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Passion für das Leiden

Bekannt ist dem europäischen Kinopublikum der Drehbuchautor und Filmregisseur Abbas Kiarostami eigentlich wegen seines Faibles für imposante Landschaftsaufnahmen oder seiner Filme mit Kindern und Laiendarstellern. Umso erstaunlicher ist, dass er sich mit seiner neuen Video-Installation "Looking at Ta'zieh" inhaltlich nun dem traditionellen schiitischen Märtyrerkult zuwendet.

Von Eberhard Spreng |
    Gewaltige Landschaftsaufnahmen sahen wir in Abbas Kiarostamis Filmen, und aus ihnen schien immer eine geheimnisvolle Macht in die Taten und Handlungen der Menschen hineinzuwirken. Was auch immer die Figuren dieser Filme sich ausdachten, Kiarostamis Kamerablick in die Berglandschaften, schütteren Olivenhaine und kargen Felder ließ jede Handlung als eine vergängliche erscheinen, so als könne schon der nächste Windhauch deren Spuren verwehen. Aus seinen Landschaftsfotos, die der iranische Regisseur neben seinen Filmen gemacht hat, sind Menschen schließlich komplett getilgt.

    Nun aber, in einer ganz ungewöhnlichen kinematographischen Installation, ist an die Stelle dieser Landschaft das Antlitz der Menschen getreten, erfasst die Kamera, oft in Großaufnahme, nichts anderes als Haut, Augen, Hände, in die sich Lebengeschichten eingeschrieben haben und Gesichter, in denen sich die Reaktionen auf ein in jährlichem Abstand immer wieder neu erlebtes Martyrium abzeichnen.

    Der westliche Zuschauer der Installation "Looking at Ta'zieh" sieht nichts anderes als Menschen, die ihrerseits zuschauen. Die Frauen auf der linken, die Männer auf der rechten Leinwand, haben sich zum Ta'zieh versammelt, in dem die Geschichte von der ungleichen Schlacht von Kerbala erzählt wird, in der das Trüppchen Imam Hussein von der Heerschar des Umayyaden-Herrschers Yazid niedergemacht wird, einem für die islamische Welt einschneidenden schismatischen Ereignis: 48 Jahre nach dem Tod des Propheten geht die Hoffnung endgültig verloren, dass der islamische Führer direkt der Familie Mohameds entstammt.

    Schiiten beziehen aus der im Oktober des Jahres 680 besiegelten Niederlage im Nachfolgestreit gegenüber den Sunniten das grundlegende Gefühl, dass ein Martyrium ihren Glauben prägt, der aussichtslose Widerstand gegen einen illegitimen Unterdrücker. Und dieses Motiv befeuert heute sogar weltweit einige Bewegungen des Djihadismus.

    Einmal im Jahr, während des Arba'in, im Monat Muharram ziehen traditionsgemäß Schiiten durch die Straßen der islamischen Welt, ritzen sich mit Messern in die Haut, schlagen sich zu rhythmischen Gesängen mit den Händen auf Brust und Stirn: Hier aber, im Ta'zieh, wird das Geschehen auf einer runden Bühne inmitten eines freien Platzes mit einfachen theatralischen Mitteln nacherzählt, begleitet von einem kleinen Orchester.

    Abbas Kiarostami dokumentiert die rot gekleideten Kräfte des Bösen, gemeint sind die Schergen des Umayyaden-Herrschers, die grün oder weiß gekleideten Vertreter des Guten – Hussein und seine Familie – und ihr plakatives Spiel lediglich auf einem kleinen Bildschirm in der Mitte seiner Installation. Unsere ganze Aufmerksamkeit soll den schwarz-weißen Bildern von Frauen gelten, die ihre Köpfe in Händen verbergen, einen Zipfel ihres Schleiers in den Mundwinkel nehmen, dann mit der rechten Hand sanft auf ihr Herz klopfen und schließlich, ebenso wenig wie auch die Männer ihre Tränen unterdrücken können, wenn ihr Imam schon in Agonie am Boden liegt und sich gleichwohl immer noch mit seinem Gesang gegen das barbarische Geschrei seiner Gegner behaupten soll, in einem noblen, quasi liturgischen Ausdruck gegen die formlose Rüpelei.

    Man hat Parallelen zwischen dem Martyrium des Hussein und dem christlichen Kreuzweg ausgemacht und tatsächlich wirkt dieses schiitische Passionsspiel in seiner theatralischen Umsetzung innerhalb einer bilderlosen Religionskultur kurios, einem Glauben, der im Westen übliche bildliche Vergegenständlichungen ausdrücklich verbietet.

    Außerdem lassen Kiarostamis Bilder vom "Mit-Leid" des Ta'zieh Publikums, bei dem jede Grenze zwischen der alten Geschichte und dem heutigen Erleben in der Trauer aufgelöst ist, an das griechische Ideal der Katharsis denken, an die Reinigung der Seelen durch Trauer und Schrecken. Es bleibt Kiarostamis Geheimnis, wie es ihm gelang, so nah in die Intimsphäre seines Ta'zieh-Publikums einzudringen, ohne dem westlichen Zuschauer seines "looking-at-Ta'zieh"-Films das peinliche Gefühl aufzudrängen, zum Voyeur eines privaten Erlebens zu werden. Porträtiert wird hier der einfache, emotionale Grundton jedes religiösen Erlebens: Näher und verwandter kann man sich diesen Menschen kaum fühlen, als beim Blick auf ihren Blick ins Theater der Geschichte.