Ein Blick in den Saal während und nachdem Sahra Wagenknecht auf dem Podium redet, zeigt: Da knirscht es gewaltig und zwar nicht nur zwischen den Führungsspitzen. Die Hälfte klatscht, die andere buht und es ist Elke Breitenbach, Berliner Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, die die Fraktionschefin am schärfsten öffentlich angreift.
"Du zerlegst gerade, dadurch, dass du keine Debatten zulässt, und seit Monaten nicht zulässt, diese Partei. Du ignorierst die Positionen der Mehrheit dieser Partei. Und du hast jetzt genau wieder nachgelegt. Und ich bin nicht mehr bereit, das länger hinzunehmen."
Verwunderung über ausbleibenden Gegenantrag
Tatsächlich hat sich eine breite Mehrheit der 580 Delegierten für den Leitantrag der Parteispitze ausgesprochen und deren Asylpolitik bestätigt. Monatelang hatte Sahra Wagenknecht daran scharfe Kritik geübt und angekündigt, dass der Parteitag darunter keinen Schlussstrich ziehen wird. Dass sie dennoch keinen eigenen Gegenantrag vorgelegt hat, wundert in Leipzig viele.
"Ich bin nicht der Meinung, dass es sinnvoll gewesen wäre auf diesem Parteitag in Kampfabstimmungen am Ende mit 60 zu 40 für die eine oder andere Position zu entscheiden. Ich bin froh, dass der Leitantrag einen Kompromiss enthält, mit dem alle leben können. Die Formulierung "offene Grenzen für alle" ist nicht mehr drin. Zu Fragen der Arbeitsmigration steht da nichts und ansonsten stehen lauter gute und wichtige Dinge drin wo wir uns einig sind. Fluchtursachen bekämpfen, soziale Offensive, Solidarität mit Flüchtlingen. Das ist doch unsere gemeinsame Position."
Bande über Lafontaine als cleverer Schachzug
Das Gemeinsame hat sich auf diesem Parteitag jedoch nicht durchgesetzt. Daran hat auch die Parteichefin ihren Anteil. Trotz zunächst versöhnlicher Töne. In ihrer Rede betont Katja Kipping erst, dass es weder Rassisten noch Neoliberale in der Partei gebe, alle Teil der Linken seien, nur um dann wenige Momente später Oskar Lafontaine zu kritisieren, für dessen Angriffe. Über Bande zielt das auf die Fraktionschefin. Ein cleverer Schachzug, heißt es später aus dem Wagenknecht-Lager. Verwirrend und wenig konstruktiv lautet die Kritik aus dem Saal. Ein Angriff, für den sich Kipping anschließend rechtfertigen muss:
"Ich für meinen Teil bin wild entschlossen, nicht mehr nachzuhaken und zu schauen, was es da alles an Aussagen gab, die man eigentlich als Angriffe auf uns gingen, sondern zu sagen: Das ist jetzt vorbei."
Themen gingen im Führungsstreit unter
Viele in der Partei wünschen sich das auch deshalb, um wieder mehr Raum zu haben, für die Themen, die der Linken besonders am Herzen liegen: den Mangel an Wohnraum zu bekämpfen, den Notstand in der Pflege, Friedenspolitik – alles Themen, die in den vergangenen Monaten im Führungsstreit untergegangen sind. Die Quittung bekommen die Parteichefs in harten Zahlen: Nur 64,5% der Delegierten geben ihre Stimme Katja Kipping – Sie wolle ja auch kein Kuschel-Ergebnis, kommentiert die Parteichefin das schlechteste Resultat ihrer Amtszeit. Bernd Riexinger wird mit knapp 74% im Amt bestätigt. Ein klarer Dämpfer, der beiden anzumerken ist.
"Liebe Genossinnen und Genossen, vielen Dank für das Vertrauen. Vielen Dank für die Wiederwahl. Wir sind jetzt für zwei Jahre gewählt und ihr könnt sicher sein, wir werden diese Zeit gut nutzen, im Sinne unserer Partei, danke. – Ich darf mich auch ganz herzlich für das Vertrauen bedanken. Und es liegt mir viel am Herzen die Linke zu stärken. Und ich hoffe, dass wir nach zwei Jahren uns hier hinstellen können und sagen: Das ist uns gelungen. Vielen Dank für euer Vertrauen."
Alle vier gehen angeschlagen hervor
Gedämpftes Vertrauen und viel Kritik – auch in Richtung des Co-Vorsitzenden der Fraktion Dietmar Bartsch: So angeschlagen gehen alle vier aus diesem Parteitag hervor. Versöhnliche Bilder zum Ende sollen Gemeinsamkeit suggerieren, die es jenseits der Bühne nicht gibt. Zu viert stehen sie dort, um anzukündigen, wie es weitergehen soll: Geplant ist nicht nur eine gemeinsame Klausur des Vorstands von Partei und Fraktion, sondern auch eine Fachkonferenz zu strittigen Themen.
"Wir haben offensichtlich weiteren Diskussionsbedarf. Und es gibt einen klaren Wunsch dieses Parteitages, dass der nicht über die Presse ausgetragen wird, sondern innerhalb der Partei, innerhalb der Fraktion, innerhalb der Gremien."
Und so endet ein Parteitag, auf dem sich die Linke kritisch selbst befragt hat, was linke Politik in Zukunft heißen soll. Und auch, warum sie sich lieber untereinander bekämpfen, als Armut und Ungerechtigkeit.