Anfang April. Nach den Bund-Länder-Beratungen wollen Kanzlerin Angela Merkel, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder und Hamburgs erster Bürgermeister Peter Tschentscher die Verlängerung der Kontaktbeschränkungen über Ostern hinaus verkünden - in einer telefonischen Pressekonferenz.
Während Merkel aus der Homeoffice-Quarantäne in ihre Telefonanlage spricht, knarzt und rauscht es so sehr, dass Regierungssprecher Steffen Seibert die Konferenz abbricht – und die Leitung dann erneut aufbaut.
"Ja, Merkel."
"Jetzt sind wieder alle zugeschaltet, bitte um Verständnis."
"Ist der Söder noch dabei?"
"Ja, der Söder ist noch dabei."
"Ich fang dann wieder von vorne an, weil der Ton schlecht war, ja gut."
"So ist es leider."
"Ist schon okay."
"Meine Damen und Herren…"
"Ja, Merkel."
"Jetzt sind wieder alle zugeschaltet, bitte um Verständnis."
"Ist der Söder noch dabei?"
"Ja, der Söder ist noch dabei."
"Ich fang dann wieder von vorne an, weil der Ton schlecht war, ja gut."
"So ist es leider."
"Ist schon okay."
"Meine Damen und Herren…"
Das Umstellen auf Pandemie-Modus ist zur Normalität geworden. Im Windschatten der Krise spielten sich große und weniger große, aber markante Umbrüche ab. Der "Hintergrund" im Deutschlandfunk schaut in der Serie "Im Schatten von Corona – Nebenwirkungen" auf fünf Politikfelder.
Der vorliegende Hintergrund ist Teil 3 der Serie.
28.12.2020
Europa und die USA – Trumps transatlantisches Erbe
29.12.2020
Globaler Handel in Zeiten von Corona
31.12.2020
Straßburg – Abgehängte Parlamentsstadt
1.1.2021
Brexit im Pandemiemodus
Der vorliegende Hintergrund ist Teil 3 der Serie.
28.12.2020
Europa und die USA – Trumps transatlantisches Erbe
29.12.2020
Globaler Handel in Zeiten von Corona
31.12.2020
Straßburg – Abgehängte Parlamentsstadt
1.1.2021
Brexit im Pandemiemodus
Digitale Grenzen schnell erreicht
Das Beispiel aus dem Frühstadium der Pandemie zeigt: Schon bei einer digitalen Telefonkonferenz stößt Spitzenpolitik schnell an technische Grenzen. Rund acht Monate später haben sich nicht nur Pressekonferenzen, sondern viele weitere, einst analoge Formate des Politischen ins Digitale verlagert. Und damit auch die Auftritte von Politikern und Politikerinnen.
"Herzlich Willkommen live aus München. Hier ist der erste digitale Deutschlandtag der Jungen Union. Zukunftsmodus an!"
Ende November findet das jährliche Treffen der Jugendorganisation von CDU und CSU erstmals virtuell statt. Gesendet wird per Livestream aus der Parteizentrale der CSU in München.
Mit Maske und Abstand steigen der Chef der JU Bayern und der Vorsitzende der gesamten Jungen Union, Tilman Kuban, auf die Bühne. Kuban, hellblaues Hemd, beige Hose, Sneaker, schaut in eine Kamera: "Digital ist das neue Normal. So ganz normal ist das alles für uns noch nicht. Politik macht auch in der Pandemie keine Pause. Neue Formate sind notwendig."
Erstmals wählt die JU an diesem Wochenende auch ihren Vorstand digital – Jugendorganisationen ist das im Gegensatz zu ihren Mütterparteien, die digitale Wahlen derzeit noch per Briefwahl bestätigen müssen, gestattet. Zugeschaltet aus Saarbrücken wird auch Verteidigungsministerin und Noch-CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer:
"Corona hat dazu geführt, dass wir nicht mehr nur über Digitales reden, sondern, dass wir digital geworden sind. Ja, auch gezwungenermaßen. Und man sieht: Eine Krise kann manchmal auch etwas Gutes mit sich bringen."
Erstmals wählt die JU an diesem Wochenende auch ihren Vorstand digital – Jugendorganisationen ist das im Gegensatz zu ihren Mütterparteien, die digitale Wahlen derzeit noch per Briefwahl bestätigen müssen, gestattet. Zugeschaltet aus Saarbrücken wird auch Verteidigungsministerin und Noch-CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer:
"Corona hat dazu geführt, dass wir nicht mehr nur über Digitales reden, sondern, dass wir digital geworden sind. Ja, auch gezwungenermaßen. Und man sieht: Eine Krise kann manchmal auch etwas Gutes mit sich bringen."
Der "volldigitale" Parteitag?
Mitte Januar wird auch die CDU ihren Parteitag, auf dem der neue Vorsitzende gewählt werden soll, volldigital abhalten. Der Nachfolger von Kramp-Karrenbauer wird von den 1.001 Delegierten digital gewählt und mit anschließender Briefwahl rechtsverbindlich bestätigt. Der Parteitag der Linken Ende Februar wird in hybrider Form stattfinden: ein Tag online, ein Tag dezentral an 16 verschiedenen Orten in Präsenzform – anders als die AfD, die ihren Parteitag gegen alle Widerstände in reiner Präsenzform durchführte.
Als öffentliche Online-Veranstaltung hatte die SPD ihr sogenanntes Debattencamp Mitte Dezember auch schon vor Corona geplant. Ein Auftritt nach Plan war es für Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz trotzdem nicht: "Liebe Genossen und Genossinnen, so hatten wir uns das nicht gedacht. Eigentlich. Aber dieses Debattencamp ist anders. Denn die Zeiten in den wir heute leben, sind auch ganz anders, als wir uns das vorgestellt haben. Wir treffen uns im digitalen Raum, weil wir das können und das war von vornherein so geplant. Aber wir treffen uns auch im digitalen Raum, weil wir das müssen."
"Ich habe den Eindruck, dass Corona ein maximaler Treiber war von Digitalisierung in Parteien", sagt Martin Fuchs. Er ist Blogger und berät Parteien, Regierungsbehörden und Parlamente bei digitaler politischer Kommunikation: "Es sind extrem viele neue Formate entstanden. Es haben sich digitale Strukturen gebildet, neue Prozesse wurden initiiert. Nicht nur in Bundesparteien, sondern auch in Landesparteien und auf kommunaler Ebene."
Ob im Kleinen oder im Großen, ob Parteitage, Wahlkämpfe oder Bürgerdialoge: Die Corona-Pandemie und die Kontaktbeschränkungen wirken wie ein Katalysator für die sonst eher trägen Versuche, traditionelle Strukturen zu digitalisieren. Überall im Land und über fast alle Parteien hinweg haben digitale Formate analoge ersetzt, wurden Strukturen angepasst. Online-Stammtische sind zum Standard geworden.
Neben der FDP hatten auch die Grünen ihre Partei bereits vor der Pandemie auf vielen Ebenen digital organisiert. Im Corona-Jahr 2020 gibt es nun auch Webinare zu digitalen Tools für Parteimitglieder, eine eigene Datencloud, eine mobile Mitglieder-App - und auch die Arbeit am Grundsatzprogramm lief während der Pandemie einfach wie vorher digital weiter. Verabschiedet hat die Partei das Programm auf dem offiziellen Parteitag Mitte November – ebenfalls digital.
Ob im Kleinen oder im Großen, ob Parteitage, Wahlkämpfe oder Bürgerdialoge: Die Corona-Pandemie und die Kontaktbeschränkungen wirken wie ein Katalysator für die sonst eher trägen Versuche, traditionelle Strukturen zu digitalisieren. Überall im Land und über fast alle Parteien hinweg haben digitale Formate analoge ersetzt, wurden Strukturen angepasst. Online-Stammtische sind zum Standard geworden.
Neben der FDP hatten auch die Grünen ihre Partei bereits vor der Pandemie auf vielen Ebenen digital organisiert. Im Corona-Jahr 2020 gibt es nun auch Webinare zu digitalen Tools für Parteimitglieder, eine eigene Datencloud, eine mobile Mitglieder-App - und auch die Arbeit am Grundsatzprogramm lief während der Pandemie einfach wie vorher digital weiter. Verabschiedet hat die Partei das Programm auf dem offiziellen Parteitag Mitte November – ebenfalls digital.
"Ob live oder digital. Demokratie ist lebendig"
"Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Delegierte, liebe Gäste, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer im Stream. Ich begrüße Sie und Euch zum 45. Parteitag von Bündnis90/Die Grünen und zugleich zur ersten volldigitalen BDK in unserer Geschichte."
Gesendet wird damals über drei Tage lang aus einer Berliner Eventlocation. Zur Eröffnung erstrahlt das Parteitagsmotto in Gelb auf einer großen Video-Leinwand: "Jede Zeit hat ihre Farbe". Auf einer Bühne davor steht Michael Kellner, der politische Bundesgeschäftsführer der Grünen, mit Headset im Ohr.
"Ob live oder digital. Demokratie ist lebendig. Sie braucht Raum. Und manchmal geht auch was schief. Wenn das Leben digital ist, dann muss auch Demokratie digital sein."
Gesendet wird damals über drei Tage lang aus einer Berliner Eventlocation. Zur Eröffnung erstrahlt das Parteitagsmotto in Gelb auf einer großen Video-Leinwand: "Jede Zeit hat ihre Farbe". Auf einer Bühne davor steht Michael Kellner, der politische Bundesgeschäftsführer der Grünen, mit Headset im Ohr.
"Ob live oder digital. Demokratie ist lebendig. Sie braucht Raum. Und manchmal geht auch was schief. Wenn das Leben digital ist, dann muss auch Demokratie digital sein."
Gelingt das? Das wollten in drei Tagen mehr als 100.000 Zuschauer und Zuschauerinnen des offiziellen Parteitag-Streams wissen. Michael Kellner selbst zieht wenige Wochen später ein positives Fazit: "Wir haben es auch schon geschafft, ein kleines, digitales Wir-Gefühl zu schaffen, wenn Bilder der Delegierten auf der Leinwand zu sehen waren, wie wir immer wieder auch Geschichten und Videos reingeholt haben von Delegierten. Da haben wir immer wieder versucht, so ein Wir als Gesamtpartei herzustellen."
Dieses Wir-Gefühl haben sich die Grünen einiges kosten lassen: Der digitale Parteitag war am Ende für die Bundesgeschäftsstelle teurer als ein analoger. Und er bedurfte neben den der inhaltlichen Vorbereitung auch eines deutlich größeren, organisatorischen Planungsaufwands: Die Halle musste entsprechend der Hygienevorschriften gestaltet, eine Parteitagschoreografie für das Digitale entwickelt, funktionierende Technik vorbereitet werden. Nur die Landesverbände und ihre Delegierten haben Kosten gespart – sie mussten weder anreisen noch auswärts übernachten.
Delegierte per Videostream zugeschaltet
Am Veranstaltungsort anwesend waren neben Kellner das Parteitagspräsidium, der Bundesvorstand, einige JournalistInnen, die Regie- und Technikcrew – sowie ein Moderationsduo, das von einer Wohnzimmer-Couchecke aus durch den Parteitag leitete. Die rund 800 Delegierten wurden per Videostream zugeschaltet. Über eine parteiintern entwickelte Software lief auf einer Ebene der offizielle Parteitags-Stream, auf dem – für alle offen - Debatten, Abstimmungen und Reden live gesendet wurden.
"Dahinter gab es dann einen Backstage-Bereich, wo die RednerInnen reinkamen, wo getestet wurde: Stimmt der Ton, stimmt das Bild? Wo aus diesen Video-Räumen dann live geschaltet wurde in den Stream."
Im digitalen Backstage-Bereich mussten sich die potenziellen Redner und Rednerinnen zudem als Mitglied verifizieren lassen. Anschließend konnten sie ihre Wortmeldung im Hauptstream abgeben.
"Dahinter gab es dann einen Backstage-Bereich, wo die RednerInnen reinkamen, wo getestet wurde: Stimmt der Ton, stimmt das Bild? Wo aus diesen Video-Räumen dann live geschaltet wurde in den Stream."
Im digitalen Backstage-Bereich mussten sich die potenziellen Redner und Rednerinnen zudem als Mitglied verifizieren lassen. Anschließend konnten sie ihre Wortmeldung im Hauptstream abgeben.
"Wenn man sich anschaut, was die Grünen gemacht haben. Das hat ganz gut funktioniert", sagt Claudia Ritzi, Politikwissenschaftlerin an der Universität Trier, die zu Partizipation und digitaler Demokratie forscht.
"Und sie haben es auch technisch gut geschafft, die Debatten laufen zu lassen. Ein großer Vorteil ist beispielsweise, dass man immer ganz schnell auch Mehrheiten und Beschlussfähigkeiten schaffen kann, weil die Leute sich nicht mehr so oft verlaufen oder die Stadt anschauen gehen, wo das gerade stattfindet. Also, das hat Vorteile. Es war eine stringente Meinungsbildung und eine sehr fokussierte Debatte."
"Und sie haben es auch technisch gut geschafft, die Debatten laufen zu lassen. Ein großer Vorteil ist beispielsweise, dass man immer ganz schnell auch Mehrheiten und Beschlussfähigkeiten schaffen kann, weil die Leute sich nicht mehr so oft verlaufen oder die Stadt anschauen gehen, wo das gerade stattfindet. Also, das hat Vorteile. Es war eine stringente Meinungsbildung und eine sehr fokussierte Debatte."
Es fehlt etwas
Technisch hat es bis auf wenige Ausnahmen tatsächlich kaum Probleme gegeben. Nach zahllosen, teils langatmigen, digitalen Abstimmungen und Redebeiträgen aus Delegiertenwohnzimmern steht am Ende des Parteitags das digital beschlossene Grundsatzprogramm. Formal sei der Parteitag daher durchaus gelungen, sagt Politikwissenschaftlerin Ritzi: "Gleichzeitig fehlt natürlich was. Es fehlen die persönlichen Kontakte, es fehlen die Zwischenrufe, es fehlt Emotionalität."
Dass nicht nur das soziale, eine Partei verbindende Element fehlte, sondern auch sonst vieles im Digitalen anders ist, wird spätestens bei den Reden der beiden Parteivorsitzenden deutlich. Sowohl Robert Habeck, grauer Anzug, schwarzes Hemd, als auch Annalena Baerbock in langem weißem Kleid, lesen ihre Reden von einem Teleprompter ab.
"Moin. Hallo. Guten Tag. Sehr geehrte Damen und Herren. Liebe Freundinnen, liebe Freunde. Willkommen mit uns hier in diesem digitalen Raum in dieser seltsamen Zeit"
"Wir, Du, Sie rücken mit Abstand zusammen in der Überzeugung, dass sowohl harte Einschränkungen unserer Freiheit als auch wirtschaftliche Kosten gerechtfertigt sind."
Analogen Applaus bekamen die beiden aus der leeren Halle nicht – ebenso wenig Widerspruch oder Buhrufe. Rückmeldung gab es digital - als klickbares Emoji.
"Ja, ich habe es auch als sehr steril empfunden", sagte Annalena Baerbock kurz nach dem Parteitag im Deutschlandfunk.
"Weil wenn man in einer riesengroßen Halle steht, wo sonst Zirkusveranstaltungen und sonstige stattfinden, aber da ist sonst niemand, es ist stockfinster, man schaut in eine Kamera, wo man auch niemanden sieht, damit das Ganze ja gefilmt und gestreamt werden kann, dann ist das komplett anders. Parteitage, Reden leben ja davon, wie die Leute reagieren, ob sie klatschen, ob sie gelangweilt aufs Blatt schauen, und wenn man 20 Minuten überhaupt gar keine Reaktion bekommt – Fernsehmoderatoren sind da vielleicht geübt. Politiker machen eigentlich einen anderen Job."
Dass nicht nur das soziale, eine Partei verbindende Element fehlte, sondern auch sonst vieles im Digitalen anders ist, wird spätestens bei den Reden der beiden Parteivorsitzenden deutlich. Sowohl Robert Habeck, grauer Anzug, schwarzes Hemd, als auch Annalena Baerbock in langem weißem Kleid, lesen ihre Reden von einem Teleprompter ab.
"Moin. Hallo. Guten Tag. Sehr geehrte Damen und Herren. Liebe Freundinnen, liebe Freunde. Willkommen mit uns hier in diesem digitalen Raum in dieser seltsamen Zeit"
"Wir, Du, Sie rücken mit Abstand zusammen in der Überzeugung, dass sowohl harte Einschränkungen unserer Freiheit als auch wirtschaftliche Kosten gerechtfertigt sind."
Analogen Applaus bekamen die beiden aus der leeren Halle nicht – ebenso wenig Widerspruch oder Buhrufe. Rückmeldung gab es digital - als klickbares Emoji.
"Ja, ich habe es auch als sehr steril empfunden", sagte Annalena Baerbock kurz nach dem Parteitag im Deutschlandfunk.
"Weil wenn man in einer riesengroßen Halle steht, wo sonst Zirkusveranstaltungen und sonstige stattfinden, aber da ist sonst niemand, es ist stockfinster, man schaut in eine Kamera, wo man auch niemanden sieht, damit das Ganze ja gefilmt und gestreamt werden kann, dann ist das komplett anders. Parteitage, Reden leben ja davon, wie die Leute reagieren, ob sie klatschen, ob sie gelangweilt aufs Blatt schauen, und wenn man 20 Minuten überhaupt gar keine Reaktion bekommt – Fernsehmoderatoren sind da vielleicht geübt. Politiker machen eigentlich einen anderen Job."
Veränderungen des politischen Stils
Wegen der Corona-Pandemie müssen sich Parteien und ihre VertreterInnen jedoch vorerst an digitale Parteitagsformate gewöhnen. Und das habe Konsequenzen für den Stil der politischen Kommunikation, sagt Politikwissenschaftlerin Claudia Ritzi.
"Das Ganze kriegt so ein professionelles Antlitz, wie die Moderation von Fernsehsendungen. Wenn man sich anschaut, wie die Parteivorsitzenden das gemacht haben und in ihrer Couchecke saßen. Das war alles so, wie die sich das vorgestellt haben. Konnten ein sympathisches Bild rüberbringen, das war frisch und jugendlich und alles. Aber natürlich fehlt auch was."
Die Grenzen zwischen Inhalten und Inszenierung würden im Digitalen sowieso schon länger verschwimmen. Die Corona-Pandemie habe den Trend zum Politainment, zur Unterhaltung in der Politik, nur verstärkt:
"Wenn man es als ein Instrument unter mehreren nimmt und sagt, das soll wirken wie eine Einstiegsdroge, um überhaupt erstmal eine Hemmschwelle, mit Politikern in Kontakt zu treten, abzubauen, dann hat das auch positive Effekte."
Positiv seien auch die Effekte für die innerparteiliche Demokratie, sagt die ehemalige Piraten-Politikerin Marina Weisband. Weisband leitet heute ein digitales Beteiligungsprojekt für Schulen und arbeitet als Kolumnistin, unter anderem für den Deutschlandfunk. Sie spricht aus Erfahrung: Als die Piratenpartei zwischen 2011 und 2012 in Umfragen sogar kurzzeitig auf bis zu 13 Prozent kletterte, verdankte sie das besonders ihrem Wesenskern: der digitalen Demokratie.
"Das Ganze kriegt so ein professionelles Antlitz, wie die Moderation von Fernsehsendungen. Wenn man sich anschaut, wie die Parteivorsitzenden das gemacht haben und in ihrer Couchecke saßen. Das war alles so, wie die sich das vorgestellt haben. Konnten ein sympathisches Bild rüberbringen, das war frisch und jugendlich und alles. Aber natürlich fehlt auch was."
Die Grenzen zwischen Inhalten und Inszenierung würden im Digitalen sowieso schon länger verschwimmen. Die Corona-Pandemie habe den Trend zum Politainment, zur Unterhaltung in der Politik, nur verstärkt:
"Wenn man es als ein Instrument unter mehreren nimmt und sagt, das soll wirken wie eine Einstiegsdroge, um überhaupt erstmal eine Hemmschwelle, mit Politikern in Kontakt zu treten, abzubauen, dann hat das auch positive Effekte."
Positiv seien auch die Effekte für die innerparteiliche Demokratie, sagt die ehemalige Piraten-Politikerin Marina Weisband. Weisband leitet heute ein digitales Beteiligungsprojekt für Schulen und arbeitet als Kolumnistin, unter anderem für den Deutschlandfunk. Sie spricht aus Erfahrung: Als die Piratenpartei zwischen 2011 und 2012 in Umfragen sogar kurzzeitig auf bis zu 13 Prozent kletterte, verdankte sie das besonders ihrem Wesenskern: der digitalen Demokratie.
"Als Piratenpartei waren wir ja 2011 da, wo Parteien heute sind. Ich hatte keine einzige physische Vorstandssitzung mein erstes Jahr über. Ich habe immer aus dem Home-Office die Vorstandssitzungen gemacht. Das war normal."
Die Piraten sind in der Versenkung verschwunden. Durch die Corona-Pandemie hält ihre Normalität nun, rund zehn Jahre später, Einzug in den politischen Betrieb. Weisband ist inzwischen Grünen-Mitglied und hat die Partei beim netzpolitischen Teil des Grundsatzprogramms beraten. Mit Blick auf den digitalen Parteitag sagt sie:
"Wir können über digitale Medien sehr viel bessere Teilhabeprozesse gestalten, als wir sie bisher hatten. Das bedeutet: Es können sich vielmehr Leute auf einmal beteiligen."
Auch für Jeanette Hofmann, Politikwissenschaftlerin am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, ist das einer der größten Vorteile virtueller Parteitagsformate:
"Dadurch, dass das digital stattgefunden hat, haben Leute daran teilgenommen, die das unter anderen Umständen vielleicht nicht hätten tun können, wenn es bedeutet hätte, dass sie ein ganzes Wochenende irgendwo hinfahren müssen. Wer kleine Kinder zu Hause hat oder jemand Pflegebedürftigen, der kann nicht zwei, drei Tage verschwinden und zu einem Parteitag fahren. Insofern hat das auch eine integrative Komponente."
Auch Menschen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten, die von analogen Parteitagen teilweise ausgeschlossen waren, könnten an einem digitalen Parteitag viel einfacher teilnehmen. Für andere wiederum könnten die Hürden größer werden, sagt Marina Weisband:
"Sie schließen diejenigen aus, bei denen der Netzausbau nicht weit genug fortgeschritten ist, dass sie den Livestream gar nicht mitverfolgen können. Sie schließen diejenigen aus, die nicht über Endgeräte verfügen oder sich nicht mit Endgeräten auseinandersetzen können. Und vielleicht kommen ältere Menschen etwas schwerer hin. Letzten Endes plädiere ich ja genau deshalb für diese Vielfalt von politischer Arbeit, dass wir sowohl Präsenz haben als auch Online-Beteiligung. Alle hybriden Formate. Alles was Politik auf verschiedenste Weisen zugänglich und transparent macht, ist positiv zu bewerten."
Hybride Formate, wie sie Weisbands Einschätzung zufolge wohl auch nach der Pandemie Bestand haben dürften, würden den Informationsfluss deutlich demokratisieren. Und in der Tat: So viel politische Kommunikation und Information auf so vielen Kanälen, die für jeden potenziell verfügbar und überprüfbar sind, hat es wohl noch nie gegeben. Auch die Formate der Exekutive wurden an die neuen Gegebenheiten angepasst:
"Die Bundeskanzlerin im Gespräch im Dialog heißt unser digitaler Bürgerdialog. Und damit herzlich willkommen aus dem Bundeskanzleramt in Berlin."
Anfang November fand der erste von vier digitalen Bürgerdialogen von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Corona-Virus statt. Ins Kanzleramt zugeschaltet waren bei der Premiere Auszubildende aus ganz Deutschland, die ihre Sorgen schildern und Fragen stellen konnten. Nicht der einzige Versuch des Kanzleramts, sich in Pandemiezeiten neue Kommunikationskanäle zu erschließen, um die weitreichende Krisenpolitik zu erklären. Das Bundesgesundheitsministerium startete eine Kampagne auf der chinesischen Video-App TikTok. Mit dabei auch Gesundheitsminister Jens Spahn.
"Ich bin Jens Spahn und neu hier auf TikTok. Wir ihr wisst, hat das Corona-Virus unser Land zurzeit fest im Griff. Als Minister arbeite ich dafür…"
Viel-Twitterer und Politiker auf Twitch
Unter dem Motto "Zusammen gegen Corona" informierte das Ministerium von März an in kurzen Videoclips über die Corona-Politik der Bundesregierung. Es vertiefte Informationen wie die Entwicklung der Fallzahlen auf einer eigens dafür aufgelegten Website und intensivierte wie viele andere Behörden die Aktivitäten auf Facebook, Instagram und Twitter.
"Ich bin prinzipiell ein Freund davon, dass Politik versucht auch dort zu sein, wo auch der Bürger, die Bürgerin ist und sie dort anzusprechen, wo die Lebensrealität stattfindet, wo das Freizeitverhalten von BürgerInnen ist", sagt Blogger und Politikberater Martin Fuchs zu dieser Entwicklung.
"Und das ist heute nicht nur in Pandemiezeiten nicht der Eingangsbereich eines Supermarktes. Von daher finde ich das gut, dass man experimentiert, dass man da unterwegs ist."
"Ich bin prinzipiell ein Freund davon, dass Politik versucht auch dort zu sein, wo auch der Bürger, die Bürgerin ist und sie dort anzusprechen, wo die Lebensrealität stattfindet, wo das Freizeitverhalten von BürgerInnen ist", sagt Blogger und Politikberater Martin Fuchs zu dieser Entwicklung.
"Und das ist heute nicht nur in Pandemiezeiten nicht der Eingangsbereich eines Supermarktes. Von daher finde ich das gut, dass man experimentiert, dass man da unterwegs ist."
Doch die Experimentierfreude führt nicht nur dazu, dass immer mehr ungefilterte Informationen gesendet werden. Sondern auch dazu, dass neben Parteien und Regierungsakteuren immer mehr einzelne Politiker und Politikerinnen auf immer mehr Kanälen immer aktiver werden – und die Unübersichtlichkeit steigt: Ob SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach auf Twitter Studien zum Corona-Virus teilt, CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak zum Livetalk mit einem Virologen auf Instagram einlädt – oder FDP-Chef Christian Lindner auf der Gaming-Plattform Twitch über Politik spricht: Die Pandemie verstärke so die sich bereits seit einiger Zeit vollziehende Fragmentierung der politischen Öffentlichkeit, sagt die Politikwissenschaftlerin Claudia Ritzi von der Universität Trier. Junge Menschen hätten in diesem Prozess einen Vorteil: Sie könnten sich die digitalen Medien schneller aneignen.
"Manche Leute können, insbesondere ältere Menschen, nach wie vor ausschließlich nur die Nachrichten in den dritten Programmen rezipieren. Das heißt: Es gibt ein Auseinanderdriften von Informationswelten."
Wichtig sei, dass diese Informationswelten weiterhin in einen gemeinsamen, demokratischen Diskurs eingebunden werden könnten - und nicht isoliert in Echokammern stattfinden. So würde niemand durchs Raster fallen – und Junge gegenüber Älteren, noch häufiger in Parteien aktiven Menschen sogar an Einfluss und Repräsentanz gewinnen:
"Häufig würden wir sagen, dass eher die Jungen unterrepräsentiert sind im politischen Prozess und in der politischen Öffentlichkeit. Insofern ist das einerseits ein Instrument, wo sich die junge Generation einen Zugang schaffen kann, der häufig fehlt. Aber nichtsdestotrotz bleibt dieses Risiko, dass wir zu viele unangebundene, auch individualisierte Informationswelten haben, die nicht mehr zueinander sprechen. Das ist in der Tat eine große Bedrohung und Herausforderung für die Demokratie."
Gerade weil so viel digital abläuft, müssten bestehende Bindungen daher noch intensiver gepflegt werden als vorher, sagt Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner. Digitale Formate seien zwar schön, aber kein Ersatz für
"Menschen zu überzeugen gelingt am besten im persönlichen Kontakt. Digital ist dann halt ein Werkzeug, um gute Kampagnen zu fahren und zu organisieren. Aber es wird nicht die Muster von Politik verändern, dass es auch um persönliche Beziehungen und Kontakte geht, um Freude am Gemeinsamen politischen Arbeiten geht. Das wird alles Digitalisierung nicht ersetzen können."