Friedbert Meurer: Im Vatikan haben sich letzte Woche die schlimmsten Befürchtungen als wahr herausgestellt. Seit Monaten suchte man nach der undichten Stelle, über die ständig Material, Briefe, Notizen des Papstes und Akten an die Presse lanciert wurden. Jetzt sitzt Paolo Gabriele in einer Polizeizelle in Vatikanstadt im Arrest. Gabriele, 46 Jahre alt, Vater von drei Kindern, ist der Kammerdiener von Papst Benedikt, einer der allerengsten Mitarbeiter. Er gehört zur Papstfamilie, wie es heißt. Im Papamobil saß er immer ganz vorne und war auf unzähligen Fotos zu sehen. Papst Benedikt sei geschockt und betrübt, heißt es.
Vatileaks, so wurde die Enthüllungsaffäre in Anlehnung an die Enthüllungsplattform Wikileaks genannt. Einige nennen es jetzt sogar Vatigate wie Watergate. Pater Bernd Hagenkord leitet die deutsche Sektion bei Radio Vatikan. Guten Morgen, Pater Hagenkord, nach Rom!
Bernd Hagenkord: Schönen guten Morgen!
Meurer: Was bedeutet es für Papst Benedikt, dass sein Kammerdiener Paolo Gabriele verhaftet worden ist?
Hagenkord: Zunächst erst mal bedeutet das natürlich einen massiven Vertrauensbruch. Es hieß ja gerade in dem Beitrag, er gehöre zur Familie des Papstes. Das sind die sechs, sieben Menschen, die jeden Tag den ganzen Tag um ihn herum sind, egal, ob der Papst in Rom ist oder auf Reisen. Und da jemanden zu haben, der im großen Stil Dinge kopiert und weggibt an Journalisten, das ist ein massiver Vertrauensbruch. Da muss man sich dann auch mal überlegen, wie das Arbeiten eigentlich gehen kann, wenn so etwas passieren kann. Auf der anderen Seite ist es natürlich ein Schaden am Pontifikat. Wir hören jetzt nicht mehr, was der Papst sagt, sondern wir ordnen alles jetzt nur noch in diesen Skandal ein. Von daher ist das auch hier ein großer Schaden für den Papst.
Meurer: Worin besteht dieser Schaden?
Hagenkord: Ja, wie gesagt: Ich höre nicht mehr zu. Wir haben es am letzten Pfingstfest gemerkt: Der Papst hat eine Predigt gehalten, in der es eben um den Heiligen Geist ging und so weiter, aber wir, ich sage mal, wir Journalisten haben darauf geachtet, war da vielleicht eine Anspielung drin, hat er irgendwas gemeint. Also wir sind völlig konditioniert jetzt, den Papst und den Vatikan im Augenblick unter dieser Skandalrücksicht wahrzunehmen.
Meurer: Haben Sie eine Erklärung, warum Paolo Gabriele das gemacht hat? Es steht ja seine gesamte Existenz aufs Spiel, hat drei Kinder und verliert jetzt seinen Beruf. Und es droht Haft, es droht eine lange Haftstrafe.
Hagenkord: Ja, genau. Also mir ist das völlig schleierhaft. Ich muss sagen, ich kenne ihn nicht persönlich, aber so aus den Umständen heraus und aus denjenigen, die ich so gesprochen habe in den letzten Tagen, uns ist das völlig schleierhaft, wie jemand so etwas machen kann. Natürlich liegt es dann nahe zu behaupten, da gibt es eine große Verschwörung, da sitzen Leute dahinter, aber das wissen wir ja alles nicht, das sind ja alles reine Mutmaßungen. Warum jemand so was anstellt, ich kann es mir nicht vorstellen. Wir werden aber hoffentlich irgendwann darüber hören, denn der Vatikan hat ja gestern bekannt gegeben, dass Paolo Gabriele bereit ist, über die ganzen Hintergründe zu sprechen. Also irgendwann werden wir das wohl erfahren.
Meurer: Wenn wir uns das vor Augen führen, was wir eben im Beitrag gehört haben, dann könnte sich diese Verschwörung, wenn es die gibt, gegen den Kardinal Staatssekretär Bertone richten. Bertone ist so etwas, ich sage mal salopp, wie der Falke im Vatikan. Glauben Sie, dass er die Zielscheibe der ganzen Aktion ist?
Hagenkord: Ja, da zeigt sich so ein bisschen das Grundthema. Ich meine jetzt nicht, dass es sich gegen Bertone richtet, sondern dass das immer so anonym gespielt wird. Da haben irgendwelche Leute irgendwelche Informationen und geben die an die Presse weiter, sind aber nicht bereit oder fähig oder willens, ihren Namen zu sagen. Und dann werden so Dinge konstruiert, dann kommt gestern in der "La Repubblica" – darauf bezieht sich das ja – ein Interview mit einem angeblichen Spion des Vatikan, der genau diese Theorie lang und breit ausfährt, aber ohne Namen. Also ich finde das immer sehr komisch, dass solche Dinge immer anonym sein müssen. Das ist ein bisschen ein Spiel um den Vatikan herum, auch sehr stark in den italienischen Medien gespielt. Da meinen, irgendwelche Leute aus dem Vatikan Dinge veröffentlichen zu müssen. Übers Wochenende haben wir gesehen, sehr viel von dem stimmt auf einmal schlicht nicht, die sind auch schlicht widersprüchlich. Also ich bin da sehr vorsichtig, solche Dinge zu glauben. Wir müssen erst mal schauen, was die nächsten Tage ergeben, oder die nächsten Monate durch diese Untersuchung, die der Vatikan zu Vatileaks anstellt, und dann werden wir mehr wissen. Ich glaube nicht, dass das so einfach ist, wie: Da ist jemand gegen Bertone. Das glaube ich einfach nicht.
Meurer: Aber da trauen sich offenbar einige nicht, öffentlich etwas gegen Bertone, den Kardinal Staatssekretär, zu sagen, Pater Hagenkord, denn Bertone soll ja auch dafür gesorgt haben, dass jetzt der Präsident der Vatikanbank geschasst wurde.
Hagenkord: Na ja, er soll dafür gesorgt haben? Der komplette Aufsichtsrat hat dafür gesorgt, dass ein Misstrauensvotum ausgesprochen wird. Das ist nicht nur Kardinal Staatssekretär Bertone. Und die Vorwürfe gegen Ettore Gotti Tedeschi sind, was das Fachliche angeht, recht massiv. Also ich glaube nicht, dass sich das auf eine Person schließen lässt. Immerhin ist auch Gotti Tedeschi damals von Bertone eingestellt worden, um für Transparenz zu sorgen. Also ich glaube, so ganz einfach ist es nicht.
Meurer: Sie glauben nicht, dass Tedeschi Bertone da auf die Füße getreten ist?
Hagenkord: Ich glaube das nicht, nein. Ich glaube das nicht, dass das ein Punkt sei, dass das ein innervatikanisches Machtspiel sei, dem jetzt Ettore Gotti Tedeschi zum Opfer gefallen ist. Das wäre mir zu einfach. Dafür sind die Dinge auch viel zu komplex im Augenblick hier im Vatikan, als dass es nur eine einzige Erklärung gäbe.
Meurer: Wir glauben ja, es gibt einen Machtkampf sozusagen zwischen den Falken und Reformern. Wenn Sie sagen, es ist komplex, wie komplex ist das alles?
Hagenkord: Es sind persönliche Geschichten darin, es sind letztlich auch alte Geschichten darin und es ist das alte Machtspiel, wer hat bessere Freunde in den Medien, bei den Journalisten. Das ganze ist auch eine Mediengeschichte. Ich werde jetzt nicht mit Fingern zeigen, aber das ist eben auch so eine Art und Weise, wie vor allen Dingen in Italien, aber nicht nur, die Medien um den Vatikan herum funktionieren, wer spricht mit welchem Journalisten, wer schweigt, wer steckt ihm irgendwas zu. Da ist eben doch mehr dahinter. Da muss man auch mal schauen, da wird der Vatikan ja sicherlich auch noch mal nachschauen, das ist ja Teil der Geschichte. Da ist Paolo Gabriele natürlich massiv vorgegangen, der muss angeblich ja ganz kistenweise Dokumente gehabt haben. Dass man seinen Namen genannt hat, ist ja auch ein Zeichen dafür, dass er geständig ist. Also da werden wir sicherlich mehr erfahren, oder der Vatikan wird erst einmal mehr erfahren, was da eigentlich passiert. Aber diese Kultur des Herumschweigens, des anonymen Dinge Weitergebens, das finde ich viel problematischer als irgendwelche Verdächtigungen gegen irgendwelche oder für irgendwelche großen Zirkel, die da was versuchen.
Meurer: Mit welchen Methoden haben denn in der Vergangenheit italienische Medien versucht, Interna in Erfahrung zu bringen aus dem Vatikanstaat?
Hagenkord: Ja, das Übliche, was wir Journalisten machen: Wir unterhalten uns mit Leuten, die drin sind, meistens Hintergrundgespräche. Aber so das Hintergrundgespräch, wie wir es vielleicht kennen, das gibt es so in der italienischen Medienlandschaft nicht. Da geht also auch sehr viel sofort in die Öffentlichkeit, das weiß man auch, deswegen gibt es auch im Vatikan kaum Hintergrundgespräche, weil alles auch öffentlich wird. Man will hier den Scoop, man will hier auch schnell die große Überschrift, am nächsten Tag ist das schon alles wieder verraucht. Am Wochenende hatten wir ja auch unglaubliche Geschichten wie Paolo Gabriele habe schon alles gesagt und Paolo Gabriele schweige, also beides komplett widersprüchliche Geschichten, die auf den Titelseiten großer italienischer Tageszeitungen standen. Also man muss da sehr vorsichtig sein, auch was wer wem zuraunt, und ein bisschen, eine Woche warten vielleicht, bis sich das Ganze abgekühlt hat und bis der Vatikan mit seinen Untersuchungen fortgeschritten ist.
Meurer: Wir hatten in den letzten Jahren die Skandale um Bischof Williamson, dem Piusbruder, der den Holocaust leugnet, den sexuellen Missbrauch in der Katholischen Kirche. Wo ordnen Sie jetzt Vatigate ein?
Hagenkord: Williamson war ein Handwerksfehler, sage ich einfach mal. Das hat der Papst auch so genannt. Das hätte man wissen können, wissen müssen, hat man nicht gewusst, das ist schlimm gewesen. Die Sache mit dem sexuellen Missbrauch und dem Umgang damit und dem Schweigen und so weiter, das ist natürlich eine viel längere Geschichte, das geht ja über 50 Jahre, die Aufdeckung geht ja im Vatikan zurück auf die, sagen wir, letzten zehn Jahre, wo dann Ratzinger damals schon angefangen hat, massiv einzugreifen und die Sache an sich zu ziehen. Das ist natürlich eine weltweite Geschichte, da geht es nicht um den Vatikan, da geht es wirklich um die weltweite Katholische Kirche und nicht nur um die Kirche leider. Das jetzt, was jetzt passiert, wie gesagt, das greift tief in die Regierbarkeit, sage ich mal, des Vatikans ein. Wenn es wirklich so ist, dass da im Herzen jemand sitzen kann, der kistenweise Dinge, Dokumente fotokopiert und weitergibt, das ist schon ein tiefer Eingriff. Da wird man überlegen müssen, wie man da weiter vorgeht, weil wenn es wirklich ein Einzeltäter war, dann hat man ja noch mal "Glück" gehabt, so schlimm das auch ist, was da gerade veröffentlicht wird, aber dann ist man ja ein bisschen ruhig. Wenn es tatsächlich mehrere gewesen sein sollten, und ich bin da wirklich hypothetisch, ich habe da keine Ahnung, dann wird das ein Riesenproblem werden, wie man das wieder so hinbekommt, dass das Vertrauen innerhalb des Vatikans auch wieder hergestellt wird, und das wird nicht ganz einfach.
Meurer: Pater Bernd Hagenkord von Radio Vatikan nach der Verhaftung des Kammerdieners von Papst Benedikt. Danke und auf Wiederhören nach Rom, Pater Hagenkord.
Hagenkord: Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Vatileaks, so wurde die Enthüllungsaffäre in Anlehnung an die Enthüllungsplattform Wikileaks genannt. Einige nennen es jetzt sogar Vatigate wie Watergate. Pater Bernd Hagenkord leitet die deutsche Sektion bei Radio Vatikan. Guten Morgen, Pater Hagenkord, nach Rom!
Bernd Hagenkord: Schönen guten Morgen!
Meurer: Was bedeutet es für Papst Benedikt, dass sein Kammerdiener Paolo Gabriele verhaftet worden ist?
Hagenkord: Zunächst erst mal bedeutet das natürlich einen massiven Vertrauensbruch. Es hieß ja gerade in dem Beitrag, er gehöre zur Familie des Papstes. Das sind die sechs, sieben Menschen, die jeden Tag den ganzen Tag um ihn herum sind, egal, ob der Papst in Rom ist oder auf Reisen. Und da jemanden zu haben, der im großen Stil Dinge kopiert und weggibt an Journalisten, das ist ein massiver Vertrauensbruch. Da muss man sich dann auch mal überlegen, wie das Arbeiten eigentlich gehen kann, wenn so etwas passieren kann. Auf der anderen Seite ist es natürlich ein Schaden am Pontifikat. Wir hören jetzt nicht mehr, was der Papst sagt, sondern wir ordnen alles jetzt nur noch in diesen Skandal ein. Von daher ist das auch hier ein großer Schaden für den Papst.
Meurer: Worin besteht dieser Schaden?
Hagenkord: Ja, wie gesagt: Ich höre nicht mehr zu. Wir haben es am letzten Pfingstfest gemerkt: Der Papst hat eine Predigt gehalten, in der es eben um den Heiligen Geist ging und so weiter, aber wir, ich sage mal, wir Journalisten haben darauf geachtet, war da vielleicht eine Anspielung drin, hat er irgendwas gemeint. Also wir sind völlig konditioniert jetzt, den Papst und den Vatikan im Augenblick unter dieser Skandalrücksicht wahrzunehmen.
Meurer: Haben Sie eine Erklärung, warum Paolo Gabriele das gemacht hat? Es steht ja seine gesamte Existenz aufs Spiel, hat drei Kinder und verliert jetzt seinen Beruf. Und es droht Haft, es droht eine lange Haftstrafe.
Hagenkord: Ja, genau. Also mir ist das völlig schleierhaft. Ich muss sagen, ich kenne ihn nicht persönlich, aber so aus den Umständen heraus und aus denjenigen, die ich so gesprochen habe in den letzten Tagen, uns ist das völlig schleierhaft, wie jemand so etwas machen kann. Natürlich liegt es dann nahe zu behaupten, da gibt es eine große Verschwörung, da sitzen Leute dahinter, aber das wissen wir ja alles nicht, das sind ja alles reine Mutmaßungen. Warum jemand so was anstellt, ich kann es mir nicht vorstellen. Wir werden aber hoffentlich irgendwann darüber hören, denn der Vatikan hat ja gestern bekannt gegeben, dass Paolo Gabriele bereit ist, über die ganzen Hintergründe zu sprechen. Also irgendwann werden wir das wohl erfahren.
Meurer: Wenn wir uns das vor Augen führen, was wir eben im Beitrag gehört haben, dann könnte sich diese Verschwörung, wenn es die gibt, gegen den Kardinal Staatssekretär Bertone richten. Bertone ist so etwas, ich sage mal salopp, wie der Falke im Vatikan. Glauben Sie, dass er die Zielscheibe der ganzen Aktion ist?
Hagenkord: Ja, da zeigt sich so ein bisschen das Grundthema. Ich meine jetzt nicht, dass es sich gegen Bertone richtet, sondern dass das immer so anonym gespielt wird. Da haben irgendwelche Leute irgendwelche Informationen und geben die an die Presse weiter, sind aber nicht bereit oder fähig oder willens, ihren Namen zu sagen. Und dann werden so Dinge konstruiert, dann kommt gestern in der "La Repubblica" – darauf bezieht sich das ja – ein Interview mit einem angeblichen Spion des Vatikan, der genau diese Theorie lang und breit ausfährt, aber ohne Namen. Also ich finde das immer sehr komisch, dass solche Dinge immer anonym sein müssen. Das ist ein bisschen ein Spiel um den Vatikan herum, auch sehr stark in den italienischen Medien gespielt. Da meinen, irgendwelche Leute aus dem Vatikan Dinge veröffentlichen zu müssen. Übers Wochenende haben wir gesehen, sehr viel von dem stimmt auf einmal schlicht nicht, die sind auch schlicht widersprüchlich. Also ich bin da sehr vorsichtig, solche Dinge zu glauben. Wir müssen erst mal schauen, was die nächsten Tage ergeben, oder die nächsten Monate durch diese Untersuchung, die der Vatikan zu Vatileaks anstellt, und dann werden wir mehr wissen. Ich glaube nicht, dass das so einfach ist, wie: Da ist jemand gegen Bertone. Das glaube ich einfach nicht.
Meurer: Aber da trauen sich offenbar einige nicht, öffentlich etwas gegen Bertone, den Kardinal Staatssekretär, zu sagen, Pater Hagenkord, denn Bertone soll ja auch dafür gesorgt haben, dass jetzt der Präsident der Vatikanbank geschasst wurde.
Hagenkord: Na ja, er soll dafür gesorgt haben? Der komplette Aufsichtsrat hat dafür gesorgt, dass ein Misstrauensvotum ausgesprochen wird. Das ist nicht nur Kardinal Staatssekretär Bertone. Und die Vorwürfe gegen Ettore Gotti Tedeschi sind, was das Fachliche angeht, recht massiv. Also ich glaube nicht, dass sich das auf eine Person schließen lässt. Immerhin ist auch Gotti Tedeschi damals von Bertone eingestellt worden, um für Transparenz zu sorgen. Also ich glaube, so ganz einfach ist es nicht.
Meurer: Sie glauben nicht, dass Tedeschi Bertone da auf die Füße getreten ist?
Hagenkord: Ich glaube das nicht, nein. Ich glaube das nicht, dass das ein Punkt sei, dass das ein innervatikanisches Machtspiel sei, dem jetzt Ettore Gotti Tedeschi zum Opfer gefallen ist. Das wäre mir zu einfach. Dafür sind die Dinge auch viel zu komplex im Augenblick hier im Vatikan, als dass es nur eine einzige Erklärung gäbe.
Meurer: Wir glauben ja, es gibt einen Machtkampf sozusagen zwischen den Falken und Reformern. Wenn Sie sagen, es ist komplex, wie komplex ist das alles?
Hagenkord: Es sind persönliche Geschichten darin, es sind letztlich auch alte Geschichten darin und es ist das alte Machtspiel, wer hat bessere Freunde in den Medien, bei den Journalisten. Das ganze ist auch eine Mediengeschichte. Ich werde jetzt nicht mit Fingern zeigen, aber das ist eben auch so eine Art und Weise, wie vor allen Dingen in Italien, aber nicht nur, die Medien um den Vatikan herum funktionieren, wer spricht mit welchem Journalisten, wer schweigt, wer steckt ihm irgendwas zu. Da ist eben doch mehr dahinter. Da muss man auch mal schauen, da wird der Vatikan ja sicherlich auch noch mal nachschauen, das ist ja Teil der Geschichte. Da ist Paolo Gabriele natürlich massiv vorgegangen, der muss angeblich ja ganz kistenweise Dokumente gehabt haben. Dass man seinen Namen genannt hat, ist ja auch ein Zeichen dafür, dass er geständig ist. Also da werden wir sicherlich mehr erfahren, oder der Vatikan wird erst einmal mehr erfahren, was da eigentlich passiert. Aber diese Kultur des Herumschweigens, des anonymen Dinge Weitergebens, das finde ich viel problematischer als irgendwelche Verdächtigungen gegen irgendwelche oder für irgendwelche großen Zirkel, die da was versuchen.
Meurer: Mit welchen Methoden haben denn in der Vergangenheit italienische Medien versucht, Interna in Erfahrung zu bringen aus dem Vatikanstaat?
Hagenkord: Ja, das Übliche, was wir Journalisten machen: Wir unterhalten uns mit Leuten, die drin sind, meistens Hintergrundgespräche. Aber so das Hintergrundgespräch, wie wir es vielleicht kennen, das gibt es so in der italienischen Medienlandschaft nicht. Da geht also auch sehr viel sofort in die Öffentlichkeit, das weiß man auch, deswegen gibt es auch im Vatikan kaum Hintergrundgespräche, weil alles auch öffentlich wird. Man will hier den Scoop, man will hier auch schnell die große Überschrift, am nächsten Tag ist das schon alles wieder verraucht. Am Wochenende hatten wir ja auch unglaubliche Geschichten wie Paolo Gabriele habe schon alles gesagt und Paolo Gabriele schweige, also beides komplett widersprüchliche Geschichten, die auf den Titelseiten großer italienischer Tageszeitungen standen. Also man muss da sehr vorsichtig sein, auch was wer wem zuraunt, und ein bisschen, eine Woche warten vielleicht, bis sich das Ganze abgekühlt hat und bis der Vatikan mit seinen Untersuchungen fortgeschritten ist.
Meurer: Wir hatten in den letzten Jahren die Skandale um Bischof Williamson, dem Piusbruder, der den Holocaust leugnet, den sexuellen Missbrauch in der Katholischen Kirche. Wo ordnen Sie jetzt Vatigate ein?
Hagenkord: Williamson war ein Handwerksfehler, sage ich einfach mal. Das hat der Papst auch so genannt. Das hätte man wissen können, wissen müssen, hat man nicht gewusst, das ist schlimm gewesen. Die Sache mit dem sexuellen Missbrauch und dem Umgang damit und dem Schweigen und so weiter, das ist natürlich eine viel längere Geschichte, das geht ja über 50 Jahre, die Aufdeckung geht ja im Vatikan zurück auf die, sagen wir, letzten zehn Jahre, wo dann Ratzinger damals schon angefangen hat, massiv einzugreifen und die Sache an sich zu ziehen. Das ist natürlich eine weltweite Geschichte, da geht es nicht um den Vatikan, da geht es wirklich um die weltweite Katholische Kirche und nicht nur um die Kirche leider. Das jetzt, was jetzt passiert, wie gesagt, das greift tief in die Regierbarkeit, sage ich mal, des Vatikans ein. Wenn es wirklich so ist, dass da im Herzen jemand sitzen kann, der kistenweise Dinge, Dokumente fotokopiert und weitergibt, das ist schon ein tiefer Eingriff. Da wird man überlegen müssen, wie man da weiter vorgeht, weil wenn es wirklich ein Einzeltäter war, dann hat man ja noch mal "Glück" gehabt, so schlimm das auch ist, was da gerade veröffentlicht wird, aber dann ist man ja ein bisschen ruhig. Wenn es tatsächlich mehrere gewesen sein sollten, und ich bin da wirklich hypothetisch, ich habe da keine Ahnung, dann wird das ein Riesenproblem werden, wie man das wieder so hinbekommt, dass das Vertrauen innerhalb des Vatikans auch wieder hergestellt wird, und das wird nicht ganz einfach.
Meurer: Pater Bernd Hagenkord von Radio Vatikan nach der Verhaftung des Kammerdieners von Papst Benedikt. Danke und auf Wiederhören nach Rom, Pater Hagenkord.
Hagenkord: Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.