"Dann kam diese Kolonne, und dann hielt so ein Panzer und oben sah ich irgendeine Uniform, und ich schrie da aus Leibeskräften: I’m a German Jew! I’m a German Jew! Plötzlich guckte da oben jemand ’raus und kam auf mich zu, nahm mich und packte mich und warf mich in die Höhe. Erst mal hatte ich furchtbare Angst, dass er mich dann fallen ließ, und dann sah ich ihn an. Er war richtig pechschwarz, ich hatte noch nie einen Schwarzen gesehen, und da wuchsen meine Ängste natürlich noch, aber der umarmte mich und drückte mich und küsste mich und ich merkte, da geht also keine Gefahr von aus. Dann setzte er sich hin und gab mir noch etwas in die Hand, eine Tüte mit Dingen, die ich gar nicht kannte. Es stellte sich heraus nachher, es waren Bananen und Orangen. Ja, und dann gab er mir noch einen kräftigen Kuss und verschwand wieder in seinem Panzer und fuhr ab. "
"Es gab eine Familie, die uns aufgenommen hat, die aus merkantilen Gründen jüdische Kinder versteckte, und wir mussten immer, wenn es irgendwo klingelte, in einen Verschlag gehen, wo es fürchterlich war, weil es dunkel war, vollkommen dunkel, wir durften uns nicht äußern, weil die sagten, wenn Ihr im Versteck seid, darf kein Geräusch kommen. Und da kam zum ersten Mal das Thema Tod in mir und auch die Angst davor. Und auch die anderen Kinder hatten das. Und wenn wir dann wieder in unserem Zimmer waren, dann schaukelten wir uns in unseren Ängsten gegenseitig hoch."
Ab 1942 wurden auch die Juden in Belgien von den Nazis verfolgt und deportiert. Am 20. Januar hatte die NS-Führung auf der Berliner Wannsee-Konferenz die sogenannte "Endlösung" beschlossen, die systematische Vernichtung der europäischen Juden. Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamtes, hatte zu einer "Besprechung mit anschließendem Frühstück" geladen. Die Konferenz, in deren Folge Millionen von Menschen ermordet wurden, dauerte gerade mal anderthalb Stunden.
"Es gab eine Familie, die uns aufgenommen hat, die aus merkantilen Gründen jüdische Kinder versteckte, und wir mussten immer, wenn es irgendwo klingelte, in einen Verschlag gehen, wo es fürchterlich war, weil es dunkel war, vollkommen dunkel, wir durften uns nicht äußern, weil die sagten, wenn Ihr im Versteck seid, darf kein Geräusch kommen. Und da kam zum ersten Mal das Thema Tod in mir und auch die Angst davor. Und auch die anderen Kinder hatten das. Und wenn wir dann wieder in unserem Zimmer waren, dann schaukelten wir uns in unseren Ängsten gegenseitig hoch."
Ab 1942 wurden auch die Juden in Belgien von den Nazis verfolgt und deportiert. Am 20. Januar hatte die NS-Führung auf der Berliner Wannsee-Konferenz die sogenannte "Endlösung" beschlossen, die systematische Vernichtung der europäischen Juden. Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamtes, hatte zu einer "Besprechung mit anschließendem Frühstück" geladen. Die Konferenz, in deren Folge Millionen von Menschen ermordet wurden, dauerte gerade mal anderthalb Stunden.
"Ich wusste damals nicht: Was heißt das, Jude sein?"
Das Brüsseler Versteck der Familie Spiegel war nun nicht mehr sicher. Ruth Spiegel brachte ihren Sohn zu einer katholischen Bauernfamilie aufs Land in die Nähe von Namur.
5 Mose, 7, 6-8: "Denn du bist ein dem Herrn, deinem Gott geweihtes Volk; dich hat der Herr, dein Gott, aus allen Völkern, die auf Erden sind, für sich erwählt, dass du sein eigen seiest. Nicht weil ihr zahlreicher wäret als alle Völker, hat der Herr sein Herz euch zugewandt und euch erwählt – denn ihr seid das kleinste unter allen Völkern -, sondern weil der Herr euch liebte."
"Und ich glaube, damals begann ich dann auch in meinen kindlichen Gedankengängen, mich danach zu fragen, warum ich eigentlich nicht bei meiner Mutter war. Warum ich versteckt werden musste? Weil ich Jude bin. Weil man mir nach dem Leben trachtete. Weil es Deutsche gäbe, die jüdische Kinder umbringen wollen. Ich wusste damals nicht: Was heißt das eigentlich, Jude sein? Ich dachte, das wäre irgendwie so eine Art Krankheit, die man auslöschen musste. Ich habe dann aber erlebt, dass andere Kinder im Dorf getauft wurden, und die waren katholisch und waren auch keine Juden. Und ich habe den Pastor dann gefragt, ob ich nicht getauft werden könnte. Aber der Priester, der katholische Priester hat gesagt: Nein, solange es irgendwie geht, werden wir Dich nicht taufen. Wenn es nun gar nicht mehr geht, wenn es dann noch gefährlicher wird, dann werden wir Dich taufen. Ich bin auch nicht getauft worden dann. Ich nehme an, weil eben die Wehrmacht im Ort selbst nicht so präsent war. Denn sonst wäre die Gefahr noch größer gewesen."
Knapp drei Jahre lebte Paul Spiegel bei seiner "neuen Familie". Auch wenn er sehr unter der Trennung von seiner Mutter litt, fühlte er sich behütet. Die Befreiung durch die Amerikaner erlebte er gemeinsam mit den Dorfbewohnern.
"Wir rannten auf die Straße, und dann plötzlich sahen wir in den Häusern bunte Fähnchen. Ich nehme an, das waren die belgischen, vielleicht auch die amerikanischen Fähnchen, ich weiß das nicht so genau, und alles tanzte, und man trank. Es wurde Schnaps oder irgendwelche Flaschen rumgereicht, die Leute umarmten sich und küssten, es war eine Freude, wie ich sie bis dahin nicht erlebt hatte. "
5 Mose, 7, 6-8: "Denn du bist ein dem Herrn, deinem Gott geweihtes Volk; dich hat der Herr, dein Gott, aus allen Völkern, die auf Erden sind, für sich erwählt, dass du sein eigen seiest. Nicht weil ihr zahlreicher wäret als alle Völker, hat der Herr sein Herz euch zugewandt und euch erwählt – denn ihr seid das kleinste unter allen Völkern -, sondern weil der Herr euch liebte."
"Und ich glaube, damals begann ich dann auch in meinen kindlichen Gedankengängen, mich danach zu fragen, warum ich eigentlich nicht bei meiner Mutter war. Warum ich versteckt werden musste? Weil ich Jude bin. Weil man mir nach dem Leben trachtete. Weil es Deutsche gäbe, die jüdische Kinder umbringen wollen. Ich wusste damals nicht: Was heißt das eigentlich, Jude sein? Ich dachte, das wäre irgendwie so eine Art Krankheit, die man auslöschen musste. Ich habe dann aber erlebt, dass andere Kinder im Dorf getauft wurden, und die waren katholisch und waren auch keine Juden. Und ich habe den Pastor dann gefragt, ob ich nicht getauft werden könnte. Aber der Priester, der katholische Priester hat gesagt: Nein, solange es irgendwie geht, werden wir Dich nicht taufen. Wenn es nun gar nicht mehr geht, wenn es dann noch gefährlicher wird, dann werden wir Dich taufen. Ich bin auch nicht getauft worden dann. Ich nehme an, weil eben die Wehrmacht im Ort selbst nicht so präsent war. Denn sonst wäre die Gefahr noch größer gewesen."
Knapp drei Jahre lebte Paul Spiegel bei seiner "neuen Familie". Auch wenn er sehr unter der Trennung von seiner Mutter litt, fühlte er sich behütet. Die Befreiung durch die Amerikaner erlebte er gemeinsam mit den Dorfbewohnern.
"Wir rannten auf die Straße, und dann plötzlich sahen wir in den Häusern bunte Fähnchen. Ich nehme an, das waren die belgischen, vielleicht auch die amerikanischen Fähnchen, ich weiß das nicht so genau, und alles tanzte, und man trank. Es wurde Schnaps oder irgendwelche Flaschen rumgereicht, die Leute umarmten sich und küssten, es war eine Freude, wie ich sie bis dahin nicht erlebt hatte. "
"Meine Eltern glaubten im Grunde genommen an das Gute im Menschen"
Erst drei Wochen später konnte die Mutter den Sohn nach Brüssel holen. Im Sommer 1945 erfuhr Ruth Spiegel, dass ihr Mann Hugo die Vernichtungslager überlebt hatte und in seinen Heimatort Warendorf zurückgekehrt war. Ihren Plan, nach Amerika auszuwandern, gab sie auf.
"Als es plötzlich hieß, wir gehen nach Deutschland, da wollte ich ja nicht mit. Für mich verband sich Deutschland mit den Menschen, die uns umbringen wollten. Und da wollten wir jetzt hin? Aber als Siebenjähriger hat man ja keine Chance, sich alleine auf den Weg zu machen. Ich glaube schon, dass meine Eltern neu anfangen wollten. Sie sagten: das andere ist geschehen, das war schrecklich, das war furchtbar, aber nicht alle Deutschen waren Nazis. Sie glaubten eben, das hört sich ein bisschen sentimental an, aber sie glaubten im Grunde genommen an das Gute im Menschen. "
"Als es plötzlich hieß, wir gehen nach Deutschland, da wollte ich ja nicht mit. Für mich verband sich Deutschland mit den Menschen, die uns umbringen wollten. Und da wollten wir jetzt hin? Aber als Siebenjähriger hat man ja keine Chance, sich alleine auf den Weg zu machen. Ich glaube schon, dass meine Eltern neu anfangen wollten. Sie sagten: das andere ist geschehen, das war schrecklich, das war furchtbar, aber nicht alle Deutschen waren Nazis. Sie glaubten eben, das hört sich ein bisschen sentimental an, aber sie glaubten im Grunde genommen an das Gute im Menschen. "
Das Jugendtum wurde zu einer Quelle der Stärke
Dem jungen Paul Spiegel fiel es lange Zeit schwer, seinen Vater zu begreifen. Es quälten ihn viele Fragen, auf die er weder zu Hause noch in der Schule eine Antwort bekam.
"Der Geschichtsunterricht hörte 1933 auf. Ich bin auch nie in der Schule gefragt worden, erzähl mal, was du gemacht hast. Es war kein Thema. Man hat es überdeckt. Ich glaube, nein, ich bin überzeugt, das hängt damit zusammen, dass die Lehrer ja noch verhaftet waren in diesem Nationalsozialismus. Und von denen konnte man keine Objektivität erreichen. "
Als Jugendlicher entdeckte Paul Spiegel im Judentum für sich eine Quelle der Stärke. Die Frage nach den Ursachen von Antisemitismus und Holocaust ließ ihn zeitlebens nicht mehr los.
"Es gab zwei Arten von Menschen, von Juden, die das überlebt haben, wie sie mit der Vergangenheit umgehen. Die eine Art ist, wie mein Vater, die sagten: Schluss, ich will davon nichts mehr hören, ich will das vergessen, sonst werde ich verrückt. Und es gab andere, die dieses Thema nur verarbeiten konnten, indem sie immer darüber berichteten. Ein Mittelding habe ich da nie erlebt. "
"Der Geschichtsunterricht hörte 1933 auf. Ich bin auch nie in der Schule gefragt worden, erzähl mal, was du gemacht hast. Es war kein Thema. Man hat es überdeckt. Ich glaube, nein, ich bin überzeugt, das hängt damit zusammen, dass die Lehrer ja noch verhaftet waren in diesem Nationalsozialismus. Und von denen konnte man keine Objektivität erreichen. "
Als Jugendlicher entdeckte Paul Spiegel im Judentum für sich eine Quelle der Stärke. Die Frage nach den Ursachen von Antisemitismus und Holocaust ließ ihn zeitlebens nicht mehr los.
"Es gab zwei Arten von Menschen, von Juden, die das überlebt haben, wie sie mit der Vergangenheit umgehen. Die eine Art ist, wie mein Vater, die sagten: Schluss, ich will davon nichts mehr hören, ich will das vergessen, sonst werde ich verrückt. Und es gab andere, die dieses Thema nur verarbeiten konnten, indem sie immer darüber berichteten. Ein Mittelding habe ich da nie erlebt. "