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Parlamentswahl
Machtwechsel in Indien

Sie regierte fast sechs Jahrzehnte in Indien seit seiner Unabhängigkeit: Nach der Parlamentswahl muss die Kongress-Partei der Gandhis nun wieder auf die Oppositionsbank. Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Korruption - zu viele Wähler wollten einen wuchtigen Wechsel, der einige mit Sorge erfüllt.

    Es war die größte demokratische Wahl der Welt: Rund 551 Millionen Inder hatten in einem fünfwöchigen Wahlmarathon in 930.000 Wahllokalen ihre Stimme abgegeben. Die Wahlbeteiligung war mit 66,4 Prozent so hoch wie nie zuvor in der Geschichte des Landes. Zur Abstimmung stellten sich 8.251 Kandidaten, davon 668 Frauen und fünf Transsexuelle.
    Das Land mit seinen 1,2 Milliarden Einwohnern steht wieder an einer "entscheidenden Wegmarke": Bei der Parlamentswahl erhielt die hindu-nationalistische Bharatiya-Janata-Partei (BJP) mit ihrem rechtskonservativen Spitzenkandidaten Narendra Modi erstmals eine absolute Mehrheit. Nach dem offiziellen Endergebnis erhielt die BJP im Unterhaus 282 der 543 Sitze - ein Zuwachs um mehr als 160 Sitze. In gleichem Umfang verlor die Kongresspartei; sie kommt auf 44 Sitze. Damit kann Modi als nächster Premierminister eine starke Regierung bilden. Erstmals seit 30 Jahren kann eine Partei in Indien ohne einen Koalitionspartner regieren. Die Schwelle dafür liegt bei 272 Sitzen.
    Der Spitzenkandidat der hindu-nationalistischen Bharatiya-Janata-Partei, Narendra Modi, bedankt sich vor seinen Anhängern für seinen Triumph bei der Parlamentswahl in Indien.
    Der Spitzenkandidat der hindu-nationalistischen Bharatiya-Janata-Partei, Narendra Modi, bedankt sich vor seinen Anhängern für seinen Triumph bei der Parlamentswahl in Indien. (AFP / Indranil Mukherjee)
    "Gute Tage stehen uns bevor, und von heute an beginnt dieser Weg für die kommenden fünf Jahre", begann Modi seine Siegesansprache. "Wir müssen das Land voranbringen, wir müssen jetzt die Träume der Menschen erfüllen", sagte Modi, dessen Wahlkampf ganz auf Wirtschaftswachstum und Armutsbekämpfung ausgerichtet war. Der designierte Premierminister versprach, sich für die Nation aufzuopfern. "In den nächsten 60 Monaten wird keiner so hart arbeiten wie ich." Die BJP hatte bereits zwischen 1998 und 2004 den Ministerpräsidenten gestellt, Atal Bihari Vajpayee.
    Vom Teeverkäufer zum polarisierenden Politiker
    Der 63-jährige Modi hatte sich vom Teeverkäufer an die Spitze der BJP hochgearbeitet. Er gilt als Hoffnungsträger der indischen Wirtschaft, ist auf politischer Ebene jedoch eine polarisierende Figur: Gegner beschuldigen ihn, als Regierungschef seines Heimatstaates Gujarat die brutalen Ausschreitungen zwischen Muslimen und Hindus 2002 absichtlich nicht gestoppt zu haben. Bei den Pogromen waren mehr als 1.000 Menschen - die Mehrzahl Muslime - ums Leben gekommen. Die britische Regierung meidete, wie auch viele andere europäische Staaten und die USA, jahrelang den Kontakt mit ihm; nun hat London ihn bereits zu einem Besuch an der Themse eingeladen.
    Kongress-Chefin Sonia Gandhi gestand die Wahlniederlage ein und versprach, gute Arbeit in der Opposition zu leisten. "Wir verstehen, dass Sieg und Niederlage Teil der Demokratie sind", sagte sie. Ihr Sohn Rahul, der 43-jährige Spitzenkandidat der Partei, konnte seinen Parlamentssitz in Amethi im Bundesstaat Uttar Pradesh, der als die politische Bastion der Gandhi-Familie gilt, nur knapp gewinnen. "Es gibt viel, über das wir nachdenken müssen", sagte Rahul Gandhi.
    Christen und Muslime in Sorge
    Zahlreiche Christen und Muslime fürchten mit dem Sieg der Hindu-Nationalisten eine stärkere Ausgrenzung religiöser Minderheiten. "Die hindunationalistischen Strömungen bedrohen seit vielen Jahren die Religionsfreiheit im Lande und haben in der Vergangenheit immer wieder zu gewalttätigen oder gar pogromartigen Übergriffen auf Muslime und Christen geführt", sagte Bettina Leibfritz, Indien-Referentin des Internationalen Katholischen Missionswerks "missio". Die Vielfalt und der Pluralismus des Landes seien in Gefahr.
    Eine Frau in Indien posiert nach der Stimmabgabe für ein Foto in einem Wahllokal in Indien.
    Eine Frau in Indien nach der Stimmabgabe. (afp/Dibyangshu Sarkar)
    Der Jesuit und Menschenrechtler Cedric Prakash zeigte sich dagegen entsetzt. "Unsere schlimmsten Befürchtungen sind jetzt Realität geworden", postete er auf Facebook. Der Direktor des Zentrums für Menschenrechte, Gerechtigkeit und Frieden in Gujarat rief seine Landsleute auf, alles zu tun, "um den Pluralismus unseres Landes zu bewahren und ganz besonders die Rechte der Armen, der Ausgegrenzten, der Minderheiten und der verletzlichen Gruppen in unserem Land zu verteidigen".
    Die katholische Bischofskonferenz Indiens ruft nach dem Sieg der BJP zu Besonnenheit auf. Die Kirche solle nicht "über Gebühr besorgt, alarmiert oder erschrocken sein", sagte Generalsekretär Erzbischof Albert D'Souza. Das Ergebnis zeuge von der Reife der indischen Wähler, die ein "klares Votum für einen Wandel abgegeben" hätten.
    (sdö/ach)

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