet kurzfristig einen Interviewtermin. "Wir glauben an eine politische Lösung. Jeder syrische Bürger auf dem Gebiet des syrischen Territoriums ist für uns ein Partner. Wir schließen niemanden aus. Alle sind Partner auf dem Weg zu einer politischen Lösung."
Wird seine Versöhnungskommission auch die Kriegsverbrechen aufarbeiten? Was dem Assad-Regime in dieser Hinsicht angelastet wird, gehört zum Schlimmsten, was einem Regime in der Region jemals angelastet wurde. Ein desertierter Fotograf des syrischen Miltärgeheimdienstes hat der UNO allein Tausende von Akten über Häftlinge übermittelt, die in syrischen Gefängnissen bestialisch ausgehungert, gefoltert und getötet wurden. Er hat Fotos, unter denen die Folterer penibel Namen und Daten ihrer Opfer notiert haben.
Haidar weist die Vorwürfe vehement zurück: "Als ausgebildeter Arzt kann ich Ihnen sagen: Folterspuren erscheinen für eine bestimmte Zeit auf dem Körper jedes Opfers. Es ist nicht möglich festzustellen, wann und wodurch diese Spuren entstanden sind. Explosionen und dergleichen gab es überall im Land. Dass man solche Fotos nimmt und sie entsprechend anordnet, heißt nicht, dass sich diese Fälle in syrischen Gefängnissen ereignet haben."
Anlehnungen an den Nationalsozialismus
Versöhnung, das wird in dem Gespräch schnell klar, besteht für den Vorsitzenden der Versöhnungskommission vor allem darin, dass sich die Syrer mit Staatschef Assad versöhnen. Und nach dessen Darstellung habe die syrische Regierung niemals Verbrechen begangen und niemals die Menschenrechte verletzt. Und Opposition bedeutet für ihn offensichtlich: Die Auffassung der Regierung unter einem anderem Logo zu vertreten. Im Fall von Ali Haidars Sozialnationalisten ist dieses Logo in schwarz-weiß-rot gehalten und weist in einem Kreis ein leicht modifiziertes Hakenkreuz auf.
"Wenn Sie sich nur die Parteifahne hier ansehen: Sie ähnelt der alten deutschen Nationalfahne mit dem Hakenkreuz der Nationalsozialisten", sagt SSNP-Sprecher Maen Hamieh. Er sitzt nicht wie Ali Haidar in einem Büro in Damaskus, sondern in Beirut. Dort vertritt er die SSNP-Fraktion, die offiziell zu Assads Nationalem Block gehört. Denn als großarabische und großsyrische Partei, verfügen die Syrischen Sozialnationalisten sowohl über eine Vertretung in Damaskus wie auch in der libanesischen Hauptstadt. Zwischen der früheren deutschen NSDAP und der syrischen SSNP, erklärt Hamieh, gebe es noch viele andere Gemeinsamkeiten. Vor allem die Idee, dass man das Gebiet seiner Nation über das aktuelle Staatsgebiet hinaus ausdehnen sollte: "Den deutschen Nationalsozialisten ist ja vorgeworfen worden, Hass zu schüren und den Holocaust bewirkt zu haben. Aber das war nichts als Propaganda. Genauso werden wir heute beschuldigt, Terroristen zu sein."
Familiäre Strukturen überlagern die Parteipolitik
Sieht man von marginalen kommunistischen Parteien ab, erschöpfen sich Syriens wählbare Alternativen in Staatssozialismus und Nationalismus. Und in der Kombination von beiden: dem nationalen Sozialismus. Eine Kombination, die in der Assad-Familie seit langem vorkommt. Während Baschar al Assad als Staatschef in der regierenden Baath-Partei verwurzelt ist, steht die Familie seiner Mutter Anissa Makhlouf den Sozialnationalisten nahe. Und Assads Cousin Rami Makhlouf, bis dato einer der einflussreichsten politischen und wirtschaftlichen Player Syriens, gilt als deren wichtigster Mäzen. In diesen Verbindungen zeigt sich die Haupteigenschaft des real existierenden Systems: Parteipolitik ist im Grunde unwichtig. Was zählt sind die familiären Strukturen, die sich hinter den Fassaden finden. Und hier, im Inneren der Assad-Familie, scheint sich gerade so etwas wie ein Erdbeben zu ereignen.
Rami Machluf, der finanzstarke Mäzen der Sozialnationalisten, wandte sich Anfang Mai dieses Jahres in einem online gestellten Video an seinen Cousin Assad und beteuerte, zitternd vor Aufregung: Stets habe er alle seine Geschäfte in den Dienst des Staats gestellt und niemals an sich selbst gedacht. André Bank, vom Hamburger GIGA-Institut: "Vonseiten des syrischen Regimes wurde Rami Machluf und es wurden von seiner großen al Bustan-Stiftung, die Multimillionen stark ist, da wurden die Assets enteignet und der Präsidentenfamilie überschrieben. Es wurde im Grunde wirklich so eine Art Säuberungskampagne gegen diese Machluf -Familie gemacht. Wie erklärt sich das? Das Regime hat kein Geld und versucht jetzt auch bei den engsten Leuten, die angeblich zu wenig bezahlt haben in den letzten Jahren, jetzt das Geld herauszupressen."
Das Verzweiflungsvideo von Assads Cousin wirft ein Schlaglicht darauf, wo die Macht hinter der Macht in Syrien tatsächlich liegt. Von den Mitgliedern der Assad-Familie verästelt sie sich weiter bis in eine Entourage schwerreicher Günstlinge, die meist wie die Assads zur alawitischen Glaubensminderheit gehören. Und bei den Verteilungskämpfen geht es nicht in erster Linie darum, wer die besseren Argumente hat. André Bank: "Alle diese Akteure haben ihre eigenen Milizen gegründet, ihre eigenen Kampfverbände, die primär dazu da sind, die Geschäfte abzusichern, aber in manchen Schlachten für das Regime gekämpft haben. Zum Zweiten sind sie selber natürlich auch in Schmuggelaktivitäten, in Drogenhandel, in Menschenhandel und so weiter involviert bis hin zu diesen transnationalen kriminellen Netzwerken, die sich eher mafiamäßig strukturieren."
Das führt zu einem weiteren Charakteristikum des Assad-Systems: Der offiziell bekundete Säkularismus findet seine Grenzen dort, wo es um die persönliche Macht geht, den persönlichen Profit und das persönliche Überleben. Darauf weisen gerade die säkular Orientierten unter den syrischen Oppositionellen hin. Aktivisten wie Huda, die in der Rebellenenklave Idlib ein Zentrum für Frauenrechte leitet. Sie räumt zwar ein, dass auch sie wegen der massiven Unterstützung aus den Golfstaaten in Idlib unter der Fuchtel von Dschihadisten leben muss. Aber, so unterstreicht sie: "Wenn man sich Assads Verbündete ansieht, kann man auch nicht gerade behaupten, dass sein Regime säkular orientiert ist. Wer gezielt schiitisch-iranische Milizen vorschickt, um sunnitische Orte zu besetzten, bedient sich ja des religiösen Elements. Die Truppen, die Rebellengebiete zurückerobern, gehören ja oft gar nicht zur syrischen Armee, sondern sind schiitische Milizen. Und es gibt genügend Beweismaterial wie Videos, auf denen man die religiösen Kampfparolen hört, mit denen diese Schiitengruppen auf syrischem Boden vorgehen."
Die mächtigste Partei kann nicht abgewählt werden
Syriens zugelassene Parteien firmieren als sozialistisch, nationalistisch, kommunistisch oder national. Tatsächlich ist die eigentlich staatstragende und staatserhaltende Partei des Landes eine islamistische. Kein Syrer kann sie wählen oder abwählen. Es ist die iranisch unterstützte Hisbollah. Und ihre Zentrale liegt nicht in der syrischen, sondern in der libanesischen Hauptstadt.
Dort, im Beiruter Schiitenviertel, sammeln sich bei Aufmärschen diejenigen, die bereit sind zum Kampf nach Syrien zu ziehen. Für ihn, erklärt ein junges Hisbollah-Mitglied, gehe es dort um einen Dschihad für die gerechte Sache des Islam. Und ganz konkret darum, schiitische Heiligtümer zu schützen: "Viele denken, dass es in Syrien um den Kampf mit dem IS, mit Daesh und der al Dschabbad al Nusra geht, um einen Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten. Aber das stimmt nicht. Die Hisbollah ist aus einem anderen Grund nach Syrien gezogen. Der eigentliche Grund ist, dass dort Zeynab begraben liegt, die Schwester von Imam Hussein!"
Hîlal Khashan, Leiter des Fachbereichs Politologie an der Amerikanischen Universität Beirut: "Wichtige schiitische Heiligtümer befinden sich in Syrien. Der Iran und die Hisbollah verbreiten die Information, dass, wenn sie nicht nach Syrien gehen, um das Regime von Baschar al Assad zu unterstützen, dass dann diese heiligen schiitischen Stätten von sunnitischen Aufständischen zerstört werden."
Viele Kämpfer, so Khashan, würden für immer in Syrien bleiben. Viele von ihnen seien bereits eingebürgert worden. Auch wenn der Staatschef zur Versöhnung aufruft und Wahlen ausschreibt. Dass Assads Regime Teile der Macht abgeben oder oppositionellen Strömungen wirklich entgegenkommen wird, damit ist kaum zu rechnen. Eher scheint es der Regierung beim Wiederaufbau Syriens darum zu gehen, frei nach dem Diktum Bertolt Brechts, das Volk aufzulösen und sich ein neues zu Wählen. Dazu gehöre auch, so Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik, dass diejenigen Vertriebenen, die vom Regime als politisch unzuverlässig eingeschätzt werden, nicht in ihre Wohngebiete zurückkehren dürften – zugunsten loyaler Bevölkerungsteile. "Das, was wir bis jetzt an Wiederaufbauaktivitäten in Syrien sehen, das zielt eben gerade nicht auf Aussöhnung, das zielt nicht auf gesellschaftlichen Zusammenhalt. Da geht es zum Beispiel darum, dass der Bevölkerungsaustausch, der stattgefunden hat durch die Kriegshandlungen, dass dieser Bevölkerungsaustausch verfestigt wird."
Deutschland, so Muriel Asseburg, sollte sich nicht durch die politische Rhetorik Syriens und seines Hauptverbündeten Russland bewegen lassen, zur Stabilisierung des Assad-Regimes beizutragen. Stattdessen sollte es eine Vorreiterrolle bei etwas anderem spielen: Dessen Verbrechen zu dokumentieren. Ein erster Schritt dazu sei der Koblenzer Prozess gegen mutmaßliche Folterer des syrischen Geheimdiensts. "Aber wir bewegen uns bisher auf einer sehr niedrigen Ebene der Verantwortlichkeit. Ich würde mir wünschen, dass hier bei den Strafverfolgungsbehörden die Kapazitäten geschaffen werden und dass das politisch auch ermutigt wird, dass wir auch Spitzen des Regimes in Zukunft strafrechtlich zur Verantwortung ziehen können."