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Parteitag der Grünen in Berlin
"Ich sehe keine grundsätzliche Alternative"

In der grün-schwarzen Koalition in Baden-Würtemberg könne er keinen grünen Kuschelkurs erkennen, sagte der Politologe Hubert Kleinert im Dlf. "Es würde den Grünen nicht besser gehen, wenn sie Koalitionsoptionen da, wo sie inhaltlich vertretbar sind, einfach auslassen würden", sagte kleinert mit Blick auf den heutigen Parteitag.

Hubert Kleinert im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Cem Oezdemir beim Parteitag der Grünen am 16.06.2017
    Cem Oezdemir beim Parteitag der Grünen am 16.06.2017 (imago/IPON)
    Sandra Schulz: Zwei Wahlschlappen, nämlich bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen mit einem Einbruch beim Wahlergebnis und im Saarland, wo die Grünen aus dem Landtag rausgeflogen sind, und ein Wahlsieg in Schleswig-Holstein, wo die Jamaika-Koalition jetzt einen Koalitionsvertrag vorgestellt hat. Das ist die Zwischenbilanz der Grünen im wichtigen Wahljahr 2017. Bei keiner der Abstimmungen sahen die Meinungsforscher Rückenwind aus dem Bund. Wie wollen sich die Grünen positionieren? Oder halten die Grünen Positionen inzwischen generell für überbewertet? Das ist ja der Vorwurf, den Kritiker der Partei machen. Darüber beraten die Grünen seit gestern auf ihrem Parteitag in Berlin.
    Und mitgehört hat Hubert Kleinert, Gründungsmitglied der Grünen und Professor für Sozialwissenschaften an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung in Gießen. Schönen guten Tag!
    Hubert Kleinert: Ja, hallo!
    Schulz: Wenn man die Grünen wählt, dann werden sie schwarz! – Auf die Zuspitzung hat es vor einiger Zeit mal die "heute-show" gebracht. Ist das ein Problem für die Partei oder ist das strategisch klug?
    Kleinert: Das kommt glaube ich darauf an, was man unter dem Begriff "schwarz" dann versteht. Also, wir haben eine CDU, die sich zumindest in Teilen ja doch wesentlich verändert hat im Laufe der letzten vor allen Dingen zehn, 15 Jahre. Wir haben gleichzeitig eine Konstellation, in der rot-grüne Mehrheiten, sagen wir mal, selten geworden sind. Und so kommt es eben, dass es da und dort auch Zusammenarbeit gibt zwischen Union und Grünen. Natürlich am spektakulärsten in Baden-Württemberg, wo das Ganze unter grüner Führung stattfindet. Ich glaube, das ist der Hintergrund. Man muss glaube ich im Einzelnen sehen, was dann dabei herauskommt. Und ich meine, so schlecht ist das ja für die Grünen bislang nicht gelaufen mit Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg.
    Im Gespräch: Der Politologe und Hochschulprofessor Hubert Kleinert
    Im Gespräch: Der Politologe und Hochschulprofessor Hubert Kleinert (dpa/picture alliance/Frank May)
    Schulz: Was ist denn an dessen Politik grün?
    Kleinert: Ich denke, dass nach wie vor in Baden-Württemberg oder auch in Baden-Württemberg das Thema Ökologie ganz groß geschrieben wird. Natürlich spielt es eine Rolle, dass in wir Baden-Württemberg sozusagen einen der wichtigsten Wirtschaftsstandorte in Deutschland haben und dort natürlich auch ökonomische Fragen – Stichwort Automobilbranche in erster Linie – eine ganz große Rolle spielen. Ich kann aber nicht erkennen, dass Winfried Kretschmann jetzt sozusagen Unionspolitik betreiben würde in Baden-Württemberg.
    Schulz: Ja, aber der Kuschelkurs – das sind jetzt nicht meine Worte, sondern das ist ja Kritik, die durchaus auch von der grünen Basis kommt – mit der Automobilindustrie, wie lässt sich die denn subsumieren unter ökologische Politik?
    Kleinert: Da müssen Sie die beteiligten Akteure fragen. Aber ich kann jetzt nicht recht erkennen, was in Baden-Württemberg den Begriff Kuschelkurs verdienen würde. Also, das kann ich jetzt … Im Übrigen ist natürlich die Vorstellung, dass Sie einen Ministerpräsidenten hätten, der in einem solchen Land wie Baden-Württemberg, das in dem Maße auf Automobilindustrie … oder wo die Arbeitsplatzsituation so maßgeblich von der Automobilindustrie mitgeprägt wird, sozusagen im harten Konflikt permanent steht zur Automobilindustrie, einigermaßen unrealistisch. Aber ich … Meine Aufgabe sehe ich jetzt nicht darin, die Politik der baden-württembergischen Grünen zu verteidigen. Zumindest die Wähler in Baden-Württemberg haben ja bislang doch in einer Deutlichkeit, wie das beispiellos ist in der Geschichte der Grünen, ein positives Votum darüber gefällt.
    Den Grünen geht es heute ähnlich wie der FDP in den 90ern
    Schulz: Herr Kleinert, was die Konstellation auch – das will ich ja gar nicht bestreiten – besonders interessant macht … Wenn wir jetzt schauen auf das Gesamtbild der Partei, auch das Gesamtbild der Partei vor allem im Bund, darum geht es ja jetzt in Berlin und mit Hinblick auf die Bundestagswahl … Dieser Vorwurf, dass die Partei zu beliebig sei, dass die jetzt neuerdings mit allen zusammenarbeiten und eben auch – da waren wir jetzt gerade – teilweise gar nicht klassisch grüne Politik mehr machen … Diesen Vorwurf müssen sie dann – verstehe ich Sie da richtig – gar nicht so ernst nehmen, die Grünen?
    Kleinert: Natürlich liegt – ich habe das selber auch schon mal so verglichen mit der FDP der 90er-Jahre – ein Problem darin, wenn eine Partei – und das ist natürlich durch die Konstellation im Parteiensystem mitbedingt – mit unterschiedlichen Koalitionspartnern in den Ländern agiert. Natürlich liegt da ein Problem, vor allen Dingen wenn man meistens der kleinere Partner ist, für das eigene Profil darin. Wie gesagt, die FDP hat auch schon mal so eine Situation erlebt in den 90er-Jahren, da war man an sehr vielen Regierungen beteiligt, gleichzeitig hat die Partei immer stärker Profil eingebüßt in den Augen der Wähler. Eine gewisse strukturelle Parallele, das kann man gar nicht abstreiten, dass die Grünen auch dieses Problem haben.
    Der Landesvorsitzende der baden-württembergischen CDU, Thomas Strobl (r), und der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) geben am 24.03.2016 in Stuttgart (Baden-Württemberg) nach der Fortsetzung der Sondierungsgespräche von Grünen und CDU zur möglichen Bildung einer gemeinsamen Landesregierung eine Pk.
    Prüfstein für die Grünen: Die schwarzgrüne Koalition in Baden-Würtemberg. Im Bild: Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne, li.) und der Landesvorsitzende der CDU, Thomas Strobl (picture alliance / dpa / Philip Schwarz)
    Aber ich vermag nicht zu sehen, was jetzt die grundsätzliche Alternative für die Grünen sein sollte. Die Grünen sind eine normale Partei wie die anderen auch geworden, mit spezifischen eigenen Inhalten. Diese politische Partei versucht, ihre Inhalte umzusetzen, guckt nach der jeweiligen Konstellation und versucht, wenn es irgend geht, wenn man meint, genug gemeinsame Schnittmengen zu erreichen, dann auch eine solche Koalition einzugehen. Was wäre die Alternative? Ständig große Koalitionen in Ländern zuzulassen? Ich glaube, es würde den Grünen nicht besser gehen, wenn sie Koalitionsoptionen da, wo sie einigermaßen inhaltlich vertretbar sind, einfach auslassen würden und so eine Art Kurs der Fundamentalopposition fahren würden. Ich glaube, dann stünden die Grünen bestimmt nicht besser da, als sie heute dastehen.
    Das grüne Spitzenpersonal verschafft sich zu wenig Gehör
    Schulz: Ja, Herr Kleinert, so ähnlich hat es Robert Habeck heute Morgen ja auch gesagt in unserer Frühsendung hier bei uns im Deutschlandfunk. Robert Habeck – da muss man jetzt die Klammer schließen oder den Bogen spannen –, der ja nicht als Spitzenkandidat antritt, weil die Basis es nicht so gewollt hat. Wir haben dieses Spitzenduo Özdemir/Göring-Eckardt, mit dem die Partei jetzt aber doch fremdelt. Können Sie uns erklären, warum?
    Kleinert: Ich weiß gar nicht, ob das so zutrifft, dass die Partei damit fremdelt. Also, ich würde Ihnen insofern Recht geben, dass es ein gewisses Ausstrahlungsproblem gibt des Spitzenpersonals in Berlin. Sie haben es bislang nicht recht verstanden, sagen wir mal, nach außen … ganz vorne in der deutschen Politik Gehör zu finden, so möchte ich es mal ausdrücken. Und das ist sicherlich auch ein Punkt, der vielleicht an der grünen Basis so empfunden wird. Aber gut, das war knapp mit Habeck und Özdemir, das hätte auch anders ausgehen können.
    Ob das jetzt dann anders wäre, wenn Habeck es wäre, darüber kann man auch nur spekulieren. Also, es gibt sicherlich ein gewisses Problem, was diese Ausstrahlungswirkung anbelangt, das kann man im Ernst, glaube ich, nicht bestreiten, auch wenn die beiden das sicherlich nicht gerne hören. Aber die Grünen haben sie gewählt und nun muss man auch sehen, wie man das Beste daraus macht.
    Schulz: Der frühere Grünenpolitiker und Politologe Hubert Kleinert heute Mittag im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Danke Ihnen ganz herzlich!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.