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"Parsifal der Entschleunigung"

Laut Christoph Schmitz ist Werner Herzogs Wagneroper in Valencia ein entschleunigter Parsifal. Generalmusikdirektor Lorin Maazel spüre den Klängen nach und dehne die "Verwandlungen der Musik sehr genüsslich aus". Herzog selber betreibe bei dieser Inszenierung ein wohltuendes "Regietheater der Enthaltsamkeit". "Alle Macht der Musik" scheine das Motto des Regisseurs zu sein, so Schmitz.

Christoph Schmitz im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske |
    Doris Schäfer-Noske: Manche fühlen sich an ein weißes Gürteltier erinnert, andere an ein Raumschiff von Außerirdischen. Die Oper im spanischen Valencia ist drei Jahre nach ihrer Eröffnung noch immer ein ungewöhnlicher Blickfang. Opernchefin Helga Schmidt aus Österreich hat ein ehrgeiziges Ziel. Sie will das Haus des Architekten Santiago Calatrava nämlich zu einem Magneten für Wagnerianer machen. Geld für Sänger, Stars und berühmte Regisseure hat sie in Valencia genug. Jedes Jahr stehen für das Kulturzentrum 44 Millionen Euro zur Verfügung. Gestern Abend hat nun Filmemacher Werner Herzog dort seine Deutung von Wagners Spätwerk "Parsifal" vorgestellt und das Orchester in Valencia spielte unter der Leitung seines Generalmusikdirektors Lorin Maazel. Frage an meinen Kollegen Christoph Schmitz: Herr Schmitz, wie ist denn die Leistung des Orchesters zu bewerten?

    Christoph Schmitz: Es ist eine große Leistung, weil es ein Parsifal der Entschleunigung ist. Der erste Aufzug dauerte geschlagene zwei Stunden, in der Regel braucht man eine Stunde und 45 Minuten. Das war diesmal noch langsamer als Daniele Gatti jetzt im Sommer in Bayreuth den "Parsifal" dirigiert hat. Lorin Maazel spürt den Klängen nach, den Klangentwicklungen. Er dehnt die Verwandlungen der Musik sehr genüsslich aus. Und das schafft und fordert eine unglaubliche Aufmerksamkeit und über Stunden auch sehr viel Kraft vom Publikum, das sich so von der Verführungskraft dieser Komposition nicht einwickeln lässt. Und das ist sehr wohltuend. Lorin Maazel zeigt über weite Strecken keinen exaltierten Wagner, sondern einen schönen gerundeten, veredelten Wagner. Er macht nicht den Versuch, einen hoch romantischen Wagnerklang zu erzeugen des 19. Jahrhunderts, auch kein 20. Jahrhundert, wie das ja Boulez versucht hat, Debussy da rauszukitzeln. Und das klingt dann etwa so.

    (Musikeinspielung "Parsifal")

    Schmitz: Ja, so der entschleunigte "Parsifal" von Lorin Maazel.

    Schäfer-Noske: Der britische Tenor Christopher Ventris hat ja in Bayreuth als Parsifal debütiert. Wie wurde er denn der Rolle diesmal gerecht?

    Schmitz: Ja, er musste sich da einsingen, wie sich alle etwas einsingen mussten in diesen sehr entschleunigten "Parsifal". Der Däne, um mit ihm vielleicht zu beginnen, Stephen Milling, hat anfangs die größten Schwierigkeiten gehabt, sich mit seinem Bass Gurnemanz auf das langsame Pulsieren des Rhythmus einzulassen. Ventris war sehr eng, aber dann wurde es doch frei in seiner Stimme. Er hat das in Bayreuth allerdings besser gemacht, wie ich finde. Auch Jewgeni Nikitin als Amfortas hatte Probleme. Aber alle schwangen sich doch schließlich auf diese riesigen Bögen mit sehr kraftvoll strömender Energie ein, was der Kundry, der litauischen Violetta Urmana, von Anfang an eigentlich am besten gelungen ist.

    Schäfer-Noske: Der Filmemacher Werner Herzog hat ja gesagt, sein "Parsifal" sei durch seinen letzten Film über die Arbeit der Wissenschaftler in der Antarktis inspiriert. Wie zeigt sich denn dieser Einfluss?

    Schmitz: Na ja, es ist wirklich im ersten Aufzug eine Art Polarstation, die man sieht, im ewigen Eis, riesige weiße Quader rechts und links. Und im Hintergrund einen Parabolspiegel, der sich permanent um die eigene Achse dreht, eine Parabolantenne, die ins Weltall hineinhorcht. Und darüber der geheimnisvolle, gewaltige, unendliche Weltraum über der Gralsregion im Eis. Und zu Verwandlungsmusik wird dann das alles zeitlupenartig auseinandergezogen und in Zeitlupe schweben dann Eisenstangen und Eisengerüste, von oben ein riesiger Parabolspiegel nach unten auf die Bühne. Das ist so eine Art Techniktanz, wie man das Stanley Kubrick "Odyssee im Weltraum" gesehen hat. Herzog hat nicht versucht zu aktualisieren, er hat konkrete Bilder geschaffen. Er hat auch nicht historisiert, er hat keinen neuen Zugang gesucht. "Alle Macht der Musik" ist eigentlich das Motto von Herzog, könnte man sagen. Trotz der konkreten Bebilderung im zweiten Aufzug, bei den Blumenmädchen in der Klingsorwelt ist man unter die Erde oder unters Eis getaucht, gewissermaßen. Man sieht rote Korallen und die Blumenmädchen, die ja Parsifal verschlingen wollen, sind fleischfressende Pflanzen.

    Schäfer-Noske: Aber wie geht denn diese Antarktisstation mit der Handlung im "Parsifal" zusammen?

    Schmitz: Es ist eigentlich nur ein Zweck, dass man so eine Welt evoziert, die nicht konkret gebunden ist an historische, an örtliche Gegebenheiten. Ich meine, Herzog lässt die Sänger nun auch nicht wild agieren, Parsifal geht nicht Kundry an den Kragen. Und so sollen hier alle Gefühle und alle Gedanken in der Musik erzählt werden. Das ist sehr wohltuend, finde ich, klärend, auch nach dem Bilderüberschwang, der Bilderüberlagerung, diesem barocken Drallen der "Parsifal-Inszenierungen" in Bayreuth in den letzten Jahren von Stefan Herheim und Christoph Schlingensief. Es ist ein Regietheater der Enthaltsamkeit, etwas skurril wird es am Ende. In diesem gestirnten Himmel erscheint dann ein Raumschiff und das entpuppt sich als der Palau de les Arts, das Opernhaus von Valencia. Erlösung gibt es nur in der Kunst. Das ist etwas kitschig, trivial, aber auch schon selbstironisch eigentlich, ganz nett am Ende, aber doch überraschend.

    Schäfer-Noske: Christoph Schmitz war das über die "Parsifal-Inszenierung" des Filmemachers Werner Herzog in Valencia.