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Paul Virilio: Information und Apokalypse - Die Strategie der Täuschung und Michael Ignatieff: Die Zivilisierung des Krieges

Vor allem die Fernsehjournalisten hätten damals vor einem Jahr, als die NATO angetreten war, das Kosovo zu befreien, und die Reste Jugoslawiens zerbombte, "Korpsgeist" bewiesen, hätten "Konsensbeteuerungen gegenüber der NATO und der Bundesregierung abgegeben und darauf verzichtet, deren Informations- und Legitimationspolitik kritisch zu hinterfragen. Der Marburger Medienwissenschaftler Karl Prümm meinte dies jüngst während der Mainzer Tage der Fernsehkritik. Die Verantwortlichen in den Rundfunkanstalten widersprachen natürlich heftig, aber nicht zu bestreiten ist, dass moderne Kriege wesentlich an der Informationsfront entschieden werden. Sven Kramer stellt Ihnen nun zwei Neuerscheinungen zu diesem Aspekt moderner Kriegsführung vor.

Sven Kramer |
    Nun verschwindet der Balkan langsam aus der aktuellen Fernseh-Berichterstattung. Die emotional geführten Debatten um die Kriegsstrategie verblassen - ebenso wie die Bilder von den NATO-Bombardements und den Massengräbern. In dieser Situation werfen Paul Virilio und Michael Ignatieff in zwei Essaysammlungen die Frage auf, welche längerfristigen politischen Tendenzen an den Vorgängen im ehemaligen Jugoslawien abgelesen werden können. Virilio, der postmoderne Medientheoretiker, betrachtet den Krieg im Kosovo im Kontext der Globalisierung, die von der Technik in Gestalt der Kommunikationsmedien angeführt werde. Eine seiner apodiktisch vorgetragenen Thesen lautet, wir seien in das Zeitalter des Informationskrieges eingetreten:

    »Nachdem der electronic warfare im Golfkrieg ausprobiert wurde, testen die Vereinigten Staaten nun den information warfare. Die Leistungsfähigkeit dieses Systems beruht auf drei grundlegenden Prinzipien: ständige Präsenz von Satelliten über den Territorien, Übertragung der gesammelten Informationen in Echtzeit und schließlich die Fähigkeit zur schnellen Auswertung der an die verschiedenen Stäbe übermittelten Daten.«

    Die Militarisierung des Alls durch die Satellitentechnik erweitert den Kriegsschauplatz, so dass der Begriff der Lufthoheit eine neue Dimension gewinnt. Es geht um die Möglichkeit der vollständigen Überwachung des gegnerischen Territoriums einschließlich der feindlichen Aktivitäten. Für Virilio nähert sich unser Gemeinwesen schon im zivilen Bereich der totalen Überwachungs- und Denunziationsgesellschaft. Dafür spreche zum Beispiel die Verbreitung der Livekameras im Internet. Auf militärischem Gebiet erreiche der neue, aus dem All gesteuerte panoptische Blick globale Ausmaße. Geostrategische Ziele, die bei früheren Arten der Kriegsführung dominierten, treten im Informationskrieg zurück. Die Beherrschung eines Territoriums verlangt nicht mehr dessen Besetzung. Stattdessen stört man die gegnerischen Informationsflüsse, etwa durch den Einsatz von Graphitbomben. Und man bekämpft die Informationen selbst.

    »Während früher Informationsmangel und Zensur die Ablehnung der Demokratie in totalitären Staaten kennzeichnete, ist heute das genaue Gegenteil der Fall. Es wird desinformiert, indem man den Fernsehzuschauer mit Informationen und augenscheinlich widersprüchlichen Fakten überschwemmt. Der Krieg auf dem Balkan belegt, dass die realen Gegebenheiten durch ÜBERINFORMATION zensiert werden.«

    Indem die militärischen Stäbe viele Fernsehbilder in Umlauf brachten oder autorisierten, verschwamm die Grenze zwischen Information und Propaganda. Flankierend schaltete die NATO gegnerische Informationen aus, etwa durch die gezielte Bombardierung des serbischen Fernsehens. Virilio sieht darin den Übergang vom Bilderkrieg zur globalen Bilderpolizei, womit er die Schaffung eines einheitlichen Marktes der weltweiten Bildproduktion meint. Daraus folge das Paradox, dass nur die ungeordnete, chaotische Wirklichkeit vor Ort einen gewissen Schutz vor Desinformationen biete, während die Medienkonsumenten schon immer der Propaganda aufsäßen. Entfalten diese Überlegungen Virilios eine gewisse Plausibilität, erscheinen andere Zuspitzungen prekärer:

    »Im Kosovo sind wir zu Zeugen des globalistischen Putsches geworden. Das heißt die Machtübernahme durch eine überstaatliche bewaffnete Truppe (die NATO), die sich der politischen Kontrolle der demokratischen Staaten (die UNO) entzieht.«

    Das Argument der NATO, sie habe aus humanitären Gründen gehandelt, lässt Virilio nicht gelten. Das Humanitäre kaschiere nur den militärischen Interventionismus. Der Westen wolle die neue Weltordnung gewaltsam durchsetzen und instrumentalisiere dazu das Pathos des Humanitären. Indem die NATO in innerstaatliche Fragen eingriff, habe sie bestehendes Recht gebrochen. Zugleich versuche sie nun, dem Krieg mit der Einsetzung des Den Haager Gerichts eine moralische Legitimation zu verleihen. Diese Legitimation bestreitet Virilio. Dabei versteigt er sich zu der Aussage, die NATO habe gegen einen amtierenden Präsidenten, gemeint ist Milosevic, eine Art westliche Fatwa ausgerufen. Spätestens an solchen Übertreibungen scheitert sein Essay. Seine Anprangerung der Technikfolgen, die er mit dem Gestus eines Apokalyptikers vorträgt, und seine Verdammung der westlich-kapitalistischen Herrschaft führen ihn zur unakzeptablen Aufwertung des serbischen Hauptkriegsverbrechers. Dass er die kritische Spitze seines Moralismus gegen die Intervention der NATO kehrt, mag angehen, bedrückend daran ist nur, dass er über die Opfer der ethnischen Säuberungen kaum ein Wort verliert. Virilios moralistischer Furor läuft damit ins Leere. Spiegelbildlich zu Virilios Versuch verhält sich derjenige Ignatieffs. Der Historiker, Romancier und Journalist bereiste in den neunziger Jahren Kriegsschauplätze auf mehreren Kontinenten. Auch seine Überlegungen zu den Kriegen der neunziger Jahre stehen im Zeichen der Globalisierung, doch wählt er den Blick auf die Opfer zum archimedischen Punkt. Er fragt, wie das Leid der Zivilbevölkerung gemildert oder verhindert werden könne und verlangt die Ausbildung einer Ethik der universalen moralischen Verpflichtung unter Fremden. Diese entwirft er in der christlich-abendländischen Tradition des Universalismus, dessen politische Form er im Liberalismus erkennt. Unabdingbar sei die abstrakte Unterstellung der Gleichheit aller Menschen. Diese Fiktion, die auch im Naturrecht festgeschrieben ist, müsse trotz aller individuellen und gruppenspezifischen Unterschiede aufrecht erhalten werden.

    »Die Idee des Liberalismus mag vierhundert Jahre alt sein, doch erst in den letzten vierzig Jahren, das heißt seit der bürgerlichen Emanzipation der nichtweißen Völker, hat das Experiment richtig begonnen - ein Gemeinwesen auf der Grundlage gleicher Rechte zu errichten, unter Einschluss aller vorhandenen Unterschiede zwischen Menschen.«

    Wer im Fremden den Mitmenschen erkennt, bringt ihm, wenn er in Not gerät, Mitleid und Hilfsbereitschaft entgegen. Für Ignatieff spielen die Medien, denen er einen eigenen Aufsatz widmet, für die Vermittlung fremden Leids eine herausragende Rolle. Sie würden zur Ausbildung eines neuen globalen Gewissens und einer Kultur der Menschenrechte beitragen, und sie könnten Regierungen unter Handlungsdruck setzen. Zur Transformation dieser Ethik in Regierungshandeln erarbeitet Ignatieff dann eine theoretische Legitimation des militärischen Interventionismus, die jedoch im Detail recht vage bleibt. Auswärtige Mächte sollten in einem Bürgerkrieg Gewalt anwenden, sofern autoritäre Populisten nicht anders zur Räson gebracht werden könnten. Sie sollten der Sezession eines Territoriums dann zustimmen, wenn konkrete und frische Erinnerungen an vergossenes Blut eine Einigung zwischen den Parteien unmöglich machten. Und sie sollten die vom Bürgerkrieg betroffenen Zivilisten mit militärischen Mitteln schützen, etwa indem sie das Konzept der Schutzzonen weiterentwickeln. Als logische Konsequenz seiner Bejahung des Interventionismus gelangt Ignatieff zu einer Rechtfertigung bestimmter Kriege:

    »Der Krieg überdauert alle Formen der Empörung gegen seine Barbarei, und deshalb ist es sinnlos, von einer Welt ohne Kriege zu träumen oder sich eine Welt vorzustellen, in der die Kunst des Krieges nicht mehr gebraucht wird. Moralische Vernunft lässt sich nur durch Subtilität und genaues Abwägen erreichen. Das heißt, die Unvermeidlichkeit, manchmal sogar Wünschbarkeit des Krieges zu akzeptieren und dann zu versuchen, ihn unter Beibehaltung bestimmter Gesetze der Ehre zu führen. Es gibt menschliche und unmenschliche Kämpfer, gerechte und ungerechte Kriege, Formen des Tötens, die notwendig sind, und Formen, die uns alle entehren.«

    Der sonst differenziert argumentierende Ignatieff verteidigt in dieser zweifelhaften Passage die Idee des gerechten Tötens. Den Krieg nimmt er hin und erklärt ihn zum ewigen Begleiter der Menschheit. Hoffnung setzt er allein in dessen Zivilisierung, womit er vor allem die universelle Durchsetzung des internationalen Kriegsrechts meint. Durch diesen Pragmatismus unterscheidet sich Ignatieff wohltuend von Virilios pauschalisierenden Verdammungen. Sein Bemühen, die Umsetzung der großen Ideen bis in das lebensweltliche Handeln zu verfolgen, führt ihn allerdings in die Gemengelage konkreter Situationen, auf die sich Virilio gar nicht erst einlässt. Weil aber hier jene moralischen Grauzonen beginnen, die das universalistische Licht absorbieren, geht Ignatieffs weit ausholendem Entwurf immer wieder die Luft aus. Bleibt also festzuhalten, dass beide Autoren ein moralischer Impuls antreibt, der sie zu gegensätzlichen politischen Folgerungen leitet. Beide nähern sich der jüngst vergangenen Geschichte durch eine Arbeit der theoretischen Zuspitzung, die in der Form des Essays ihren legitimen Platz findet. Schießt mancher Gedanke auch über das Ziel hinaus, sollte doch erwogen werden, dass die Wahrheit des Essays mitunter in seinen Übertreibungen liegt.

    Sven Kramer über Paul Virilio, "Information und Apokalypse - Die Strategie der Täuschung". Carl Hanser Verlag, Edition Akzente, München und Wien, 220 Seiten, DM 36,-- und über Michael Ignatieff, "Die Zivilisierung des Krieges, Ethnische Konflikte, Menschenrechte, Medien", Rotbuch Verlag Hamburg, 243 Seiten, 34 DM.