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Parlamentswahlen
Schere im Kopf bei ägyptischen Künstlern

Zwei Tage lang haben die Ägypter die Chance, ihre Stimme bei der zweiten Runde der Parlamentswahlen abzugeben. Bei der Ersten ging kaum einer hin. Die politische Lage ist angespannt. Wie reagieren die ägyptischen Künstler auf die Wahl und darauf, dass Kritik als nationales Sicherheitsrisiko eingestuft wird?

Von Cornelia Wegerhoff |
    Blick vom Dach der Mu'ayyad Moschee durch die über dem Stadttor Bab Zuweila aufragenden Minarette auf die Zitadelle mit Kairos Wahrzeichen, der Mohammed Ali Moschee.
    Nicht nur die politische Lage in Ägypten ist angespannt, sondern auch Ägyptens Kulturszene. (Arved Gintenreiter / dpa)
    Seine Beine baumeln in der Luft. Seine Hände halten Block und Bleistift fest im Griff. Sie könnten sonst in die Tiefe stürzen. Genau wie der Zeichner selbst. Er sitzt im Fensterrahmen eines Hochhauses, gefährlich dicht am Abgrund und mit ihm der Betrachter. Man nimmt unwillkürlich den Oberkörper zurück beim ersten Blick auf Mohamed Wahbas Bilder. Seine Stadtansichten von Kairo sind in doppelter Hinsicht atemberaubend.
    "Die Leute sind gewohnt, die Stadt von unten zu sehen. Aber nicht von oben, von den höchsten Gebäuden aus, wo man die Strukturen erkennt. Das Buch gibt ihnen eine neue Perspektive. Die erste Auflage ist schon ausverkauft."
    Tausend Exemplare - das ist für den ägyptischen Literaturmarkt schon ein Bestseller. Doch "Cairo", so heißt der erste Bildband des 29-jährigen Künstlers, wirft Fragen auf.
    "Es gibt Leute, die wissen wollen, wie ich da oben hingekommen bin. Ich komme mir dann vor wie ein Dieb, der etwas gestohlen hat. Meine Zeichnungen dokumentieren nur den Alltag, das Leben in der Stadt. In der Zeit nach der Revolution konnte ich überall zeichnen, wie und was ich wollte. Aber jetzt muss ich vorsichtig sein. Neulich stand ich mit dem Skizzenblock auf einer Nilbrücke. Da wurde ich gefragt, warum ich mich so lange auf der Brücke aufhalte. Ein Polizist kam und sagte, das ist verboten. Das ist keine Freiheit."
    Die politische Lage in Ägypten ist angespannt. Das betrifft auch Ägyptens Kulturszene. 2011, nach dem Sturz von Langzeitdiktator Hosni Mubarak, blühte sie regelrecht auf, beteiligten sich die Künstler mit ihren Bildern, Musik und Kunstaktionen am politischen Aufbruch. Vorbei, sagt Mohamed Wahba.
    "Die Künstler haben jetzt auf eine gewisse Weise Angst, ihre Meinung zu äußern. Sie wissen, dass die Themen, zu denen sie sich kritisch äußern wollen, sogenannte Sicherheitsfragen betreffen. Das vermeiden sie lieber."
    Kritik wird als nationales Sicherheitsrisiko angesehen
    Denn im Kampf gegen den Terrorismus deklarieren die ägyptischen Behörden Kritik als nationales Sicherheitsrisiko und reagieren mit Härte. Ein junger Ägypter, der Staatspräsident Sisi per Fotomontage mit Mickey-Mouse-Ohren verzierte und auf Facebook postete, wurde vor Kurzem von einem Militärgericht zu drei Jahren Haft verurteilt. Wenn man jetzt vor seinem Zeichenblock sitze, sei die Schere im Kopf wieder da, gibt Mohamed Wahba offen zu.
    "Ich will zum Beispiel wieder Comics zeichnen. Aber ich mache mir Sorgen, dass mir das Ärger bringt. Es gibt Leute, die trotzdem Kritik üben. Das sieht man in den sozialen Medien. Aber es gibt die anderen, die sagen: 'Es ist vorbei. Jetzt muss ich nur sehen, wie ich überleben kann.'"
    Der Sprayer Ammar Abu Bakr denkt nicht daran, seine Meinungsfreiheit wieder aufzugeben. Sein letztes sogenanntes Stencil, ein mithilfe einer Schablone gesprühtes Graffiti, zeigt ein Porträt von Ägyptens Präsident Sisi, freundlich lachend mit Mickey-Mouse-Ohren. Eine Solidaritätsaktion mit dem zu Unrecht Verurteilten, erklärt Ammar Abu Bakr. Auf die Frage nach seinem eigenen Risiko lächelt er:
    "Wenn du etwas willst, dann machst du das auch. Du kannst sagen: Wie bitte? Oder du machst Kunst daraus. Natürlich ist die Situation nicht besser geworden. Wir sind hier unter der Kontrolle einer Militärdiktatur. Was denkst du? Die verhalten sich genauso wie damals unter dem Mubarak-Regime."
    "Demokratie ist, wenn die Leute zu den Wahlen hingehen"
    Auch die Parlamentswahlen seien für ihn kein Schritt Richtung Demokratie, sagt der 35-Jährige klar heraus.
    "Nein, natürlich nicht. Demokratie ist, wenn die Leute zu den Wahlen hingehen. Aber die Ägypter wissen, dass das alles Fake ist. Und sie wissen, dass die Regierung sowieso macht, was sie will."
    Auf dem großen Arbeitstisch in seinem Atelier hat Ammar Abu Bakr den Entwurf für sein nächstes großes Wandgemälde liegen. Wo und wann er es malt, ist noch unklar. Die Folgen ebenso wenig. Die Skizzen zeigen zwei Leichen.
    "Einer ist ein Rechtsanwalt. Er starb in einer Polizeistation. Der andere wurde ebenfalls verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Er hatte Krebs und sie haben ihn hinter Gittern gelassen, bis er starb."