Heinlein: Herr Kuhn, was ist der Unterschied zwischen akzeptieren und unterstützen?
Kuhn: Wir haben in unserem Antrag eine Formulierung gewählt, die versucht, sehr viele Leute für diesen Antrag mitzunehmen, denn die Delegierten werden ja auch bewegen, wie die Abgeordneten in der Gesamtsituation letzte Woche gehandelt haben. Ich glaube der Antrag entfaltet im Text sehr genau, warum wir "akzeptieren" schreiben. Es war ja eine Gesamtentscheidung zu treffen: durch die Verbindung der inhaltlichen Frage, wie steht man zu der Bereitstellung, deutsche Soldaten für einen Einsatz gegen die Terroristen auf der einen Seite. Mit der Vertrauensfrage für die Koalition war ja auch für diejenigen, die den Einsatz kritisch sehen - solche gibt es bei uns, solche gibt es bei der SPD -, keine einfache Situation entstanden.
Heinlein: Aber das ist kein klares Votum für die Truppe, so wie es Fischer und Schröder fordert?
Kuhn: Doch, das ist ein klares Votum, denn die Partei sagt in der Summe, es war richtig, wir akzeptieren, was die Fraktion entschieden hat und wie die Minister sich entschieden haben. In dem Antrag, wenn Sie ihn durchlesen, steht ja auch klar, dass wir für den Kampf gegen den Terrorismus sind, auch mit militärischen Mitteln, übrigens aus dem einfachen Grund, weil die Bedrohung, die weiter existiert, angegangen werden muss, weil jede Politik die eigene Bevölkerung vor solchen heimtückischen Anschlägen schützen muss. Deswegen sind wir für ein breites Konzept, für ein breites Vorgehen gegen die Terroristen, das auch eine militärische Komponente haben kann. Ich glaube eigentlich die Ereignisse in Afghanistan zeigen, dass es auch gelungen ist, ein doch sehr terroristisches Regime wie das Taliban-Regime jetzt entscheidend zurückzudrängen.
Heinlein: Aber dennoch haben Sie sehr bewusst diese Formulierung gewählt und die Aussage "unterstützen" oder "befürworten" vermieden. Warum denn?
Kuhn: Wir haben geschrieben "akzeptieren", weil es genau darum geht. Die Fraktion hat eine Entscheidung getroffen und es geht darum, ob die Partei hinter ihr steht. Ich finde, dass dies mit dem Verb "akzeptieren" deutlich zum Ausdruck kommt.
Heinlein: Akzeptiert denn die grüne Partei die Außenpolitik ihres Außenministers oder unterstützt sie Joschka Fischer ohne Wenn und Aber?
Kuhn: Sie machen da jetzt eine sehr feinsinnige Unterscheidung auf. Ich glaube, dass die Partei voll hinter Joschka Fischer steht, jedenfalls in der großen Mehrheit. Viele haben ja gesagt, sie sind zwar gegen den Einsatz, aber wollen, dass die Koalition weitergeht, weil sie sich sicherer fühlen in Deutschland, wenn jemand wie Joschka Fischer die Außenpolitik der Bundesregierung verantwortet, und so wird es auch in der Partei gesehen.
Heinlein: Warum hat dann Fischer gesagt, er hat das Gefühl, er werde von der Basis hängen gelassen?
Kuhn: Es gab ja in den letzten Wochen Kritik in der Basis an dem Einsatz. Das ist klar. Darüber kann man auch nicht hinwegreden. Die Aufgabe in Rostock wird es jetzt sein, die Partei zu einer größeren Geschlossenheit zu bringen, und ich glaube, dass dies mit dem Antrag des Bundesvorstandes gut gelingen kann.
Heinlein: Wird denn die Formulierungskunst des Vorstandes ausreichen, um die Pazifisten in Ihrer Partei zu besänftigen und einzubinden in die Gesamtpartei?
Kuhn: Wenn Sie unseren Antrag hernehmen und auch das, was die Bundestagsfraktion in der letzten Woche wie ich finde positiv integriert hat, dann sagen wir ja, wir wollen, dass die Kritik, die es bei uns an einem Militäreinsatz gibt, an einem möglichen wie in Afghanistan, sich in unserer Partei auch artikulieren kann, weil die in unserer Partei eine Rolle spielt. Wissen Sie die Vorstellung, dass eine Partei völlig einheitlich bei so entscheidenden Fragen eine Meinung hat und es nicht Mehrheits- und Minderheitsmeinungen gibt, die halte ich für falsch, denn überall in der Bevölkerung wird kontrovers diskutiert. Und wir wollen diejenigen, die das kritisch sehen, bei uns eben auch zu Wort kommen lassen. Auf dieser Ebene und auf diese Art und Weise können die Grünen zusammen gut agieren.
Heinlein: Dann machen wir doch einmal eine Rechnung auf. Auf dem SPD-Parteitag gab es 90 Prozent Zustimmung für den Afghanistan-Kurs der Bundesregierung. Mit wie viel Prozent Zustimmung wären Sie denn morgen in Rostock zufrieden?
Kuhn: Ich will da nicht in Zahlen spekulieren. Ich glaube, dass die Grünen zusammenstehen, zu einer mehrheitlichen Position kommen, zu einer Mehrheit, die dann auch trägt für die Weiterarbeit in der rot/grünen Regierung, denn die wollen alle Grünen. Ein ganz großer Teil jedenfalls sagt, wir wollen die Koalition nicht aufgeben. Ich glaube, dass wir diese beiden Fragen deswegen so zusammenbringen können, dass am Schluss die Botschaft klar steht: die Grünen stehen hinter dieser Regierung, weil sie außenpolitisch, aber auch innenpolitisch viel gestalten wollen und können, wenn es eine rot/grüne Regierung gibt.
Heinlein: Eine Mehrheit, das sind 51 Prozent. Würde Ihnen das reichen?
Kuhn: Jetzt wollen Sie mich doch auf die Zahlenspekulation locken. Ich finde schon, dass es gut wäre, wenn es eine deutliche Mehrheit gibt, deutlicher als die, welche Sie genannt haben. Sie werden aber von mir nicht hören, wo genau die Zahl liegt.
Heinlein: Warum verknüpft denn die Parteiführung in ihrem Antrag die Frage des Bundeswehreinsatzes mit der Zukunft von rot/grün? Ist das eine Art Vertrauensfrage für Joschka Fischer?
Kuhn: So würde ich es nicht nennen, aber die Frage ist faktisch miteinander verbunden. Wenn die Partei mehrheitlich sagen würde, die Politik der Bundestagsfraktion und der drei grünen Minister in dieser Frage war falsch, dann sehe ich keine Grundlage mehr für einen Fortbestand der Koalition. Das sehen auch andere so. Das ist übrigens in so einer zentralen Frage auch logisch. Deswegen haben wir das zusammen formuliert. Man kann, so schön das wäre, die beiden Fragen nicht einfach voneinander trennen.
Heinlein: Und was geschieht, wenn in Rostock die Delegierten dennoch darauf beharren, diese beiden Fragen zu trennen?
Kuhn: Man kann solche Fragen getrennt abstimmen, aber sie sind faktisch miteinander verbunden. Deswegen wissen auch alle in der Partei, dass ein Nein zu der Frage, wie die grüne Fraktion sich entschieden und abgestimmt hat, auch ein Nein zur Koalition ist. Das kann man glaube ich nicht anders deuten.
Heinlein: Hat sich denn durch die bevorstehende Afghanistan-Konferenz am Montag in Bonn die Stimmung bei den Grünen gewandelt? Haben Sie da ein Gefühl?
Kuhn: Natürlich haben die Ereignisse in Afghanistan und auch die Konferenz, die in Bonn beginnt, auch etwas verändert an der Diskussion. Es ist ja in Afghanistan klar geworden, dass dort ein terroristisches Regime, das Taliban-Regime, das brutalsten Terror gegen die eigene Bevölkerung ausgeübt hat, jetzt nicht mehr die Macht hat. Dass eine positive Gestaltung dessen, was nun in Afghanistan an neuer Regierung folgen kann, in Deutschland verhandelt oder vorverhandelt wird, ist auch eine Anerkennung dieser Bundesregierung, die ja mit Joschka Fischer den Vorsitz der Afghanistan-Support-Group hat, die sich sehr um die politische Gestaltung und um die Unterstützung der Flüchtlinge kümmern kann und in der Vergangenheit schon gekümmert hat. Im Kern würde ich sagen, dass alle wissen, es wäre auch völlig absurd, in so einer Situation den deutschen und grünen Außenminister Joschka Fischer zu schwächen.
Heinlein: Ist denn der Außenminister isoliert in seiner Partei? Antje Vollmer hat in einem Interview die große Distanz zwischen Fischer und seiner Partei bemängelt. Teilen Sie die Ansicht der Bundestagsvizepräsidentin?
Kuhn: Ich teile diese Ansicht überhaupt nicht. Dann sollten Sie mal vor Ort in Kreisverbänden sein, wenn entschieden wird, wo Joschka Fischer im Wahlkampf auftritt. Es gibt eine große Hochachtung vor ihm und seiner grünen Politik. So eine Einschätzung, wie sie dort geäußert worden ist, ist einfach faktisch falsch.
Heinlein: Also es gibt keine Kluft zwischen oben und unten, zwischen den Kabinettsmitgliedern und der Basis?
Kuhn: Es gibt in jeder Partei, die regiert, natürlich die Differenz zwischen denen, die dies in Berlin tun, und der Basis vor Ort. Aber ich glaube, dass diese Differenz bei uns nicht so breit ist, wie sie vielleicht in anderen Parteien ist, und zwar deswegen, weil wir auch viel vor Ort sind, miteinander diskutieren und sprechen.
Heinlein: Zum morgen in Rostock beginnenden Parteitag der grüne Parteichef Fritz Kuhn heute Morgen hier im Deutschlandfunk. - Herr Kuhn, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio