"When I met Patti we never dreamt we would have a Rock 'n' Roll band." Nie hätten sich Patti Smith und er vorstellen können, einmal eine Band zu haben, erklärt Lenny Kaye. Seit mehr als 40 Jahren steht der Gitarrist neben ihr auf der Bühne. "Bei unserer ersten Lesung im Februar 1971 gab es nur Pattis Gedichte, die sie ein bisschen aufpeppen wollte. Ich war damals in einem Plattenladen angestellt. Patti kam vorbei und sagte: Du spielst doch Gitarre. Willst Du mich bei einer Lesung begleiten?
Patti Smith, gerade mal 24, lebt damals in New York. Ausgebrochen aus der amerikanischen Provinz ist sie auf der Suche nach ihrer künstlerischen Identität. Wie ein Schwamm saugt sie die Eindrücke ihrer Umgebung gierig in sich auf. Dazu gehört die nonchalante Literaturszene um den Beatpoeten Allen Ginsberg genauso wie die extravagante Kunstwelt von Andy Warhol. In diesem Umfeld gründen sie und Lenny Kaye die Patti Smith Group, verstärkt durch Schlagzeug, Bass und Klavier.
Ein Gegenentwurf zur Rockmusik der Zeit
Mitte der 70er-Jahre gehört die Patti Smith Group zu den Bands, die regelmäßig im "CBGB's" auftreten. Der New Yorker Club ist der Zufluchtsort für gesellschaftliche Außenseiter und Rebellen – und die Wiege des Punk. Rockmusik ist zu diesem Zeitpunkt vor allem pompös, aufgemotzt und virtuos. Patti, Lenny und ihre Crew liefern dazu den schlichten, aber bestimmten Gegenentwurf.
"Was ist ein Song? – Im Wesentlichen baut er auf einem simplen Akkord auf. Am Ende von 'Horses' hören wir einen Rock&Roll-Song, der durch seine Einfachheit besticht. Aber das heißt nicht, dass er dumm ist. Manchmal ist gerade das Einfachste am schwierigsten zu erreichen."
Grundlage der Songs auf dem Album "Horses" sind immer Smiths Gedichte. Bereits in ihrer Jugend entwickelt sie eine Leidenschaft für Poesie. Eines ihrer größten Vorbilder: der französische Dichter Arthur Rimbaud mit seinen symbolhaften Bildern. Inspiriert ist sie aber ebenso von der Erzählkunst eines Songwriters wie Bob Dylan. Poetisch und wortgewaltig klingen auch ihre eigenen Texte.
"Aufrichtig gegenüber der Musik sein, die man in sich hört"
Jesus died for somebody's sins but not mine" – "Jeder ist für seine eigenen Taten verantwortlich", so das Credo, mit dem "Horses" beginnt. Die Rockpoetin spricht damit wahrscheinlich vielen jungen Amerikanern aus der Seele, die wie sie selbst frei und selbstbestimmt leben wollen. Diese Liebe zum Wort teilt auch Lenny Kaye. "Die Kraft des Wortes ist genauso stark wie die der Musik. Patti kam zu mir, weil sie geschrieben hat und weil ich geschrieben habe. Dass wir einen Weg gefunden haben, das zu nutzen, um Musik zu machen, ist beides: ein Wunder und ein Segen."
Aus diesem Zusammenspiel gelingt der Band eine ganz eigenständige Form des künstlerischen Ausdrucks, die den rebellischen Geist der 70er-Jahre trägt. Obwohl "Horses" bei Erscheinen im Radio kaum gespielt wird, ist es kommerziell dennoch ein Erfolg. Die Wirkungsmacht der Platte scheint bis heute ungebrochen. "'Horses' war ein inspirierendes Album für viele Leute. Michael Stipe von REM, Bono von U2 oder Morrissey von The Smiths. Was mir dabei am meisten gefällt: Keiner von ihnen klingt wirklich wie wir. Was sie dem Album entnommen haben, ist seine Sehnsucht und Energie."
Die Sehnsucht nach der eigenen Stimme, ist jedem der acht Songs auf dem Debüt anzuhören. Und die Energie der Musik – mit all ihrem Aufbegehren – trägt die Band später in die Welt hinaus. "Manchmal war ich ein Rebell und schlug meine Gitarre gegen den Verstärker. Ich habe versucht, bei unserem Publikum ein Gefühl für seine eigenen Kraft und Auflehnung hervorzurufen. Aber eigentlich, denke ich, geht es weniger darum, ein Rebell als vielmehr aufrichtig gegenüber der Musik zu sein, die man in sich hört."