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Partizipation der Bürger in der Sackgasse?

Keine Meinung zu Stuttgart21 zu haben, scheint derzeit unmöglich. Doch was zählt diese Meinung? Und soll die Politik überhaupt darauf hören? Mit diesen Fragen befassen sich die Autoren der aktuellen Ausgaben der politischen Zeitschriften.

Von Norbert Seitz |
    Ungeachtet des ernüchternden Schlichtungsspruchs Heiner Geißlers hat die Protestbewegung um Stuttgart 21 basisdemokratischen Auffassungen neuen Schwung verliehen. So gerät Herbert Hönigsberger in der den Grünen nahestehenden Kulturzeitschrift "Kommune" ins Schwelgen. Man beachte dabei die kühne Aufteilung der politischen Lager in: hie demokratisch, dort konservativ.

    Der Partizipationswillen, der sich in der Stuttgarter Schlichtung – diesem demokratischen Prototyp (so Geißler) – Bahn bricht, wird sich nicht beugen lassen. Die plebiszitäre Aufwertung der repräsentativen Demokratie ist eine Fahne, hinter der sich das demokratische Lager sammeln kann. Der einzige Vorsprung des konservativen gegenüber dem demokratischen Lager ist nur noch der Wille zur Macht.

    Die Schweiz hat mit ihrem Minarett-Verbot und der sofortigen Ausweisung kriminell gewordener Ausländer in letzter Zeit eher rechtstaatlich fragwürdige Beispiele für Volksabstimmungen geliefert. Dennoch rät der eidgenössische Politiker Andreas Groß, er sitzt für die Sozialdemokraten im Nationalrat, aus den positiven Erfahrungen seiner Landsleute mit Plebisziten zu lernen. Groß schreibt in der Zeitschrift "Cicero":

    Eine fein ausgestaltete direkte Demokratie trägt zu Qualitäten bei, welche moderne Gesellschaften am nötigsten haben: kollektive Lernprozesse, gesellschaftliche Integration. Vielfalt ohne Zwang, echte und freiheitliche Identifikationsmöglichkeiten und Identitätsbeschaffung ohne ethnizistische Verirrungen. Vor allem aber ermöglichen sie mehr Freiheit im ursprünglich republikanischen Sinn: Jene, die betroffen sind von Entscheidungen, sind Teil des Entscheidungsprozesses, und alle haben die Möglichkeit, miteinander jene Lebensumstände zu gestalten, die alle betreffen.
    Dass Plebiszite aber nicht nur Stärken, sondern auch Schwächen aufweisen, damit befasst sich Michael Ackermann - ebenfalls in der Zeitschrift "Kommune":

    Die Stärken des Plebiszits liegen in der Abwehr von bestimmten Projekten oder Vorhaben, also in der Zurückweisung. Die Schwäche des Plebiszits liegt bislang darin, dass mit einer Minderheit von Abstimmenden (im Verhältnis zu den Abstimmungsberechtigten) sich sogenannte "falsche Mehrheiten" vergleichsweise leicht durchsetzen können. Ein weiteres Problem kommt hinzu: Das Gefälle zwischen Meinungsführern, sprechstarken Bürgerinnen und Bürgern und einer nicht unbedeutenden schweigenden Minderheit (siehe Hamburg) wird in Plebisziten meist nicht aufgehoben, sondern eher noch verstärkt.
    Auch Wolfgang Merkel entzaubert die basisdemokratischen Erwartungen von Befürwortern direktdemokratischer Verfahren. Unkundige würden bei Plebisziten ausgeschlossen, die Kampagnen nicht vom Volk initiiert und die Ergebnisse seien zumeist als politisch konservativ einzustufen. Schreibt Merkel im linkskatholischen Traditionsblatt "Frankfurter Hefte":

    So paradox es auch klingen mag: Die Interessen des unteren Drittels unserer Gesellschaft sind in repräsentativen Institutionen besser aufgehoben als in Entscheidungen, die "das Volk" trifft. Denn wer in Volksentscheiden vor allem initiiert und abstimmt, ist nicht ein repräsentativer Querschnitt oder gar "das sogenannte Volk" selbst. Beides ist eine Fiktion.
    Doch das Unbehagen der Bürger an Demokratie und Parteienwelt hat nicht nur mit fehlenden Möglichkeiten der Einmischung zu tun, sondern auch damit, dass die bislang bestehenden Beteiligungsformen nur zum Frust aller Beteiligten geführt haben. Schreibt Herfried Münkler in der Zeitschrift der SPD-Netzwerker "Berliner Republik". Einerseits habe die Entschleunigung von Planungsprozessen den Ärger und Spott wirtschaftlicher Eliten hervorgerufen; und andererseits sei das angestrebte Mehr an Partizipation der Bürger ausgeblieben – zur Enttäuschung der Entscheidungsbetroffenen, die nun wieder zu einfachen Formen des Straßenprotests oder der Baustellenbesetzung griffen. Münkler sieht dieses Problem als ein Indiz für die Krise der Demokratie. Andere Faktoren kämen hinzu:

    Die massive Protestbewegung, die in Stuttgart trotz jahrzehntelanger Planungen mit entsprechenden Einspruchs- und Beteiligungsmöglichkeiten der Bürger entstanden ist, ist Ausdruck dessen, dass die ( ... ) bürgerschaftliche Partizipation ( ... ) in eine politische Sackgasse geführt hat. Mit Blick auf die Schlagwörter Regierungsversagen, Staatsversagen und Krise der Demokratie muss man darüber ebenso nachdenken wie über die Folgen der Globalisierung oder die Macht transnational agierender Großspekulanten oder die Verwandlung des Staates aus dem Inhaber des Monopols kollektiv bindender Entscheidungen in einen Verhandlungs- und Kooperationspartner gesellschaftlicher Gruppen und wirtschaftlicher Akteure, welche die Politik vor sich hertreiben wie motorisierte Cowboys eine Rinderherde.

    Norbert Seitz war das mit seinem Streifzug durch die politischen Zeitschriften.