Torgelow in Mecklenburg Vorpommern, im Landkreis Vorpommern-Greifswald ganz am Ende der Republik, ein paar Kilometer weiter ist schon Polen. Knapp 9.000 Einwohner leben hier. Ein paar davon stehen im Hof der örtlichen Eisengießerei - der größte Arbeitgeber weit und breit. Ein junger Mann kommt dazu, adrett gescheitelt und gekleidet, dunkelblauer Anzug, weiß-blaue Krawatte.
Patrick Dahlemann stellt kurz klar, ganz Politprofi:
"Mit 16 in die SPD eingetreten, die Jusos hier aufgebaut, die gab es hier gar nicht, mit 19 der jüngste Stadtvertreter und der jüngste Kreistagsabgeordnete gewesen und immer von Anfang an 200 Prozent gegeben."
Der Lohn - ein Sitz im Landtag - als Nachrücker. Heute ist ein besonderer Tag für den 25-Jährigen.
"Sigmar Gabriel kommt."
Nach Torgelow.
"Der Bundesvorsitzende der SPD - ist schon klasse."
Dahlemann strahlt - dabei hat der Tag für ihn mehr als dürftig angefangen. Unerwartete Termine:
"...mit der Landeskriminalpolizei und so..."
Die Scheiben vom Bürgerbüro wurden eingeschlagen, und das, wo der Chef doch kommt.
"Und die Versicherung, die liegt ganz oben auf dem Stapel zur Unterschrift. Damit ist das mein Schaden."
Kampf gegen Rechtsextremismus
13.000 Euro Schaden, sagt der Glaser, und Publicity - weiß Patrick.
"Naja, wird ein bisschen gesammelt, ich hab auch schon eine Idee, und zwar, ich hab heute zu meinem Mitarbeiter gesagt, wir machen 'ne Soli-Aktion draus, wir verkloppen die Glasscheiben nach dem Motto 'Scherben bringen Glück' im Kampf gegen Rechtsextremismus, da waren so braune Dumpfbacken da und haben uns die Scheiben eingeworfen, da machen wir was draus."
Patrick Dahlemann macht aus allem irgendwas - so scheint es zumindest. Er ist ein Macher. Deswegen kommt ja auch der Gabriel. Der hat ihn angerufen, nachdem der Torgelower bundesweit bekannt geworden war. Mutig hatte er bei einer örtlichen NPD-Veranstaltung zum Mikrofon gegriffen und die Parolen der Rechtsextremisten entkräftet. Sein Auftritt. Er wurde zum Hit im Videoportal You-Tube. Da haben viele Genossen angerufen und ihm gratuliert. Auch der Parteichef.
"Er wollte hierher kommen ich hab ihm angeboten, dass ich zu ihm nach Berlin komme und er hat gesagt, nee komm zu dir in den Wahlkreis."
So ein Termin macht sich gut im Europawahlkampf, in einer Region, in der für die SPD kaum was zu holen ist. Außer Dahlemann hat die Partei hier wenig Erfreuliches vorzuweisen. Der Bundestagswahlkreis geht traditionell an die CDU, im Kreis gibt es knapp 400 SPD-Mitglieder. Vielleicht ist es auch deshalb der einzige Wahlkampfauftritt des SPD-Chefs im Nordosten.
"Ich hab gesagt, ich will mit dem Vizekanzler und Wirtschaftsminister meine Eisengießerei besuchen. ja wirklich, das ist aber so, Torgelow ist nun mal Gießereigeschichte und du kannst mit dem Wirtschaftsminister nicht Ringelpietz und anfassen machen, indem du Softskill-Themen besetzt, da musst du schon hingehen, wo die Leute hier ackern."
Sonst gibt es ja auch kaum was - wo die Leute ackern ... die Arbeitslosenquote ist in der Region bundesweit immer noch mit am höchsten.
"Sigmar, herzlich willkommen!"
"Jung, wie geht's dir?"
"Jetzt wo Du hier bist geht's mir gut."
SPD-Chef braungebrannt und tiefenentspannt
Sigmar Gabriel ist aus seiner schwarzen Limousine gestiegen, mit schwarzem Anzug und grüner Krawatte - fast ins neongrüne gehend. Patrick liebt Krawatten - 150 hat er davon. Hat seine Mutti verraten. Der SPD-Chef ist braungebrannt, tiefenentspannt - und hat keine Zeit zu verlieren. Er muss am Abend noch nach Rom.
"Wat mok we jetzt?"
Betriebsrundgang - Gabriel fragt wie viel SPD-Stadtvertreter es gibt, 2 von 21, zu wenig, findet der Chef, und wie viel in der Gießerei ein Facharbeiter verdient, 1.200 Euro netto - viel zu wenig. Patrick drängelt. Im Bürgerhaus warten schon die nächsten auf den Vizekanzler. Hoffentlich wird die Hütte voll - sonst wird es peinlich. Aber Dahlemann und seine Helfer haben plakatiert - nur die NPD hat mehr Plakate. Die NPD scheint überhaupt die einzige Partei, die in der Region plakatiert hat. Und dazwischen - Bürgerforum mit Sigmar Gabriel
Der Saal ist voll - alles läuft rund.
"Und jetzt begrüße ich unseren Vizekanzler und Wirtschaftsminister."
"Erst mal guten Abend, grüß sie, vielen Dank für den freundlichen Empfang, ich bin wegen ihm hier."
Sigmar Gabriel: An diesem Abend scheint er ein mildes Lamm.
Ich finde, er ist einer, er hat Mut, und dem muss man, dafür dass er Mut hat, auch mal Danke sagen."
Gabriel ist aufmerksam, Patrick sitzt auf der Stuhlkante und guckt sich ab, wie sein Vorbild den Abend managed. Verständnisvoll, volksnah.
"Ja, lass sie ruhig drängeln, ich muss ja die Fragen beantworten."
Es geht um Strompreise, EEG, die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West. Und um die Ukraine. Die Geburtstagssause von Altkanzler Schröder in St. Petersburg hat der Partei gerade im Wahlkampf keinen guten Dienst erwiesen. Dabei ist Genosse Erwin Sellering, Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, auch nach St. Petersburg geflogen - denn für den Nordosten sind die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland existenziell. Allein 75 Prozent der Werften im Land sind in russischer Hand.
"Ich glaube, dass das ein guter Schachzug war und dass die Leute in den neuen Bundesländern das auch gut fanden, dass er dahingeflogen ist."
Gustav Heinemann Preis der SPD und 10.000 Euro
Und wo er schon mal da war, hat er eben auch an der Party teilgenommen. Den Rest der Republik regt das auf - hier stört das keinen. Behauptet Patrick.
"Ich hatte ja den Sellering am 1. Mai hier, war dat Dauerthema und der Grundslogan war 'klasse' und sie glauben gar nicht, wie viel Zuspruch er am 1. Mai von den Bürgern dafür bekommen hat hier."
Zuspruch - das ist das Stichwort - kaum etwas, was Patrick Dahlemann zur Zeit mehr bekommt. So muss sich Höhenflug anfühlen. Und dann auch noch das: Patrick bekommt den Gustav-Heinemann-Preis der SPD. Viel Ehre - und 10.000 Euro. Jetzt kann er die Fenster bezahlen. Aber viel wichtiger - sein Chef ist stolz auf ihn.