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Paul Ginsbourg: Berlusconi: Politisches Modell der Zukunft oder italienischer Sonderweg?

Silvio Berlusconi, Italiens gelifteter Ministerpräsident gilt in Europa als Modellfall des smarten Vorreiters für Klientelwirtschaft und Korruption. Wie Berlusconi an sein Vermögen kam, liegt bis heute im Dunkeln, und wer danach zu fragen wagt, bekommt leicht Probleme. Mit der Verwicklung in Korruptionsfälle und Klientelwirtschaft steht er allerdings in Europa nicht gerade einsam da. Der in Italien lebende britische Historiker Paul Ginsbourg fragt in seinem Buch, ob der Politiktyp Berlusconi das Modell der Zukunft ist.

Von Bernd Leineweber | 30.05.2005
    "Burlesquoni" titelte der Londoner Economist zu Beginn der italienischen EU-Präsidentschaft im Sommer 2003. Kurz zuvor hatte Berlusconi dem deutschen Europaabgeordneten Martin Schulz, der dem neuen Ratspräsidenten einige peinliche Fragen gestellt hatte, empfohlen, sich als Filmschauspieler für die Rolle eines KZ-Aufsehers zu bewerben. Und Tony Blair soll gesagt haben: "Sind nicht alle Italiener so?": Berlusconi – einer, der gern Späße macht, den man nicht ernst nehmen muss, ein Hanswurst auf der politischen Bühne?

    Da ist unser Autor ganz anderer Ansicht. Immer wieder mahnt Paul Ginsborg, Engländer und Hochschullehrer für zeitgenössische europäische Geschichte an der Universität Florenz, den italienischen Ministerpräsidenten und seine Politik ernst zu nehmen. Denn das Phänomen Berlusconi betreffe nicht nur Italien. "Politisches Modell der Zukunft oder italienischer Sonderweg?" lautet denn auch der Untertitel seines Buches.

    Die Frage lässt sich leichter stellen als beantworten. So beschäftigt sich denn auch das klar und übersichtlich, mit humorvollem Understatement und zugleich politischer Leidenschaft geschriebene Buch überwiegend mit dem italienischen Sonderweg – nicht nur mit der Biographie und Karriere des Mannes, sondern auch mit der italienischen Gesellschaft, ihren kulturellen und politischen Traditionen, die diese Karriere ein stückweit verständlich machen, und den gegenwärtigen innenpolitischen Verhältnissen, vor allem dem Zustand der Linken: ihrer Uneinigkeit und ihrer Unfähigkeit, der Programmatik des Medientycoons und reichsten Mannes Italiens eine zeitgemäße Vision von der gesellschaftlichen Zukunft entgegenzusetzen.

    Ginsborg zufolge hat die Opposition nicht zureichend begriffen, dass es nicht nur der skrupellose Einsatz von Berlusconis medialer und ökonomischer Macht ist, der seinen Erfolg begründet. Dass es ihm gelingt, mit Bestechungen, Rechtsbeugungen, klientelistischen und mafiosen Beziehungen und verfassungswidrigen Gesetzen seine persönliche wirtschaftliche und politische Macht zu erhalten und zu vermehren und trotzdem gewählt zu werden, liegt an den tief greifenden gesellschaftlichen Veränderungen, die sich seit über zwei Jahrzehnten auch in Italien in einem rasanten Tempo abspielen. Sie zeigen, wie schwierig die Durchsetzung von demokratischen Verhältnissen in dem immer noch sehr von vormodernen Mentalitäten geprägten Land ist. Diese widersprüchlichen Veränderungen verkörpert Berlusconi und er hat politische Formeln bereit, mit denen er werbewirksam auf sie reagiert. Wie politisch ernst zu nehmen solche Formeln sind, unterstreicht Ginsborg, wenn er den Typus, den der Ministerpräsident repräsentiert und politisch vermarktet, mit Worten aus dessen eigener Propaganda charakterisiert:

    "Berlusconi "wird durch seine persönliche Kühnheit oder Fähigkeit zum Symbol für den unbändigen Willen unserer heutigen Welt, zu handeln, etwas zu bewegen, sich lebendig zu fühlen … ein Führer, der gewählt wird, weil jeder etwas von sich selbst in ihm erkennen, sich mit ihm identifizieren kann und weil er das ist, was jeder gern sein möchte."

    Gewählt wird der Selfmademan aus bescheidenen Verhältnissen von den entsprechenden Teilen der italienischen Gesellschaft: bei den Wahlen von 2001 stimmten für Berlusconis Mitte-Rechts-Bündnis, die so genannte casa delle libertà, das "Haus der Freiheiten", 63 Prozent der Unternehmer und Freiberufler, nur 31 Prozent wählten das Mitte-Links-Bündnis. Bei den Ladenbesitzern, Handwerkern und anderen Selbständigen lagen die entsprechenden Zahlen bei 54 gegenüber 34 Prozent.

    "Beide Gruppen fühlten sich dem Unternehmertum und dem Individualismus verpflichtet, wollten ein modernes Land, waren aber auch vage katholisch, hatten in der Nachkriegszeit mit harter Arbeit, persönlichen Opfern und unter Missachtung des Staates die Grundlagen für einen beträchtlichen Wohlstand erkämpft und erkannten sich im Dauerlächeln des rastlosen kleinen Mailänder Geschäftsmannes wieder."

    Unternehmertum, Familie und Konsum – Ginsborg versteht es, diese Säulen des neoliberalistischen Credos auf dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklung Italiens deutlich zu machen, den rastlosen kleinen Mailänder Geschäftsmann zu entmystifizieren und die Rolle, die Berlusconis Medienmacht für seine politischen Erfolge zweifellos spielt, in einen größeren politischen Kontext zu stellen. Wer Berlusconi für politisch gefährlich hält, der darf, so Ginsborgs Schlussfolgerung, sich nicht darauf beschränken, ihn mit administrativen und juristischen Mitteln zu bekämpfen, und ihm dabei das Monopol für die politische Artikulation der in der Tat im Land und besonders in der Jugend weit verbreiteten Stimmung überlassen, die Berlusconi mit dem für ihn kennzeichnenden demagogischen Populismus geschickt aufgreift und sich mit Parolen wie diesen zunutze macht:

    "Das Land, das wir im Sinn haben, ist ein Land, in dem jeder junge Mensch an sich selbst glaubt, an seine Chance, Erfolg im Leben zu haben, und nicht fürchten muss, dass ihm die Tür vor der Nase zugeknallt wird, wenn er einen Kredit für ein Haus oder ein Geschäft braucht … In dem Land, das wir im Sinn haben, siegt die Wahrheit über die Lüge, die konkrete Tat über eitles Geschwätz, und die Liebe triumphiert über den Hass."

    Berlusconi kann durchaus die nächste Wahl verlieren, versichert uns Ginsborg – aber eher aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage als durch eine Opposition, die neue Antworten auf die Herausforderungen des gesellschaftlichen Wandels hat. So oder so wird er ein besonders drastisches Symptom der Krise bleiben, in der sich auch die anderen repräsentativen Demokratien befinden. Ob er ein Modell für ihre Zukunft darstellt oder doch nur dem italienischen Sonderweg zuzurechnen ist – eine klare Antwort auf diese von ihm selbst gestellte Frage bleibt unser Autor allerdings schuldig.

    Bernd Leineweber über: Berlusconi von Paul Ginsbourg aus dem Wagenbach Verlag, übersetzt von Friederike Hausmann. 191 Seiten kosten 11.90 Euro.