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Parlamentswahlen in der Türkei
Weibliche Kandidaten kämpfen um Anerkennung

Von Luise Sammann |
    Sogar eine Damentoilette zu finden ist oft ein Problem! Derya Sentürk schüttelt verzweifelt den Kopf. Für das türkische Parlament zu kandidieren ist ohnehin eine Herausforderung. Aber als Frau für das türkische Parlament zu kandidieren, ist ein Kampf. "Unsere Gesellschaft wird von Männern dominiert. Und genauso sind wir Frauen auch in der Politik völlig unterrepräsentiert. Wir sind zu wenige, um gegen die Hegemonie der Männer anzukommen. Das erlebe ich jeden Tag."
    Derya Sentürk tritt in Istanbul für die säkulare CHP an, die größte Oppositionspartei der Türkei. Die 35-jährige Unternehmerin hat Abschlüsse in internationalen Beziehungen und in Wirtschaftswissenschaften. Sie wäre, so sagt sie selbst, qualifiziert genug für den Posten der türkischen Wirtschaftsministerin. Doch sie weiß: selbst wenn ihre Partei den eines Tages besetzen dürfte, hätte sie kaum eine Chance.
    "In unserem Land herrscht eine Mentalität, nach der Frauen scheinbar nur etwas von Essen, Hausarbeit und Kindern verstehen. Aber Verteidigung, Industrie, Wirtschaft. All das ist Männersache." Tatsächlich: Nur ein einziges der 26 türkischen Ministerien wird momentan von einer Frau geführt. Und es ist - Derya Sentürk schnaubt verächtlich - natürlich das Ministerium für Familie und Soziales.
    "Wir Frauen dienen den Parteien höchsten als Deko. Aber wenn es um ernste Entscheidungen geht, dann regeln die Männer das unter sich." Genau das sollte sich mit den übermorgen anstehenden Parlamentswahlen endlich ändern.
    Eine "weibliche Revolution in der Politik" hatte die regierende AK-Partei zu Beginn ihres Wahlkampfes angekündigt. Immerhin 33 Prozent Frauenquote versprach auch die Oppositionspartei CHP. Die türkischen Medien waren begeistert. Von einem Aufstand der Frauen, vom großen Wandel, von einer Explosion der Frauenpower schwärmten die Zeitungen.
    "Die Parteien wissen, dass sich das gut anhört. Sie schwingen seit Monaten solche Reden um damit Wählerstimmen zu gewinnen", lästert Gönül Karahanoglu, Frauenaktivistin aus Istanbul. "Doch auf den Kandidatenlisten sehen wir davon am Ende wenig."
    Karahanoglu ist die Vorsitzende von Kader, einer NGO, die sich seit 18 Jahren mit Lobbyarbeit und Seminarangeboten dafür einsetzt, mehr Frauen in die türkische Politik zu bringen. Immerhin: Von 2 auf 14 Prozent ist der Frauenanteil im Parlament in dieser Zeit gestiegen. Schön - aber lange nicht genug, meint Karahanoglu und forderte von den Parteien 50 Prozent für die anstehenden Wahlen.
    "Wir haben große Probleme mit häuslicher Gewalt und Frauenrechten in der Türkei. Um diese zu lösen, brauchen wir weibliche Stimmen. Aber auch alle anderen Bereiche werden in diesem Land allein aus männlicher Perspektive betrachtet, das ist ein riesen Defizit unserer Demokratie. Die Politik ist von männlichem Verhalten und auch männlicher Sprache geprägt."
    Tatsächlich ist das türkische Parlament für seinen rauen Umgangston bekannt. Nicht selten arten politische Debatten gar in Schlägereien aus. Zuletzt musste ein Abgeordneter ins Krankenhaus, weil er von seinem politischen Gegner mit einem Stuhl angegriffen worden war.
    Doch die angekündigte Frauenpower scheinen auch die nun anstehenden Wahlen nicht zu bringen. Nicht mal die Kandidaten , die die beiden großen Parteien AKP und CHP am Ende aufstellten, sind weiblich. Elf Prozent sind es bei der dritten im Parlament vertretenen Partei, der nationalistischen MHP. Lediglich die noch junge linksliberale HDP tritt mit beinahe genauso vielen Frauen wie Männern an. Noch ist allerdings unklar, ob sie den Einzug ins Parlament schafft.
    "Manchmal kommt es mir so vor, als sei die Gesellschaft weiter als die Politik", sagt CHP-Kandidatin Derya Sentürk aus Istanbul. Auch sie weiß noch nicht, ob sie ab übermorgen in Ankara Politik machen wird. Ihre Partei setzte sie in Istanbul auf einen relativ aussichtslosen 18. Listenplatz. "Seit April ziehen wir auf Wahlkampftour durch Geschäfte und Cafés, durch Dörfer, Wohnzimmer und über Marktplätze. Viele sagen uns: Seit Jahren managen Männer dieses Land und offensichtlich versagen sie dabei. Was wir brauchen sind mehr junge und mehr weibliche Politiker!"