"Nicht drängeln, Platz für alle, wir beißen nicht, wir fressen keinen."
Der örtliche Bezirkssprecher der AfD Berlin-Spandau steht aufgekratzt an der schweren Holztür zum Bürgersaal: Scharenweise strömen die Besucher herein zum Vortragsabend der Alternative für Deutschland: überwiegend grauhaarige Männer, ein paar Frauen. West-Berliner Mittelschicht im regenfesten Parka.
"Wir sind Mitglied, und ich schätze das an der AfD, dass sie mal einen anderen Wind reinbringt gegenüber den anderen Parteien!"
Sylvia Schaffer erschrickt erst einmal über das Mikrofon. Dann taut die 71-Jährige doch noch auf, denn eigentlich will sie ja genau das: Endlich auch einmal gehört werden:
"Man hat so das Gefühl, dass man bei den anderen Parteien nicht mehr richtig ernst genommen wird. Oder zumindest die Demokratie ist nicht mehr gegeben, und wir hoffen, dass die AfD uns da weiterhilft."
Die Schaffers waren über 40 Jahre CDU-Wähler, aber die "Merkel-Politik" ist nicht ihre, dazu die Fremdbestimmung aus Brüssel und dann auch noch die Eurorettung, stöhnt jetzt Herr Schaffer:
"Wir haben zehn Jahre in Griechenland gelebt, wir haben das ganze Desaster des Euros mitbekommen, wir haben auch mit feststellen müssen, wie die Armut ganz exorbitant steigt und die Leute praktisch jetzt ihre Häuser vermieten an Touristen und selber in Garagen wohnen. Also, das kann es nicht sein!"
Die Intrigen und Machtkämpfe im Parteivorstand, der Flirt der AfD mit der Pegida-Bewegung, die fremdenfeindlichen Äußerungen aus den eigenen Reihen: All das interessiert die meisten Besucher an diesem Abend im Rathaus Spandau nur am Rande.
"Wenn das jetzt so rüberkommt, dann mag das vielleicht auch teilweise von den Medien auch so verdreht und verstellt werden. Die Medien sollte man ein bisschen mehr kontrollieren, denn da wird auch geschrieben, wie es gerade passt."
Ehrengast Henkel
Längst nicht alle im Publikum sind Mitglied bei der AfD, doch genau darauf sind die Organisatoren so stolz: Dass eingefleischte SPD- oder CDU-Wähler jetzt mal hören wollen, was die anderen so zu bieten haben ... zum Beispiel diesen Herrn:
"Hallo, halloooo, Herr Henkel!!"
Ehrengast Hans-Olaf Henkel, Europa-Abgeordneter und Vize-Sprecher der AfD wird gleich im Bürgersaal von Spandau über "Vernunft, Anstand und Toleranz" sprechen. Erst mal will er aber eines in eigener Sache klarstellen.
"Und wenn man jetzt sagt, ach, das ist ja eine rechte Partei ... wissen Sie, wieso ich zu einem Rechten geworden bin? Wenn alles nach links marschiert, und Sie bleiben stehen, ja dann sind Sie irgendwann rechts!"
Henkel äußert durchaus auch Kluges und Nachdenkliches - zum Euro oder zur Subsidiarität in Europa. Dann wieder übermannt ihn Empörung. Heiko Maas kommt jetzt an die Reihe. Der Bundesjustizminister hatte der AfD vorgeworfen, den Terror von Paris zu instrumentalisieren:
"Wie dieser Mann es fertig kriegt, uns in die rechtsnationale Ecke zu stellen, das ist unglaublich. Also, manchmal habe ich das Gefühl, na ja, ich muss mich hier ein bisschen vorsehen, weil hier auch Presse ist. Aber eins möchte ich mal klarstellen, das ist kein Minister für Justiz, das ist ein Minister für Schnelljustiz."
Henkels Vortrag bleibt den Abend über schrill. Nicht im Tonfall, aber in der Aussage. Eurorettung, Zuwanderung und der Islam werden als angebliche Tabuthemen klassifiziert und das EU-Parlament lächerlich gemacht. Ausnahme: die sieben AfD-Abgeordneten.
"Keiner von uns war vorher in der Politik. Stellen Sie sich das vor, wie schrecklich! Da kommen Leute, die schon mal in ihrem Leben was Anständiges gemacht haben!"
Streit in der Führungsriege
Der Abend endet schließlich im Saal mit Fragen aus dem Publikum. Ausgerechnet zu den Intrigen an der Führungsspitze.
"Ja, Thorsten Weiß, Vorsitzender der Jungen Alternative in Berlin. Etwas, was mich mit großer Sorge erfüllt, ist die interne Auseinandersetzung. Müssen denn diese ständigen Auseinandersetzungen ständig an die Presse weitergegeben werden?"
Diese Frage ist eine Steilvorlage für Hans-Olaf Henkel: Die Gelegenheit, um an diesem Abend noch eine wichtige Botschaft unters Volk zu bringen: Die AfD brauche künftig nur noch einen statt drei Vorstandssprecher - und schon wäre aller Streit vorbei:
"Ich weiß nicht, ob Sie sich vorstellen können, einem Konzert zu lauschen mit drei Dirigenten. Oder Hertha BSC mit drei Kapitänen. Das sind alles Sachen, die nicht funktionieren. Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass wir spätestens mit dem Satzungsparteitag dieses Thema beendet haben, rechtzeitig vor Hamburg."
Umfragen zufolge könnte die AfD bei der Hamburg-Wahl im Februar erstmals in ein westdeutsches Landesparlament einziehen - wenn sich die Führungsriege nicht vorher selbst zerlegt. Hans-Olaf Henkel klingt durchaus besorgt, als der offizielle Teil des Abends vorbei ist:
"Wir haben zwei Entscheidungen zu treffen. Die erste ist, dass wir uns von diesem Drei-Sprecher-Modell trennen, denn das ist mitverantwortlich für diese Kakofonie, über die sich ja nicht nur ich oder andere Kollegen meiner Partei ärgern, sondern auch die Öffentlichkeit. Und die zweite Entscheidung ist dann, wer soll's werden? Und da wird Herr Lucke sich hoffentlich bewerben, ich werde jedenfalls für ihn stimmen."
Für Sonntag hat Vorstandssprecher Bernd Lucke unter anderem alle Kreisvorsitzenden zu einem informellen Treffen eingeladen, um noch vor dem Parteitag der AfD Ende Januar die internen Zänkereien endlich zu beenden. Nicht nur wegen der Hamburg-Wahl, sondern auch aus Imagegründen: Wir wollen ja am Ende nicht dastehen wie diese Piraten - sagt ein führendes AfD-Mitglied aus Berlin.