Alles beginnt am ersten Tag des neuen Jahrhunderts, am 1. Januar des Jahres 1900. An diesem Tag läuft ein Schiff mit dem Namen "Kaiserin von China" im Hafen von New York ein. An Bord des Schiffes, das sich durch den stürmischen Atlantik gekämpft hat, ist unter anderem ein Mann aus Minsk; ein russischer Jude, der sich zu Fuß auf den Weg in die neue Welt gemacht hatte. Über Warschau und Berlin kam jener Isaac Reznikoff nach Hamburg, um sich einzuschiffen. Und landet schließlich an jenem Ort, an dem bis ins Jahr 1954 rund zwölf Millionen Migrantenschicksale des 20. Jahrhunderts Station machten: Auf Ellis Island, der Insel im Hudson River, die der Immigrationsbehörde als zentrale Sammelstelle für Einwanderer nach Amerika diente.
Der eher unbedarfte Reznikoff erhält kurz vor der Ankunft von einem Mitpassagier noch einen Ratschlag:
Ein russischer Einwanderer nach Amerika
"'Sag ihnen, du heißt Rockefeller', sagte der Mann. 'Damit kannst du nichts falsch machen'. Eine Stunde verging, und noch eine und als der neunzehnjährige Reznikoff endlich bei dem Einwanderungsbeamten an die Reihe kam, hatte er den Namen längst wieder vergessen. 'Ihr Name?', fragte der Beamte. Der müde Einwanderer schlug sich verzweifelt an die Stirn und platzte auf Jiddisch heraus: 'Ich hob fargessen'. Und so begann Isaac Reznikoff sein neues Leben in Amerika als Ichabod Ferguson."
Ist das eine Familienlegende? Ein kleiner Witz, der von Generation zu Generation weiter erzählt wird? Das ist nicht weiter wichtig. Wichtig ist: Von nun an ist der russische Name Vergangenheit, und die Familie, die Ike Ferguson bald darauf gründet, wird zu einer amerikanischen Familie.
Der eingewanderte Neubürger heiratet schnell, zeugt mit seiner Frau drei Söhne, Louis, Aaron und Stanley, bevor er im Dienst einer Wachgesellschaft im Alter von 42 Jahren in Chicago erschossen wird. Seine Witwe verlässt die Stadt und siedelt sich mit den drei Kindern in Newark, New Jersey an. Das ist ganz zufällig auch die Geburtsstadt von Paul Auster. Die drei Brüder wachsen heran und gründen bereits im jungen Alter gemeinsam einen Betrieb, der Möbel und Haushaltswaren verkauft. Stanley, der jüngste der drei Söhne, verliebt sich in die wunderschöne Rose, ebenfalls Tochter osteuropäischer Einwanderer, und wirbt ausdauernd und schließlich erfolgreich um sie.
Vier Bildungsromane in einem Roman
Am 2. März 1947 kommt ihr gemeinsamer Sohn Archibald Isaac Ferguson auf die Welt. Diese 47 Jahre von der Ankunft in Ellis Island bis zur Geburt seines Protagonisten erzählt Paul Auster im Zeitraffer. Gerade einmal 50 Seiten braucht er dafür. Nun ist sein Held, der exakt einen Monat jünger ist als Auster selbst, in der Welt.
Und nach dieser Exposition unternimmt Auster den Kunstgriff, der den Roman strukturiert und einen Großteil seines Reizes ausmacht: Wie der Titel "4 3 2 1" bereits andeutet, spaltet Auster Fergusons Geschichte auf. Genauer gesagt: Er erzählt in vier parallelen Strängen viermal das Leben des Archibald Isaac Ferguson. Wir haben es hier nicht mit einem Coming of Age- und Bildungsroman zu tun, sondern gleich mit vieren. Da ist es wieder, das Auster’sche Urmotiv des Zufalls.
Auf der einen Seite: Die Frage, inwiefern ein Individuum dem Chaos und der Unberechenbarkeit äußerer Umstände machtlos ausgeliefert ist. Und auf der anderen Seite: Die Überlegung, ob Milieus, soziale Bindungen, Beziehungen und ökonomische Verhältnisse nicht nur den Charakter prägen, sondern auch einen weiterführenden Einfluss haben, beispielsweise auf kognitive Fähigkeiten. Kurz gesagt: Die Frage, was einen Menschen zu dem macht, der er geworden ist.
Die Grundidee des Romans formuliert ironischerweise der sechsjährige Ferguson selbst, kurz nachdem er sich bei einem Sturz von einem Baum ein Bein gebrochen hat:
"Was für ein interessanter Gedanke, dachte Ferguson: sich vorzustellen, wie für ihn alles anders sein könnte, auch wenn er selbst immer derselbe bliebe. Derselbe Junge in einem anderen Haus mit einem anderen Baum. Derselbe Junge mit anderen Eltern. Derselbe Junge mit denselben Eltern, die aber nicht dieselben Dinge täten wie jetzt. Was, wenn er von demselben Baum gefallen wäre und sich nicht ein, sondern beide Beine gebrochen hätte? Was, wenn er dabei gestorben wäre? Ja, alles war möglich, und nur weil etwas auf eine bestimmte Weise geschah, hieß das noch lange nicht, dass es nicht auch auf eine andere Weise geschehen könnte."
Der Familienbetrieb als Keimzelle
Auster also lässt die Dinge auf eine Weise geschehen. Und auf noch eine und noch eine und noch eine. Es sind vier Möglichkeitsformen eines Aufwachsens und Erwachsenwerdens an der amerikanischen Ostküste in den 50er- und 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Ich-Werdung des jungen Ferguson ist zunächst bestimmt von den Familienverhältnissen, später von den Zeitläuften einer unruhigen und politisch aufgeheizten Epoche.
Die Ausgangslage bleibt dabei stets die gleiche: Ferguson ist ein intelligenter, aufgeweckter Junge. Er ist kreativ und aufgeschlossen; offen für Musik und Literatur. Und trotzdem nimmt jede einzelne Lebensbahn, die Auster für seine vier Helden vorsieht, einen unterschiedlichen Verlauf. Und da kommt die Familie ins Spiel, genauer gesagt: Der Familienbetrieb, den Fergusons Vater mit den beiden Brüdern gemeinsam gründet. Das Geschäft ist die Keimzelle, das Zentrum, von dem alles Weitere abhängig ist.
Mal entpuppt sich einer der Brüder als Betrüger, der heimlich Kapital aus der Firma abzieht und mit Schimpf und Schande davon gejagt wird. Mal fackelt der andere Bruder den Betrieb in der Nacht heimlich ab und bringt dabei aus Versehen Fergusons Vater um, sodass der Junge zukünftig als Halbwaise aufwächst.
Und mal baut Stanley, der Vater, das kleine Geschäft zu einer prosperierenden Kette von Elektrogroßmärkten aus und entwickelt sich darüber zu einem blasierten Ignoranten.
Geld spielt eine bedeutende Rolle in "4 3 2 1". Es verdirbt nicht den Charakter, nicht prinzipiell, aber es gibt die Richtung vor, in die Persönlichkeiten sich entwickeln. Das sieht man auch an Fergusons Mutter Rose, die an der Seite des finanzschwachen Elektrotüftlers Stanley zu einer erfolgreichen Kunstfotografin avanciert, während die andere Rose, die Frau des Großhändlers, zu einer gelangweilten Alkoholikerin wird. Ein Dasein, das sie allerdings irgendwann nicht mehr aushalten wird.
Es gibt noch eine Konstante: ein Mädchen
So verwirrend die Anlage des Romans auf den ersten Blick auch erscheinen mag, so sicher und routiniert führt Auster seine Leser durch die einzelnen Erzählstränge hindurch. Er hat die Zügel fest in der Hand; er weiß, wann er möglicherweise auf ein früheres Kapitel zurückverweisen muss, um den Spannungsbogen zu halten.
"4 3 2 1", das ist auch an den langen, windungsreichen Sätzen zu erkennen, ist angelegt als ein Epos. Als eine breite Erzählfront, in der die unterschiedlichen Erfahrungshorizonte der Figuren sich nach und nach zu einem historischen Panorama verdichten; zu einem Zeitbild, in dem die individuellen Erfahrungen aufgehoben sind. Und es gibt noch eine Konstante. Ein Mädchen. Amy Schneiderman heißt sie. Ferguson begegnet ihr auf jeder seiner Lebenslinien, sei es als Tochter von Freunden der Eltern, sei als seine angeheiratete Cousine, sei es gar als seine Halbschwester. Amy ist eines der Kraft- und Energiezentren in diesem Roman. Sie ist Fergusons Sehnsuchtsfigur, aus unterschiedlichen Gründen.
"Ihm kam der Gedanke, sie selbst sei eine Verkörperung ihrer Stadt, nicht nur wegen ihres selbstbewussten Auftretens und ihrer raschen Auffassungsgabe, sondern auch und vor allem wegen ihrer Stimme, denn dies war die Stimme aufgeweckter Jüdinnen aus Brooklyn, Queens und der Upper West Side. Die Schneiderman-Stimme stand für alles, was nicht Vorstadt war, nicht sein jetziges Leben, und galt ihm deshalb als Verheißung eines entkommens in eine mögliche Zukunft."
"Ihm kam der Gedanke, sie selbst sei eine Verkörperung ihrer Stadt, nicht nur wegen ihres selbstbewussten Auftretens und ihrer raschen Auffassungsgabe, sondern auch und vor allem wegen ihrer Stimme, denn dies war die Stimme aufgeweckter Jüdinnen aus Brooklyn, Queens und der Upper West Side. Die Schneiderman-Stimme stand für alles, was nicht Vorstadt war, nicht sein jetziges Leben, und galt ihm deshalb als Verheißung eines entkommens in eine mögliche Zukunft."
Sexuelle Gier und Künstlertum
Diese mögliche Zukunft hat für eine der vier Ferguson-Varianten, nennen wir sie Ferguson 2, ein recht jähes Ende. Der von Unfällen und kleineren und größeren Unglücken gebeutelte Ferguson 2, jener, der sich beim Sturz vom Baum das Bein gebrochen hatte, wird während eines Sommerferienlagers vom Blitz getroffen und stirbt. Fortan begleiten wir also nur noch den Werdegang dreier Fergusons, während für den toten Ferguson 2 jeweils nur noch eine leere Seite übrig bleibt, in Gedenken sozusagen.
Der Blitzschlag ist im Übrigen eine der vielen autobiografischen Partikel, die Paul Auster in den Roman eingestreut hat. Im Alter von 14 Jahren wurde er selbst mit einer Gruppe von Freunden von einem Gewitter überrascht; einer der Freunde kam dabei ums Leben. Der Zufall als Inspiration und Werkkonstante. Und auch Austers große Leidenschaft für den Sport, für Base- und Basketball, ist großzügig auf die vier Fergusons verteilt. Im Fall von Ferguson Nr. vier bekommt der Verzicht auf den Sport, den Ferguson als Schwur leistet, sogar eine geradezu sakrale Dimension zugewiesen.
Der untergründige Motor, der "4 3 2 1" antreibt, ist allerdings eine hin und wieder explosive Mischung aus sexueller Gier und dem Drang nach künstlerischem Ausdruck. Ferguson 1, der Sohn des Kleinbürgers und Elektromechanikers, findet in Amy Schneiderman in jeder Hinsicht seine Erfüllung und positioniert sich auch später, in politisch aufgeheizten College-Zeiten, als distanzierter Beobachter, der an die aufklärerische Rolle des Journalismus glaubt.
Ferguson 3 dagegen entwickelt sich zum hochfliegenden und bisexuellen Junggenie, an dem Auster den Ausbruch aus bürgerlichen Verhältnissen in ein libertäres Dasein vollzieht. Ferguson 3, vorbestrafter Bücherdieb und regelmäßiger Puffgänger, kommt bei einer Freundin des Stiefvaters in Paris unter, schreibt dort mit noch nicht einmal 20 Jahren sein erstes Buch, findet einen Verleger in London – und verglüht dort, pathetisch gesprochen, während seiner ersten Lesereise. Profaner ausgedrückt: Er wird zu einem klassischen Verkehrsopfer:
"Er tat, was er sein Leben lang beim Überqueren der Straße getan hatte, einen reflexartigen, automatischen Blick nach links werfen, vergaß aber, dass er in London war, und deshalb sah er den weinroten britischen Ford nicht, der an der Blandford um die Ecke kam. Der Schädel brach, und in jenem Augenblick wurden alle zukünftigen Gedanken, Wörter oder Gefühle, die dieser Schädel hätte hervorbringen können, ausgelöscht. Die Götter sahen von ihrem Berg hinunter und zuckten die Achseln."
Verlorenes Grundvertrauen in das Land
"4 3 2 1" ist trotz seines Umfangs kein Buch, in dem man sich verlieren kann. Paul Auster hat, um es in der Fußballersprache zu formulieren, einen exakten Matchplan für seinen Roman. Und der geht auf. Man begibt sich hinein in diesen Kosmos aus Adoleszenzverliebtheiten, Sport und Literatur, vor allem und immer wieder Literatur – und wird davon aufgesogen.
Wenn es Redundanzen gibt, dann sind es die höchst ausführlichen Schilderungen der Studentenunruhen an der Columbia University (an der, versteht sich, Auster selbst studiert hat) im Jahr 1968. In den detaillierten Beschreibungen der Interessensgruppen, der Diskussionsveranstaltungen und Strategiesitzungen droht das Historische für einen kurzen Augenblick das Erzählerische zu ersticken.
Doch andererseits zeichnet Auster auch in diesen Passagen in aller Breite das Bild einer sich in Höchstgeschwindigkeit politisierenden Generation. Angefangen von der Ermordung Kennedys über den Vietnamkrieg bis hin zu den blutigen Rassenunruhen in Newark im Jahr 1967 lesen wir in "4 3 2 1" von jungen Menschen, die von den Ereignissen überrollt werden und denen nach und nach das Grundvertrauen in ihr Land entzogen wird.
"Sie waren anders als die Jahrgänge über ihnen – aggressiver, ungeduldiger, eher bereit, sich zu erheben und gegen Dummheit, Selbstgefälligkeit und Ungerechtigkeit zu kämpfen. Während die meisten älteren Studenten immer noch an das glaubten, was ihnen in den Fünfzigern eingetrichtert worden war, begriffen Ferguson und seine Freunde, dass sie in einer irrationalen Welt lebten, in einem Land, das seine Präsidenten ermordete, Gesetze gegen die eigenen Bürger erließ und seine jungen Männer in sinnlosen Kriegen sterben ließ."
Paul Auster als politischer Liberaler
Paul Auster hat sich sowohl in seinen Romanen als auch in seinen Essays immer wieder auch als dezidiert liberaler politischer Autor positioniert. Vor wenigen Tagen hat er angekündigt, angesichts der aktuellen Situation in den USA das Amt des Präsidenten des PEN-Clubs anzustreben. Es ist also nur konsequent, dass auch "4 3 2 1" eine im Grunde nur nach der Lektüre rekonstruierbare Entwicklung nimmt: Auster beschneidet nach und nach den Wildwuchs in den Biografien seiner Protagonisten. Er eliminiert sowohl das allzu Brave als auch die hoch riskanten Eskapaden. Nicht etwa, weil er diese aus ideologischen Gründen ablehnt, sondern weil er aus Lebenserfahrung weiß, dass sie in künstlerische Sackgassen zu führen drohen.
Ausgestattet mit dieser Erkenntnis, lässt Auster all die disparaten Suchbewegungen seiner Ferguson-Varianten nahezu unmerklich in eine einzige Figur hinübergleiten. Man könnte sie die Zielperson nennen. Jener Ferguson Nr. 4 hat bereits als Heranwachsender eine erste Kurzgeschichte geschrieben. Sie handelt von einem Paar Schuhe, das an den Füßen eines Polizisten landet. Für seine Lehrerin, der er den Text zu lesen gibt, eine empörende Geschichte voller Obszönitäten. Für den jungen Ferguson eine Parabel auf Ungerechtigkeit und Rassentrennung. Und für uns als Leser bereits ein poetologischer Hinweis, wie der spätere Schriftsteller Ferguson (und auch Paul Auster selbst) seine Arbeit definiert:
"Das Fremde mit dem Vertrauten verbinden: Das war es, was Ferguson anstrebte, die Welt so genau beobachten wie der hingebungsvolle Realist und sie trotzdem durch eine andere, leicht verzerrte Linse sehen, denn wer nur Bücher las, die nur auf Vertrautes eingingen, erfuhr zwangsläufig, was er schon wusste, und wer Bücher las, die nur auf Fremdes eingingen, erfuhr, was er nicht wissen musste."
"Das Fremde mit dem Vertrauten verbinden: Das war es, was Ferguson anstrebte, die Welt so genau beobachten wie der hingebungsvolle Realist und sie trotzdem durch eine andere, leicht verzerrte Linse sehen, denn wer nur Bücher las, die nur auf Vertrautes eingingen, erfuhr zwangsläufig, was er schon wusste, und wer Bücher las, die nur auf Fremdes eingingen, erfuhr, was er nicht wissen musste."
Das Schreibwerkzeug als Kultgegenstand
Ferguson 4, Walt-Whitman-Stipendiat in Princeton, ist die Verkörperung des engagierten Intellektuellen. Einer, der seine Energien nicht vergeudet. Einer, der nach seiner Form sucht und sie erprobt. Der an seiner Technik arbeitet. In seinem 2001 erschienenen Essay "Die Geschichte meiner Schreibmaschine" hat Paul Auster seiner heiß geliebten Olympia-Reiseschreibmaschine, auf der er bis heute seine Manuskripte tippt, seine Referenz erwiesen. Und auch für Ferguson Nr. 4 vollzieht sich der Schritt ins Erwachsenenleben unter anderem durch den Kauf eines Arbeitsgeräts:
"Dann zog er los und besorgte sich das neue Spielzeug, eine Reiseschreibmaschine, die auf der Stelle in den Rang des heiligsten Eigentums erhoben wurde. Ein Werkzeug für Erwachsene, ein ernstes Werkzeug, und Ferguson nahm die Pflichten, die es ihm abverlangte, gerne an, denn das Leben war jetzt Ernst."
Ein Erfinder des eigenen Lebens
Ein Roman wie "4 3 2 1" steht gleich in mehrfacher Hinsicht unter Legitimationszwang. Den gewaltigen Umfang des Buchs rechtfertigt Auster allein mit seinem großen erzählerischen Können und seiner szenischen Souveränität. Wie aber steht es um die Form? Man spürt als Leser, dass es nicht damit sein Bewenden haben darf, dass vier parallele Geschichten über mehr als 1.000 Seiten nebeneinander her erzählt werden, selbst wenn diese durch geografische, historische oder familiäre Überschneidungen miteinander verbunden sind. Das wäre zu wenig, und das wäre auch zu einfach.
Das weiß auch Paul Auster, und er findet einen Ausweg, der nicht unbedingt überraschend, aber im Hinblick auf die Konstruktion plausibel und tragfähig ist: In einer letzten Wendung, Stichwort Buch im Buch im Buch, dekuvriert er Ferguson Nr. 4 als Erzähler – nicht nur seiner eigenen Lebensgeschichte. Der Schriftsteller Ferguson wird zum Erfinder und Erkunder seiner eigenen Existenzmöglichkeiten und auch seines eigenen künstlerischen Potenzials. Er schreibt das Buch, das wir in der Hand halten. Und nimmt sich doch das Recht heraus, nicht derjenige zu sein, als der er sich uns als Lesern präsentiert hat:
"Er würde drei andere Versionen seiner selbst erfinden, deren Geschichten zusammen mit seiner eigenen erzählen (mehr oder weniger seiner eigenen, denn auch er selbst würde zu einer fiktionalisierten Version seiner selbst werden) und ein Buch über vier identische Menschen mit demselben Namen schreiben: Ferguson."
Da liegt es also vor uns, das Buch Ferguson. Es endet im Jahr 1970. Vollendet ist es mithin nicht. Ferguson steht erst am Beginn seiner Autorenkarriere. Und ob die Geschichte von Isaac Reznikoff und seiner Ankunft auf Ellis Island tatsächlich ein Familienwitz oder ein clever erdachter Ursprungsmythos ist, bleibt offen. "4 3 2 1" jedenfalls ist ganz sicher das Beste, was Paul Auster seit vielen Jahren veröffentlicht hat. Ein dicker Roman, das ist offensichtlich. Aber auch, und das ist das Erfreuliche, über weite Strecken ein großes Buch.
Paul Auster: "4 3 2 1"
Rowohlt Verlag, Reinbek 2017. 1.260 Seiten, 29,95 Euro.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2017. 1.260 Seiten, 29,95 Euro.