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Pazifischer Wildlachs
Viren aus Lachsfarmen breiten sich aus

Einige der Lachspopulationen im Pazifik sind seit den frühen 1990er-Jahren stark rückläufig. Neben der Überfischung und dem Klimawandel nehmen Forscher nun eine weitere Ursache ins Visier: Krankheitserreger aus den Lachsfarmen vor der Küste in der kanadischen Provinz British Columbia.

Von Dagmar Röhrlich |
Lachsfarm im norwegischen Meer.
Lachsfarmen wie hier in Norwegen gefährden den Wildlachs, weil sich Parasiten und Viren von dort ausbreiten (picture alliance / blickwinkel / H. Baesemann)
PRV – das ist die Abkürzung für das Piscine Orthoreovirus. 1999 ist dieses Fischvirus entdeckt worden, und zwar in norwegischen Lachsfarmen. Dort kann es in den Tieren Herz- und Muskelentzündungen auslösen. Weil Atlantische Lachse aber nicht nur in Nordeuropa gezüchtet wird, sondern beispielswiese auch in Chile oder Kanada, ist die Frage: Sind mit den Fischeiern auch die Erreger exportiert worden und befallen nun die Pazifischen Wildlachse? Gideon Mordecai von der University of British Columbia beantwortet sie so:
"Da in British Columbia der Bestand an Pazifiklachs rückläufig ist, besteht die Sorge, dass eine der Ursachen solche aus der Aquakultur ausgespülten Krankheitserreger sein könnten."
Weil das Virus bei Pazifischen Wildlachsen mit Leber- und Nierenschäden in Verbindung gebracht wird, ist der Forscher diesem möglichen Zusammenhang nachgegangen: in einer Studie, die die Universität in Vancouver zusammen mit einer von der kanadischen Regierung gestützten Initiative zum Schutz der Pazifischen Wildlachse durchgeführt hat.

Das Virengenom verrät die Herkunft der Erreger

Gideon Mordecai setzte bei seinen Analysen auf die Sequenzierung des Virusgenoms: "Es ist dieselbe Methode, die auch bei der Sars-CoV-2-Pandemie eingesetzt wird, um aufgrund der Unterschiede im Erbgut zu sehen, wie sich der Erreger entwickelt und von einem Land zum anderen verbreitet. Das konnten wir mit einem Lachsvirus machen."
Den Genomsequenzierungen zufolge stammt das Virus ursprünglich aus Lachszuchten im Nordatlantik. Die Vermutungen haben sich also bestätigt: "Aufgrund der Veränderungen in den viralen Genomen können wir abschätzen, wann die Erreger importiert worden sind. Die Daten legen nahe, dass das vor etwa 30 Jahren passiert ist. Zu diesem Zeitpunkt sind interessanterweise für den Start der Zucht Eier vom Atlantischen Lachs aus Europa nach British Columbia importiert worden."

Das Virus wird kontinuierlich zwischen den Populationen übertragen

Die Fehlergrenze, erläutert Gideon Mordecai, liege zwar bei plus minus zehn Jahren. Doch so oder so sei die Einführung des Virus vor relativ kurzer Zeit passiert, gehe also nicht auf die ersten Versuche mit der Einführung von Atlantischen Lachsen im 19. Jahrhundert zurück.
"Außerdem haben wir die viralen Genome in Wild- und Zuchtfischen untersucht. Dafür erstellen wir sogenannte phylogenetische Bäume, um die Evolution eines Virus nachzuzeichnen. Danach sind die Zweige dieses phylogenetischen Baums miteinander verflochten. Wild- und Zuchttiere sind mit derselben Variante infiziert. Das ist ein Beweis für eine kontinuierliche Übertragung zwischen diesen beiden Populationen."
Die Studie zeigt außerdem: Wildlachse sind umso wahrscheinlicher mit PRV infiziert, je näher sie an Lachsfarmen schwimmen. Auch das, so schließen die Forscher, deute darauf hin, dass Zuchtlachse das Virus auf Wildtiere übertrügen. Weitere Analysen ergaben, dass in British Columbia die Anzahl der Infektionen in den Wildbeständen in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat. Die wichtigste Erkenntnis sei jedoch, so Gideon Mordecai, dass das Virus von den Zuchtlachsen auf die wilden übertragen wird.

Wie groß ist die Gefahr durch das Virus wirklich?

Matthew Slater vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven ist Spezialist für Aquakulturen. Er war nicht an dem Forschungsprojekt beteiligt und fragt sich, ob dieses Virus wirklich relevant ist für den Niedergang der Wildlachspopulationen: "Das Team vermeidet, den offensichtlichen Punkt zu erwähnen, dass das PRV-Virus die Fische kaum krank macht. Es geht um Modellrechnungen, und es gibt eine Menge Vermutungen über die Wirkungen des Virus auf die wilden Populationen. Aber die Forscher vermeiden Daten zur Wirkung dieses Virus auf einzelne Fische."
Bislang haben Studien ergeben, dass das Risiko für Pazifische Lachse minimal ist. Lachsfarmen seien jedoch bekannt für die Probleme, die sie in der Umwelt verursachen, so Matthew Slater. Das beste Beispiel seien die Lachsläuse - Parasiten, die für ihre Opfer tödlich sein können.
In einem sind sich die Forscher immerhin einig: Die Aquakultur der Zukunft wird eine andere sein müssen als heute, um mögliche Umweltfolgen zu minimieren. Ein Beispiel: In Norwegen werden Jungfische zunehmend in geschlossenen Systemen an Land großgezogen. Sie kommen dann nur noch für die letzte Mast ins Meer: Der Zeitraum, in dem sie mit den Wildtieren in Berührung kommen können, wird kürzer – und damit auch die Auswirkung auf die Ökosysteme.