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Parteitag der AfD
"Die AfD hat sich chamäleonhaft entwickelt"

Die AfD sei eine Partei, die sich fliegende Ziele suche, sagte der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte im Deutschlandfunk. Das sei typisch für eine Empörungsbewegung. Je disparater, je unterschiedlicher die Partei heute und morgen agiere, umso interessanter werde sie für weitere Empörungswähler.

Karl-Rudolf Korte im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte.
    Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. (dpa/picture alliance/Karlheinz Schindler)
    Dirk-Oliver Heckmann. Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen. Schönen guten Tag, Herr Korte!
    Karl-Rudolf Korte: Guten Tag!
    Heckmann: Wie entscheidend ist der Parteitag in Stuttgart für die Zukunft der AfD?
    Korte: Der ist sehr entscheidend, weil er die Identität der Partei beschreibt und damit auch die Angriffsfläche sowohl für die Programmatik, in welche Richtung man versucht zu mobilisieren, als auch für die anderen Parteien, mit welchem Thema sie sich zukünftig auseinanderzusetzen haben.
    "Verschiedene Facetten sind attraktiv für eine Protestbewegung"
    Heckmann: Also geht es aus Ihrer Sicht um eine Richtungsentscheidung, einen Richtungskampf zwischen einem eher liberal-konservativen Kreis um Frauke Petry auf der einen Seite und einem national-konservativen bis nationalistischen um Alexander Gauland und Björn Höcke, oder wird die AfD versuchen, das gesamte Spektrum abzudecken?
    Korte: Wenn sie clever und klug ist, wird sie das ganze Spektrum behalten. Sie hat sich chamäleonhaft entwickelt von Eurogegnerschaft, über Flüchtlinge bis jetzt Islamthematik. Sie wird sich andere Themen suchen, fliegende Ziele gerade zu suchen, das ist typisch für so eine Empörungsbewegung. Sie hält den anderen Parteien damit immer ein Stöckchen hin, und sie sollen da drüber springen. Insofern, wenn man verschiedene Facetten hat, ist man auch attraktiv für eine Protestbewegung, und das ist sie in erster Linie ja.
    Heckmann: Noch zu Zeiten, in denen Bernd Lucke Parteichef war – wir erinnern uns alle –, da haben wir Sie bereits gefragt, was ist die AfD, ist sie konservativ, ist sie rechts, ist sie rechtspopulistisch oder sogar rechtsextrem? Sie sagten damals, Herr Korte, sinngemäß, das wird sich noch entscheiden. Wie lautet denn heute Ihre Diagnose?
    Korte: Das ist eine Partei im Werden, die wir auch an den Kriterien nach wie vor messen sollten, eine junge Partei, die in verschiedenen Richtungen sich weiterentwickeln kann. Das ist nicht vorherzusehen nach so einer kurzen Zeit. Was wir erkennen, ist, dass sie sehr professionell in Organisationsfragen sind, wie sie die Parteitage organisieren, dass sie sehr schnell zur Bundestagswahl in allen Bundesländern auch Listen hatten, um anzutreten. Das haben neue Parteien in der Regel nicht oder konnten die neuen Parteien nicht. Also wie sie professionell im Politikmanagement ihrer Organisation vorgehen, spricht nicht dafür, dass es irgendwie schnell verschwindet, aber eine neue Partei zieht einfach unterschiedliche, schillernde Personen auch an, als Delegierte, als Mitglieder, die zum Teil in anderen Parteien gescheitert sind oder nicht weitergekommen sind. Wir erinnern uns an die Piraten-, an die Grünen-Neugründung, das dauert oft viele Jahre und sind Häutungsprozesse, deswegen auch jetzt: Es ist offen, und je amorpher, je disparater, je unterschiedlicher die Partei heute und morgen agiert, umso interessanter wird sie für weitere Empörungswähler sein.
    "Eine rechtere Entwicklung ist auf jeden Fall erkennbar"
    Heckmann: Bernd Lucke und seine Anhänger sind Geschichte, sind ja ausgetreten, haben eine andere Partei gegründet, ALFA mit Namen – ist die Partei dadurch nach rechts gerutscht, weiter nach rechts, deutlicher nach rechts?
    Korte: Ja. Von den Delegierten, von den Mitgliedern, von denen, die Verantwortung tragen, ist das klarer erkennbar und auch eine Teilung. Wir haben moderatere Flügel, im Westen eher rechts-populistisch, geradezu rechtsradikale Teile auch im Osten. Wie gesagt, von den Mitgliedern vom Vorstand von den Landesverbänden, das trifft nicht auf die Wähler gleichermaßen zu, aber eine rechtere Entwicklung ist auf jeden Fall seit dem Austritt von Herrn Lucke oder nach der Veränderung durch Lucke ganz klar erkennbar, aber die Wähler sind nach wie vor die Besorgten, übergangene, verbitterte, eine Versammlungsbewegung an Leuten, die antielitäre Wut zum Ausdruck bringen durch die Wahl, und deshalb im Westen ein bisschen anders agieren als im Osten. Das ist im Moment das, was diese Partei vielleicht auch in zwei Teile zerlegt.
    Heckmann: Wenn Sie den Osten ansprechen, da denkt man natürlich auch sofort an Björn Höcke in Thüringen. Der hatte ja vor Monaten immer wieder mit radikal anmutenden Auftritten für Schlagzeilen gesorgt. Ich erinnere daran, dass er unter Anderem vom afrikanischen Ausbreitungstyp gesprochen hatte. Das Ausschlussverfahren gegen Höcke, das damals angestrengt worden war, das wurde gestoppt, und der Parteivorstand, der hat sich von ihm distanziert, aber dennoch ist Höcke weiter in der Partei. Denken Sie, dass Frauke Petry sich lieber von diesem Flügel trennen würde, wenn sie es denn könnte?
    Korte: Nein, das glaube ich nicht. Dieser geradezu völkische Kampfverband – so wirkt das in einigen Bundesländern – hat offenbar Resonanz im Osten, und sie ist gut beraten, das auch in dieser Sammlungsbewegung mit an Bord zu halten. Wenn sie sich davon massiv versucht zu trennen, ist nicht nur ihre Position fraglich, sondern dann wird sie auch im Osten weniger Zustimmung bekommen für diese Partei. Das zusammenzuhalten ist wichtig – immer auf der Gradwanderung natürlich, es muss grundgesetzkonform sein. Es ist kein Verfassungsschutzthema, es darf nicht rechtsradikal sein. Wenn diese bürgerliche Fassade, die im Westen ganz klar bei der Partei erkennbar ist, beschädigt wird, dann gibt es keine Wähler aus der Mitte. Wenn das dumpfer Rechtsradikalismus ist, gibt es keinen Wähler im Westen, der das über fünf Prozent irgendwie goutieren würde, aber im Osten ist die Einstellung anders zu diesem Punkt. Deswegen hat Herr Höcke nach wie vor auch seine Fans.
    "Moslems gehören zu dieser Gesellschaft"
    Heckmann: Da sind wir dann beim Stichwort Grundgesetz, was Sie gerade erwähnt haben: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland", das steht im Entwurf dieses Grundsatzprogramms. Wir werden sehen, ob das so verabschiedet wird. Es gibt da Politikwissenschaftler, die sagen, mit einer solchen Formulierung verlasse die AfD den Boden des Grundgesetzes. Sehen Sie das auch so?
    Korte: Ich sehe es erst mal das Grundgesetz, das den Artikel 3 und 4 alle Aspekte des Glaubens und der Freiheit regelt, auch nicht Benachteiligt sein in seinem Glauben. Es kommt darauf an, wie das die Partei jetzt ausformuliert. Nur so eine Behauptung aufzustellen besagt erst mal nichts. Fünf Millionen Moslems leben hier oder Gläubige, die an den Islam hier glauben, insofern gehören sie zu dieser Gesellschaft als andere Deutsche mit einem anderen Glauben genau dazu, wie andere Christen auch, aber wie man das jetzt buchstabiert in dem operativen Alltag, ob das heute in der Programmatik überführt wird in konkrete Maßnahmen, wie man dann zu interpretieren hat, was man eben doch an Benachteiligung für diese Gruppe einbaut, das wird sich erst zeigen. Je mehr das ausgeführt wird in einer Diskriminierung einer Minderheit, umso mehr passt das auch in keiner Weise zu Artikel 3 und Artikel 4.
    Heckmann: Aber da wird man im Grundsatzprogramm noch ein bisschen vage bleiben, so wie es aussieht. Dennoch die Frage, Herr Korte, die AfD setzt jetzt verstärkt auf das Thema Islam. Wie erfolgversprechend ist das aus der Sicht des Politikwissenschaftlers?
    Korte: Das ist erfolgversprechend, weil auch in der Mehrheitsgesellschaft es Kritik gibt an einem falsch verstandenen Islam, wenn er islamistisch daherkommt. Das ist eben eine diffuse Angst, und mit dieser Angst und mit diesem Ressentiment arbeitet die Partei, weil es auch international durch die Krisen immer wieder unterstützt wird, dass man vom Islamischen Staat hört. Da wird alles miteinander vermengt, und das führt zu einer Verunsicherung in der bürgerlichen Mitte durchaus, und die ist anfällig für so etwas. Anfällig, um sich mit mehr Komplexität, mit Globalisierung, mit mehr Unterschiedlichkeit auseinanderzusetzen. Mit dieser Anfälligkeit arbeitet die Partei, aber das kann sich in ein paar Monaten wieder ändern. Dann wird sich die Partei ein neues Ziel suchen. Das sind fliegende Ziele. Das macht so eine Empörungsbewegung aus, und sie wird weiter damit auch mobilisieren können.
    "Auf das Ende von großen Koalitionen setzen"
    Heckmann: Die AfD – letzte Frage, Herr Korte –, die hat ungeahnte Wahlerfolge einfahren können bei den vergangenen Landtagswahlen in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz, in Sachsen-Anhalt. Im Herbst stehen dann die Wahlen in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern an – denken Sie, dass die AfD ihren Erfolgskurs wird fortsetzen können?
    Korte: Ja, und das wird auch von den anderen Parteien vor allen Dingen abhängen, ob sie Themen aufnimmt und ob sie diese Partei vielleicht auch überbewertet. Manchmal ist Ignorieren auch hilfreicher in einer Aufregungsdemokratie, nicht über alle Themen lauthals herfallen, die jetzt eine Protestpartei stark macht.
    Heckmann: Aber das wurde zu Beginn versucht, die Partei möglichst zu ignorieren. Hat nicht funktioniert.
    Korte: Ja, Einbinden, Anpassen, Ignorieren – es gibt unterschiedliche Zielgruppen, aber die letzten Tage mit Islam haben eben auch gezeigt, dass man sofort wieder auf alles drauf springt, was in irgendeiner Weise als großes Thema versucht wird. Entscheidend ist, dass die anderen Parteien erst mal ihre große Koalition langfristig nicht mehr anstreben und insofern einen politischen Diskurs, auch Streitkulturen wieder anstiften, dass wir öffentlich politisch über Kontroversen uns auseinandersetzen können. Das ist, glaube ich, wichtig, denn die Kernwähler mit dem antielitären Vorwurf zielen gegen große Koalitionen, die die Konsensorganisation voller politischer Ökumene daherkommen und vieles auf den Minenfeldern vorher abgeklärt haben. Wer einen liberativen Ansatz hat, einer lebhaften, kontroversen Demokratie, muss auch auf das Ende von großen Koalitionen setzen und wird dann auch wieder Wähler finden.
    Heckmann: Der Politikwissenschaftler Professor Karl-Rudolf Korte. Schönen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.