Zitator:
"In den Kiefern fliegt Wind. Er treibt schlenkernde Tropfen, reißt ein Spinnennetz von besprühten Nadeln und trägt es hinter einen glitschigen Erdhöcker, auf die Wagenspuren im Schlamm. Der Weg läuft dreißig Werst durch schwankenden Nadelwald bis zum Bahndamm, und dort, hinter Regensäulen, erheben sich Hügelkuppen. Nebel hat die Täler darunter gefüllt, Regen spült Lücken hinein und gräbt Schluchten unter dem wachsenden Himmel. Wasser trägt Schaum. In kurzen Wolkenaufrissen leuchtet Sonne. Ihr entgegen zuckt, in Tropfen gespiegelt, Gewehrfeuer."
"Ich finde den Anfang des Romans so grandios, weil da aus einem Hauch, aus einem Wind ein Kosmos entsteht, das ist wirklich wie so ein winziger Schöpfungsbericht: Man geht in die Natur, der Blick wird permanent gelenkt, geleitet, umgeleitet, die Perspektiven ändern sich – und man hat schon das Gefühl, ja, das ist eine Schöpfungsgeschichte, und dann es ist das Gegenteil von Paradies, es ist ein Kosmos der Gewalt."
Die Übersetzerin Christiane Körner war geradezu elektrisiert von den ersten Seiten des Romans, den man ihr in Moskau ans Herz legte. Sie machte sich stark für dieses präzedenzlose Werk, das nun in ihrer deutschen Übersetzung vorliegt: Sibirien im Bürgerkrieg, eine Gegend am Dnjestr während der Revolution von 1905 oder 1917, das Leningrad der NEP-Jahre – an allen drei Schauplätzen, die der Autor Pawel Salzman wählte, geht es um den nackten Überlebenskampf, jeder gegen jeden. Ein Arsenal an Waffen, ein Katalog der Grausamkeiten, die ihresgleichen suchen. Der Autor schaut genau hin und erspart sich und uns keine Einzelheiten.
"In den Kiefern fliegt Wind. Er treibt schlenkernde Tropfen, reißt ein Spinnennetz von besprühten Nadeln und trägt es hinter einen glitschigen Erdhöcker, auf die Wagenspuren im Schlamm. Der Weg läuft dreißig Werst durch schwankenden Nadelwald bis zum Bahndamm, und dort, hinter Regensäulen, erheben sich Hügelkuppen. Nebel hat die Täler darunter gefüllt, Regen spült Lücken hinein und gräbt Schluchten unter dem wachsenden Himmel. Wasser trägt Schaum. In kurzen Wolkenaufrissen leuchtet Sonne. Ihr entgegen zuckt, in Tropfen gespiegelt, Gewehrfeuer."
"Ich finde den Anfang des Romans so grandios, weil da aus einem Hauch, aus einem Wind ein Kosmos entsteht, das ist wirklich wie so ein winziger Schöpfungsbericht: Man geht in die Natur, der Blick wird permanent gelenkt, geleitet, umgeleitet, die Perspektiven ändern sich – und man hat schon das Gefühl, ja, das ist eine Schöpfungsgeschichte, und dann es ist das Gegenteil von Paradies, es ist ein Kosmos der Gewalt."
Die Übersetzerin Christiane Körner war geradezu elektrisiert von den ersten Seiten des Romans, den man ihr in Moskau ans Herz legte. Sie machte sich stark für dieses präzedenzlose Werk, das nun in ihrer deutschen Übersetzung vorliegt: Sibirien im Bürgerkrieg, eine Gegend am Dnjestr während der Revolution von 1905 oder 1917, das Leningrad der NEP-Jahre – an allen drei Schauplätzen, die der Autor Pawel Salzman wählte, geht es um den nackten Überlebenskampf, jeder gegen jeden. Ein Arsenal an Waffen, ein Katalog der Grausamkeiten, die ihresgleichen suchen. Der Autor schaut genau hin und erspart sich und uns keine Einzelheiten.
Tiere, die wie Menschen denken und handeln
Von einem realistisch erzählten Roman sind Pawel Salzmans "Welpen" allerdings weit entfernt. Die zeitliche Einordnung des Geschehens überlässt er dem Leser; die ideologischen und militärischen Auseinandersetzungen etwa der Bürgerkriegszeit – Rot gegen Weiß und umgekehrt – werden nicht beim Namen genannt. Zudem geht der Hyperrealismus bei der Schilderung von Gewalt einher mit seltsamen Verschiebungen der Chronologie, mit logischen und topografischen Unstimmigkeiten. Liegt es daran, dass Salzman sein Werk nicht abschließen und für den Druck vorbereiten konnte? Christiane Körner, als Übersetzerin die erste und genaueste Leserin, findet es schwierig, die Frage eindeutig zu beantworten.
"Einerseits sind die 'Welpen' natürlich nicht abgeschlossen, das ist kein vollendeter Roman. Andererseits finde ich, dass diese Inkohärenzen, zum Beispiel, was Zeitabläufe betrifft, was Orte betrifft, dass sie ihre Entsprechung wirklich haben im inhaltlichen – dass es unglaublich gut passt. Es herrscht ja in dem Roman eine Art Traumlogik. Die Inkohärenzen, die Brüche, die korrespondieren, finde ich, ganz fantastisch mit dem Empfinden der Figuren, dass in dieser Welt der Gewalt jederzeit jedem alles zustoßen kann, dass der Boden unter den Füßen schwankt."
Eine "genaue Ungenauigkeit" hat ein russischer Literaturwissenschaftler dieses Paradox in Salzmans "Welpen" genannt. Einbrüche des Fantastischen in die reale Welt bewerkstelligt der Autor – übrigens ein Verehrer von E. T. A. Hoffmann – mit einer Reihe von Tieren, die wie Menschen denken und handeln: Eine Eule erweist sich als Verkörperung des Bösen – sie raubt Menschen aus, sie vergewaltigt Frauen. Als Zwitterwesen streift sie in männlicher Gestalt durch Leningrad auf der Suche nach dem nächsten Opfer:
Zitator:
"Sprühend vor Energie, ein Bild von einem Mann, Blumenstrauß, Kollier, ein wahnwitziger Sprung. So hätte es auf jeden Außenstehenden gewirkt. Nicht mit dem Fuß, mit der Hand berührte er das Trittbrett der Straßenbahn, wirbelte im Biberpelz wie ein Rad über die Menge im Waggon dahin und schoss durchs Fenster auf die Plattform. [...] übers Brückengeländer an einer Gruppe plaudernder, den Mund aufreißender Leute vorbei, die aufs Flusstaxi warteten. Manch einer der nächtlichen Passanten hätte wohl versucht, ihm nachzurennen, wären nicht die dunkle Nacht und der tiefe Schnee gewesen."
"Einerseits sind die 'Welpen' natürlich nicht abgeschlossen, das ist kein vollendeter Roman. Andererseits finde ich, dass diese Inkohärenzen, zum Beispiel, was Zeitabläufe betrifft, was Orte betrifft, dass sie ihre Entsprechung wirklich haben im inhaltlichen – dass es unglaublich gut passt. Es herrscht ja in dem Roman eine Art Traumlogik. Die Inkohärenzen, die Brüche, die korrespondieren, finde ich, ganz fantastisch mit dem Empfinden der Figuren, dass in dieser Welt der Gewalt jederzeit jedem alles zustoßen kann, dass der Boden unter den Füßen schwankt."
Eine "genaue Ungenauigkeit" hat ein russischer Literaturwissenschaftler dieses Paradox in Salzmans "Welpen" genannt. Einbrüche des Fantastischen in die reale Welt bewerkstelligt der Autor – übrigens ein Verehrer von E. T. A. Hoffmann – mit einer Reihe von Tieren, die wie Menschen denken und handeln: Eine Eule erweist sich als Verkörperung des Bösen – sie raubt Menschen aus, sie vergewaltigt Frauen. Als Zwitterwesen streift sie in männlicher Gestalt durch Leningrad auf der Suche nach dem nächsten Opfer:
Zitator:
"Sprühend vor Energie, ein Bild von einem Mann, Blumenstrauß, Kollier, ein wahnwitziger Sprung. So hätte es auf jeden Außenstehenden gewirkt. Nicht mit dem Fuß, mit der Hand berührte er das Trittbrett der Straßenbahn, wirbelte im Biberpelz wie ein Rad über die Menge im Waggon dahin und schoss durchs Fenster auf die Plattform. [...] übers Brückengeländer an einer Gruppe plaudernder, den Mund aufreißender Leute vorbei, die aufs Flusstaxi warteten. Manch einer der nächtlichen Passanten hätte wohl versucht, ihm nachzurennen, wären nicht die dunkle Nacht und der tiefe Schnee gewesen."
Salzman verdiente sein Brot Zeit seines Lebens als Ausstatter beim Film
Wie die Eule tauchen auch die titelgebenden Welpen an allen drei zeitlich wie geografisch entfernten Schauplätzen auf. Einfach so. Sie behalten zwar ihre Hundegestalt, aber auch sie können sprechen – was Menschen, die mit ihnen in Kontakt kommen, überhaupt nicht irritiert. Über die Spanne der Jahre hinweg werden die jungen Hunde nicht älter, sie sind und bleiben Welpen. Sie teilen das Los der Menschen – auch sie leiden unter Hunger, Kälte und Gewalt.
Der Hunger und das Ausgesetztsein, der Verlust von Heim und Herd – Erfahrungen, die im Russland des 20. Jahrhunderts Millionen Menschen machten: in Krieg und Bürgerkrieg, in den Hungersnöten Anfang der 1920er-Jahre und während der Kollektivierung Anfang der 1930er-Jahre, im Leningrad der Blockade. Reale sowjetische Traumata, die auch an dem 1912 geborenen Pawel Salzman nicht vorübergingen und die er in seinem Roman "Die Welpen" mit extravaganten literarischen Mitteln bannte.
Salzman war bildender Künstler, ein Schüler des Malers Filonow, dessen kleinteilige, prismatisch aufgefächerte Bilder die Schrecken und das Leid der Epoche geradezu speichern. Von der Kunst der Avantgarde entlieh der Autor das Verfahren der Multiperspektive, die in seinem Roman den Erzähler ersetzt. Da Pawel Salzman sein Brot Zeit seines Lebens als Ausstatter beim Film verdiente, überrascht auch der Einsatz filmischer Mittel nicht: Totale, Zoom und Zeitraffer, die bis hinunter in die Feinstrukturen des Textes wirken, wie die Übersetzerin feststellt.
"Wenn es heißt: 'der Körper ist überströmt von getrocknetem Schweiß', dann liegt natürlich in dieser alogischen Formulierung ein irrer Zeitsprung, ein Zeitraffer, der das Gleichzeitige von ganz vielem in dieser chaotischen Grundsituation, finde ich, wunderbar auf den Punkt bringt."
Der Hunger und das Ausgesetztsein, der Verlust von Heim und Herd – Erfahrungen, die im Russland des 20. Jahrhunderts Millionen Menschen machten: in Krieg und Bürgerkrieg, in den Hungersnöten Anfang der 1920er-Jahre und während der Kollektivierung Anfang der 1930er-Jahre, im Leningrad der Blockade. Reale sowjetische Traumata, die auch an dem 1912 geborenen Pawel Salzman nicht vorübergingen und die er in seinem Roman "Die Welpen" mit extravaganten literarischen Mitteln bannte.
Salzman war bildender Künstler, ein Schüler des Malers Filonow, dessen kleinteilige, prismatisch aufgefächerte Bilder die Schrecken und das Leid der Epoche geradezu speichern. Von der Kunst der Avantgarde entlieh der Autor das Verfahren der Multiperspektive, die in seinem Roman den Erzähler ersetzt. Da Pawel Salzman sein Brot Zeit seines Lebens als Ausstatter beim Film verdiente, überrascht auch der Einsatz filmischer Mittel nicht: Totale, Zoom und Zeitraffer, die bis hinunter in die Feinstrukturen des Textes wirken, wie die Übersetzerin feststellt.
"Wenn es heißt: 'der Körper ist überströmt von getrocknetem Schweiß', dann liegt natürlich in dieser alogischen Formulierung ein irrer Zeitsprung, ein Zeitraffer, der das Gleichzeitige von ganz vielem in dieser chaotischen Grundsituation, finde ich, wunderbar auf den Punkt bringt."
Erst 2012 erschien der Roman in Russland
Pawel Salzman, der in den Kreisen der Leningrader Avantgarde-Autoren verkehrte, implementierte in seinen Roman absurde Dialoge (mit Regieanweisungen), wie Daniil Charms sie schrieb, aber auch Passagen in der futuristischen Kunstsprache eines Velimir Chlebnikov. Hinzukommen Slang und Gaunersprache – eine stilistische Vielfalt, die von der Übersetzerin verlangte, "die entsprechenden Register zu ziehen", wie sie im Gespräch sagte. Wo Salzman wie Salzman schrieb, hatte sie es allerdings auch nicht leichter.
"Der Roman ist über weite Strecken unglaublich dynamisch: Da überstürzen sich die Sätze, da steht das tragende Nomen erst ganz am Schluss und dann löst sich praktisch in einer kleinen Explosion der Sinn auf. Der Text ist so voller Energie und gleichzeitig so leicht und schnell und kraftvoll, vor allem durch die Syntax, da hat das Russische eben viele Möglichkeit so elegant zu sein, so knapp, so elliptisch zu sein. Und das Problem, das nachzubilden, da adäquate Mittel zu finden und das ins Deutsche zu retten, dieses Empfinden von Chaos, von Geworfensein und diese Schockeffekte, aber gleichzeitig auch diesen Sog der Beschreibung, die einen so hereinnimmt und mitnimmt – das fand ich sehr schwierig, bis ich einen Weg gefunden hatte, diesen Stil abzubilden. Wichtig war dabei auch, wie viel kann ich, wie viel will ich dem deutschsprachigen Leser zumuten, bei diesem sehr, sehr eigenwilligen russischen Text?"
Von 1932 bis 1952 schrieb Pawel Salzman an den "Welpen". 1982, drei Jahre vor seinem Tod, nahm er die Arbeit noch einmal auf, wie gesagt, ohne das Werk abzuschließen. An eine Veröffentlichung in der Sowjetunion war ohnehin nicht zu denken; es dem Samizdat anzuvertrauen oder gar im Ausland drucken lassen, widerstrebte dem Autor, den Zeitgenossen als vorsichtigen, ja, ängstlichen Menschen in Erinnerung haben. Erst 2012 erschien sein Roman in Russland und sorgte für Aufsehen: Aus der Schublade eines Unbekannten war ein Meisterwerk aufgetaucht!
Christiane Körner hat es grandios ins Deutsche gebracht, mit enormem Wissen und Können – und der Liebe, ohne die man so etwas nicht zustande bringt!
"Der Roman ist über weite Strecken unglaublich dynamisch: Da überstürzen sich die Sätze, da steht das tragende Nomen erst ganz am Schluss und dann löst sich praktisch in einer kleinen Explosion der Sinn auf. Der Text ist so voller Energie und gleichzeitig so leicht und schnell und kraftvoll, vor allem durch die Syntax, da hat das Russische eben viele Möglichkeit so elegant zu sein, so knapp, so elliptisch zu sein. Und das Problem, das nachzubilden, da adäquate Mittel zu finden und das ins Deutsche zu retten, dieses Empfinden von Chaos, von Geworfensein und diese Schockeffekte, aber gleichzeitig auch diesen Sog der Beschreibung, die einen so hereinnimmt und mitnimmt – das fand ich sehr schwierig, bis ich einen Weg gefunden hatte, diesen Stil abzubilden. Wichtig war dabei auch, wie viel kann ich, wie viel will ich dem deutschsprachigen Leser zumuten, bei diesem sehr, sehr eigenwilligen russischen Text?"
Von 1932 bis 1952 schrieb Pawel Salzman an den "Welpen". 1982, drei Jahre vor seinem Tod, nahm er die Arbeit noch einmal auf, wie gesagt, ohne das Werk abzuschließen. An eine Veröffentlichung in der Sowjetunion war ohnehin nicht zu denken; es dem Samizdat anzuvertrauen oder gar im Ausland drucken lassen, widerstrebte dem Autor, den Zeitgenossen als vorsichtigen, ja, ängstlichen Menschen in Erinnerung haben. Erst 2012 erschien sein Roman in Russland und sorgte für Aufsehen: Aus der Schublade eines Unbekannten war ein Meisterwerk aufgetaucht!
Christiane Körner hat es grandios ins Deutsche gebracht, mit enormem Wissen und Können – und der Liebe, ohne die man so etwas nicht zustande bringt!
Pawel Salzman: "Die Welpen"
Roman. Aus dem Russischen von Christiane Körner.
Verlag Matthes&Seitz, Berlin 2016. 456 Seiten. 30 Euro
Roman. Aus dem Russischen von Christiane Körner.
Verlag Matthes&Seitz, Berlin 2016. 456 Seiten. 30 Euro