Eine Short Story von Patricia Highsmith zu lesen, ist wie mit losen Bremsen durch die Nacht fahren: Man kann nur hoffen, dass die dunkle Straße keine abschüssige ist. Nur wenige Autoren unserer Zeit verstehen sich darauf, so viel Spannung auf dichtem Raum zu erzeugen. Wenn man den Erkenntnissen der Highsmith-Biografen folgt, dann war dieses Talent zudem ein Beiläufiges. Es ist nicht gänzlich zu erklären als Resultat eines zerrissenen und oft einsam verbrachten Lebens.
Die in diesem Band versammelten Kurzgeschichten sind zwischen 1939 und 1949 entstanden. 1941 ist Highsmith 20 Jahre alt, kurz darauf hat sie ihren College Abschluss in der Tasche. Sie verdingt sich als Comic-Texterin, nimmt Absagen für ihre ersten Romanversuche entgegen. Sie ist in der New Yorker Boheme unterwegs, verwickelt sich in Liebschaften mit anderen Frauen, trinkt zu viel, hadert mit ihrer Homosexualität.
Vagabundische Figuren
Ihre prekäre Situation hallt nach in der vagabundischen Aura dieser frühen Short Storys. Die meisten Figuren wirken so verloren, als seien sie auf einer ewigen Durchreise. Schon hier arbeitet Patricia Highsmith bereits mit Paarkonstellationen, die den Stoff ihres Weltbestsellers "Zwei Fremde im Zug" vorwegnehmen. Es begegnen sich Zwei, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, deren Existenzen sich aber doch unheilvoll verschlingen. So wie die der beiden Männer aus der Short Story "Der Schatz".
"Als der Krüppel sich wieder näherte, sah er, dass ihm ein Mann entgegen schlenderte, ein kleiner Mann mit grünem Filzhut und in offenem Kamelhaarmantel über einem königsblauen Anzug. Seine kleinen grünen Augen hefteten sich auf den Krüppel, der in ihrem Bann schüchtern vorwärtsschlurfte. Sie kamen sich so nahe, dass ihre Ärmel einander berührten, und als sie die Tasche erreichten, drehten sich beide um, der eine schwerfällig, der andere verschlagen, und sahen einander an."
Highsmith gibt diesen Figuren grelle Konturen. Der eine ist ein Krüppel mit einem steifen Bein, vielleicht ein Veteran des Zweiten Weltkriegs. Der Andere, bunt gekleidet, trägt die Insignien des Clowns. Die Stofftasche, die zwischen ihnen steht, gehört keinem von beiden. Der eine hebt sie auf, der andere entreißt sie. Eine Verfolungsjagd beginnt. Diese ist auch deshalb unheimlich, da sie nicht verankert ist. Man weiß nicht, ob die beiden Männer einander kennen, ob einer von ihnen weiß, was genau sich in der Tasche befindet. Die Schritte des Krüppels [i1] [TC2] hallen auf dem nächtlichen Asphalt. Die heraufziehende Dunkelheit Manhattans wirkt – nicht nur hier - wie eine Membran, die die isolierten Individuen der Stadt umgibt.
"Er blickte starr geradeaus und achtete nicht auf seinen Schatten, den die Lichter der Laternen an der Bordsteinkante aneinander weiter reichten, den Schatten, dessen Kopf ab und zu bizarre Verrenkungen auf dem Gehsteig vollführte."
Während der Verfolgte, es ist jetzt der Mann im Kamelhaarmantel, immer schneller rennt, erhält der Leser schlaglichtartige, scheinbar willkürliche Einblicke in die randständigen Existenzen der beiden. Auch diese Gedanken geben keinen Aufschluss über die Begierde, die die beiden Männern antreibt. Begierde und Begehren, das sind ja die beiden Triebe, die bei Highsmith einem Verbrechen vorausgehen. Die Jagd endet schließlich in einer spärlich erleuchteten Wohnung. Die Tasche gehört jetzt dem Krüppel. Er öffnet sie und findet darin – nichts als in bunte Papiere gewickelte Süßigkeiten.
Komisch wie Beckett
"Diese Auflösung bietet einen Knallchargeneffekt, in dem alle aufgebaute Spannung implodiert. Genau wie Alfred Hitchcock lässt uns die Autorin hier wissen, dass wahrer Suspense im Kopf des Zuschauers stattfindet. Auch die so oft zitierte europäische Anmutung der Erzählkunst von Patricia Highsmith wird hier kenntlich. Namentlich das Doppelgängermotiv, dem der "Talentierte Mister Ripley" einen guten Teil seiner Spannung verdankt". Andere narrative Strategien dieser Erzählung aus dem Jahr 1942 erinnern an Kafka, an Camus und vor allem an Samuel Beckett. Genau wie letzterer kann Patricia Highsmith auch komische Register ziehen:
"Das beste, was ich zugunsten des Klosters von Saint Fotheringay sagen kann, ist, dass es keine streng akademische Einrichtung war. Alle Nonnen unterrichteten, neben ihrer Gartenarbeit, die hauptsächlich aus dem Anbau von spanischen Nüssen bestand, mehr schlecht als recht ein, zwei oder drei Fächer, wenngleich niemand im Kloster die Multiplikationstabelle sicher beherrschte."
Ein Junge namens Mary
Zu den deutschen Erstveröffentlichungen dieses Bandes gehören "Die Legende des Klosters von Saint Fotheringay", 1941 entstanden, und "Die Weltmeisterin im Ballwerfen", eine Short Story aus dem Jahr 1946. Beide wurden übertragen von der Übersetzerin pociao, die die enorme Flexibilität der verschiedenen Tonlagen trifft. Komisch überbordend zeigt sich die eine Story, von einem kühlen sprachlichen und psychologischen Minimalismus getragen ist die andere.
Im besagten Kloster Saint Fotheringay leben Nonnen, die mit der Religion zwar nicht mehr viel anfangen können, deren Keuschheitsgelübde aber in kruder Form nachwirkt: Sie arbeiten an der Erzählung, dass Männer ausgestorben seien. Das geht so lange gut, bis eine von ihnen ein Findelkind ins Kloster trägt. Man gibt dem Jungen den Namen Mary. Ab hier darf die Leserin beobachten, wie dieser sich wenig mädchenhaft entwickelt. Dank Marys tatkräftiger Mithilfe wird Saint Fotheringay schießlich sogar in die Luft gesprengt. So endet eine Institution, die ihren Insassen vorschreibt, welche geschlechtliche Orientierung sie haben sollten. Ein gutes Jahrzehnt später wird Patricia Highsmith mit "Salz und sein Preis" 1952 einen frühen und wegweisenden Roman über eine lesbische Liebe veröffentlichen.
Die Weltmeisterin im Ballwerfen
Auch "Die Weltmeistein im Ballwerfen" ist eine Erstveröffentlichung. Elspeth heißt ein noch ballspielendes Mädchen, dem die Erzählerin den folgenden Gedanken zuschreibt:
"Es war ihre eigene Uhr, die leise auf einer Kommode tickte und eine Zeit anzeigte, die hier nichts bedeutete. Halb elf. Zu Hause würde sie an einem Sonntag um halb elf kerzengerade auf der Verandaschaukel sitzen, um ihr Kleid nicht zu zerknittern, und auf Onkel John, Tante Lettie und ihren Cousin Paully warten, die sie abholen und mit in die Sonntagsschule nehmen würden."
"Eine Zeit, die hier nichts bedeutete" – lakonischer und genauer lässt sich die Verlorenheit eines Kindes, das offenbar aus den Südstaaten in die Großstadt gezogen ist, kaum beschreiben. Hier wird eine biografische Tönung sichtbar. Patricia Highsmith wurde in den ersten Lebensjahren von ihrer Großmutter in Texas großgezogen. 1927, im Alter von sechs Jahren, musste sie zur Mutter und dem Stiefvater nach New York ziehen. Auch die komplizierte Beziehung zur Mutter lässt sich aufspüren, etwa in der Short Story "Die Heldin", die 1945 veröffentlicht wurde:
"Aber schon weiteten sich ihre Augen wieder, so sehr, als wollten sie diese Worte Lügen strafen. Wenn ihre Augen so groß wurden, hatten sie viel Ähnlichkeit mit denen ihrer Mutter, und die gehörte zu dem, was sie vergessen musste."
Lucille heißt diese junge Frau, die soeben eine exzellente Stelle als Kindermädchen ergattert hat. Sie träumt davon, eine Heldentat zu begehen, um sich ihrer Herrschaft endgültig zu beweisen. Schließlich legt sie ein Feuer, denn sie will die beiden Kinder, die ihr anvertraut sind, aus dem brennenden Haus retten. Ob das gelingen wird, lässt Highsmith offen. Wie so viele ihrer Geschichten endet auch diese im Kopf des Lesers: Also dort, wo alles denkbar ist.
Patricia Highsmith: "Ladies." Frühe Stories
Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz, Dirk van Gunsteren, pociao
Diogenes Verlag, München, 320 Seiten, 22 Euro.
Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz, Dirk van Gunsteren, pociao
Diogenes Verlag, München, 320 Seiten, 22 Euro.