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Pau: Geheimdienste sind ein Fremdkörper in der Demokratie

Vor einem Untersuchungsausschuss solle die Bundesregierung erklären, ob und wann sie von der massiven Überwachung durch die USA erfahren habe, fordert die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau. Neue Erkenntnisse verspricht sie sich von Edward Snowden, der als Zeuge infrage käme.

Petra Pau im Gespräch mit Gerd Breker |
    Gerd Breker: Snowden sei Dank, wissen wir von den umfangreichen Aktivitäten des US-Geheimdienstes NSA. Massenhaft, millionenfach werden E-Mails und Telefongespräche hierzulande und nicht nur dort abgehört, aufgezeichnet und ausgewertet. Das sorgte für unterschiedliche Ausschläge auf der nach oben offenen Empörungsskala. Bei der Kanzlerin-Partei blieb der Unmut verhalten, bis dass publik wurde, dass zu den Abgehörten die Regierungschefin selbst gehört, und das: das fand man dann unerhört. Aufklärung wird gefordert, ja inzwischen soll es eine Entschuldigung vonseiten der US-Amerikaner sogar sein. Die Stimmen mehren sich, der Bundestag soll den Auftrag zur Aufklärung übernehmen. Dem Kanzleramtsminister will man das alleine wohl nicht überlassen.

    Was wusste der Präsident, wird mal wieder zur entscheidenden Frage. Nur was sagt uns das, wenn er es wusste, und was lernen wir daraus, wenn er es nicht gewusst haben sollte? Datenschutz ist in den USA eine unterentwickelte Sparte, erst recht im Lichte der allseits verbreiteten Terrorangst. Nur dass Regierungschefs befreundeter Staaten mit dieser Argumentation belauscht werden, das kommt auch in den USA seltsam. So erleben wir einen Geheimdienst, der deutsche Presseberichte dementiert, und wir erleben konservative Politiker, die sich von ihren Verbündeten mehr Dankbarkeit wünschen, weil doch der große Bruder das alles nur zum Wohle aller tut.

    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Petra Pau, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages für die größte Oppositionspartei, für die Linkspartei. Guten Tag, Frau Pau!

    Petra Pau: Guten Tag.

    Breker: Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages soll nun aufklären, so die Forderung der Linkspartei und auch der Grünen. Ein Misstrauensvotum gegen den Innenminister und gegen den Kanzleramtsminister ist das ja zugleich?

    Pau: Also wir müssen mal sortieren. Im Moment ist die Bundesregierung zwar im Amt, aber wir brauchen hier keine Misstrauensanträge oder anderes, sondern wir brauchen eine parlamentarische Befassung mit diesem Thema. Das heißt, ich erwarte, dass die Bundeskanzlerin und auch der Bundesinnenminister das gesamte Parlament über ihre Erkenntnisse zu schwerwiegenden Eingriffen in die Bürgerrechte informiert und dass wir dann als Parlament die nächsten Schritte bestimmen. Dazu kann auch die Untersuchung in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss gehören.

    Breker: Und die Chancen für Letzteres sind gestiegen, seit die SPD-Zustimmung signalisiert?

    Pau: Das ist richtig. Es ist natürlich misslich, dass die Ausgestaltung der Minderheitenrechte im Deutschen Bundestag nun anhand schon eines konkreten Antrages diskutiert wird. Also auch hier sollten wir sehr gründlich darüber beraten, was ist der Untersuchungsgegenstand, um welche Zeugen geht es gegebenenfalls, und drittens, was soll untersucht werden. Weil es kann ja nicht allen Ernstes nur darum gehen, was NSA in der Bundesrepublik, in Europa oder weltweit getrieben hat, sondern es muss auch darum gehen, welche Verträge gibt es gegebenenfalls, die dem NSA die Möglichkeit geben, hier entsprechend Bürgerinnen und Bürger auszuspähen, nicht nur die Bundeskanzlerin, welche Rolle haben auch die nationalen Geheimdienste gespielt.

    Breker: Das wären aus Ihrer Sicht die Themen, die, wenn er denn kommt, der Untersuchungsausschuss zu klären hätte?

    Pau: Ja natürlich, weil wir müssen uns klar machen: Aus bürgerrechtlicher Sicht ist es völlig Wurst, ob es um das Handy von Frau Merkel, oder den E-Mail-Verkehr von Frau Müller geht. Es geht jedes Mal um schwerwiegende Eingriffe in verbriefte Bürgerrechte, die im Übrigen in unserem Grundgesetz aus gutem Grund hochgehalten werden.

    Breker: Ein Problem, Frau Pau, würde ja in dem Falle des Untersuchungsausschusses auch die Beweissicherung sein. Es gibt ja in dem Sinne keine wirklichen Akten, oder vermuten Sie doch Akten?

    Pau: Ich bin ja nicht naiv. Ich gehe nicht davon aus und würde auch warnen vor solchem populistischen Unfug, dass jetzt irgendjemand sagt, man will den US-Präsidenten oder seine Geheimdienstchefs hier als Zeugen laden. Das heißt, wir werden erst einmal die derzeitige Bundesregierung wie auch die nationalen Behördenchefs zu befragen haben, welche Verabredungen es gegeben hat, welche Kenntnisse und Erkenntnisse und wie man damit umgegangen ist, und von daher das ganze aufrollen. Und ein zweiter Punkt wäre natürlich, den Zeugen Snowden zu laden und gegebenenfalls dann danach auch in ein Zeugenschutzprogramm zu bringen.

    Breker: Der Zeuge Snowden und vermutlich auch seine Beweismittel befinden sich derzeit in Moskau.

    Pau: Ja. Wenn ein Untersuchungsausschuss oder auch der Generalbundesanwalt, der ja frei ist, auch Ermittlungen aufzunehmen, den Zeugen Snowden hören wollen, dann kann das sowohl in Moskau als auch in Berlin geschehen. Dafür gibt es Regeln, dafür gibt es internationale Verträge und ich gehe davon aus, dass diese dann auch eingehalten werden.

    Breker: Einem Antrag auf Asyl, den Snowden in Deutschland stellen würde, würde dem denn stattgegeben werden können überhaupt nach unserer Rechtslage?

    Pau: Ich habe absichtsvoll nicht über Asylanträge geredet, sondern über rechtsstaatliche Verfahren, in denen Zeugen gehört werden, und da gibt es Regeln. Wenn ein Zeuge aufgrund seiner wahrheitsgemäßen Aussagen und Dinge, die damit öffentlich geworden sind, in Gefahr gerät, dann gibt es Möglichkeiten eines Zeugenschutzprogramms.

    Breker: Der Vergleich angesichts dieser NSA-Affäre zur Stasi, Frau Pau, der liegt ja irgendwo nahe und manch einer wird sich fragen, mein Gott, wenn es damals schon diese technischen Möglichkeiten gegeben hätte. Die Erfahrungen, die in der DDR mit der Staatssicherheit gemacht wurden, ist das nicht ein ganz vehementes Gegenargument zu dem Argument, was man oft hört, ich habe ja eigentlich nichts zu verbergen, also können alle alles wissen?

    Pau: Erstens würde ich das mal sehr deutlich unterscheiden. Meine Haltung zum System der Staatssicherheit in der DDR ist bekannt. Ich bin der Auffassung, dass Geheimdienste insgesamt von Übel sind. Aber Geheimdienste, die sich gegen die eigenen Bürgerinnen und Bürger richten, das ist aus meiner Sicht völlig zurecht gescheitert und abgeschafft. Der Unterschied ist: Wir haben hier die Möglichkeiten der parlamentarischen und demokratischen Kontrolle und Aufarbeitung, und da müssen wir an dieser Stelle auch ansetzen.

    Breker: Wir müssen ansetzen also auch bei dem, was deutsche Dienste tun. Ist es denn so abwegig, dass deutsche Geheimdienste ähnlich wie der NSA vorgehen, erfahren wollen, was andere denken und was andere sich schreiben?

    Pau: Ach wissen Sie, ich habe die letzten anderthalb Jahre in einem anderen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages gearbeitet. Dort ging es um die furchtbare Neonazi-Mord- und Raubserie, die unter dem Kürzel NSU bekannt geworden ist. Im Zentrum des Versagens der Sicherheitsbehörden in diesem Komplex standen die Ämter für Verfassungsschutz und alles das, was ich in diesen Untersuchungen zum Agieren der Geheimdienste der Bundesrepublik erfahren habe, hat mich in meiner Auffassung bestärkt, dass Geheimdienste nicht bis ins Letzte demokratisch kontrollierbar sind, dass sie ein Fremdkörper in der Demokratie sind. Deshalb ist Die Linke im Übrigen zu der Schlussfolgerung gekommen, dass der Verfassungsschutz als Geheimdienst aufzulösen ist. Das alles hat aber nichts mit den Untersuchungen, die jetzt notwendig sind, zum Thema NSA zu tun, sondern das ist eher eine grundsätzlichere Frage, um die wir uns auch kümmern müssen.

    Breker: In der NSU-Mordserie haben die deutschen Geheimdienste nachgewiesen, dass sie durchaus unfähig und fehlerhaft sind. Kann uns das trösten, wenn wir schauen, was die NSA-Affäre für eine Dimension hat?

    Pau: Mich tröstet das überhaupt nicht. Wissen Sie, in den 1980er-Jahren hat das Bundesverfassungsgericht ein bahnbrechendes Urteil, damals zum Stichwort Volkszählung, getroffen und hat dort eine Feststellung getroffen, die auch heute noch gilt und in diesem Komplex auch noch einmal öffentlich behandelt werden muss. Sinngemäß hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass Bürgerinnen und Bürger, die nicht mehr wissen, was andere über sie wissen, nicht mehr souverän sind und eine Demokratie ohne Souveräne undenkbar ist. Das ist die Dimension, über die wir jetzt hier reden, und das gilt eben nicht nur für den NSA oder britische Geheimdienste, sondern für den gesamten Verbund der Geheimdienste.

    Breker: Abschließend, Frau Pau: Wenn es denn zu einem Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre kommen sollte, dann wäre die größte Oppositionspartei, also die Linkspartei, gefragt, den Vorsitzenden zu stellen. Sind Sie darauf vorbereitet?

    Pau: Wissen Sie, die Fraktion Die Linke ist auf alle Herausforderungen, die im 18. Deutschen Bundestag auf sie zukommen, vorbereitet, und wenn sie die Oppositionsführerschaft hat, wird sie natürlich auch die entsprechenden Leitungspositionen personell und inhaltlich gut vorbereitet besetzen.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Petra Pau von der Linkspartei. Frau Pau, ich danke für dieses Gespräch.

    Pau: Gerne doch!


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