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PCB im Blut, im Boden und in der Luft

Im Dortmunder Hafen hat die Entsorgungsfirma Envio offenbar jahrelang unbemerkt und in großem Stil die Umwelt vergiftet. Inzwischen ist der Betrieb stillgelegt und jeden Tag kommen neue Horrormeldungen.

Von Ilka Platzek |
    Vergangene Woche hat die Entsorgungsfirma die Reinigung ihres PCB-verseuchten Firmengeländes im Dortmunder Hafen gestoppt. Schuld daran seien das Land und die Bezirksregierung, behauptet Envio. Die verlangen eine Sicherheitsleistung von 1,5 Millionen Euro und soviel könne man leider nicht aufbringen. Dortmunds Grüner Rechts- und Umweltdezernent Wilhelm Steitz ist empört:

    "Envio ist nun verdammt noch mal auch in der moralischen Schuld, den Nachbarn, den Menschen, die dort wohnen, dort arbeiten gegenüber, den Dreck, den sie da gemacht haben, auch wegzumachen. Da finde ich es schon schräg, uns den Vorwurf zu machen, wir treiben sie in den Ruin. Die haben auf Kosten der Gesundheit der Mitarbeiter und der Nachbarn ihr Geld verdient."

    So ist es. Nicht nur Böden und Betriebsstätten sind kontaminiert. Auch im Blut von Mitarbeitern des Unternehmens wurden stark erhöhte PCB-Werte gemessen. Einer der Männer hatte eine 25.000 Mal höhere Belastung als üblich. Sogar Frau und Kind eines Arbeiters wurden mit PCB vergiftet – vermutlich, weil ihre Wäsche zusammen mit der Arbeitskleidung des Vaters gewaschen wurde. Jetzt sorgen sich Anwohner und Kleingärtner um ihre Gesundheit:

    "Man riecht es nicht, man schmeckt es nicht, es ist einfach da. Man weiß nicht, wie es am Körper wirkt und in der Nahrung. Wer hat da nicht Angst?"

    "Weil man nicht weiß, was man machen kann."

    "Wir leben ja schon die ganze Zeit damit und wenn wir es im Körper haben: Man kann es ja nicht behandeln."

    Zur Verunsicherung kommt eine gehörige Portion Wut auf die Behörden: Schließlich fielen bereits 2008 erhöhte PCB-Werte auf - nach Feinstaubmessungen im Umfeld des Hafens. Den Kleingärtnern wurde geraten, kein selbst angebautes Gemüse zu essen. Die Bezirksregierung Arnsberg suchte schon damals nach dem Verursacher, wurde aber nicht fündig. Auf einer Bürgerversammlung gab es deswegen massive Kritik:

    "Wenn man im Internet recherchiert und sieht: Die Firma Envio entsorgt Hunderte von Tonnen verseuchten Materials, dann frage ich mich doch, wie man wirklich noch suchen kann nach dem Verursacher dieser Katastrophe. Ich glaube, wenn diese Firma zwei Jahre früher geoutet worden wäre, dann wären viele Menschen heute gesünder. Das muss man mal in aller Deutlichkeit sagen."

    Envio hat 30 feste Mitarbeiter und etwa 100 Leiharbeiter beschäftigt. Inzwischen haben die ersten ihre Kündigung erhalten und packen aus. Bei Envio wurden PCB-belastete Transformatoren zerlegt und gereinigt. Das sollte eigentlich hinter verschlossenen Türen geschehen, damit kein Gift nach außen dringt. Tatsächlich, so der Leiharbeiter Jörg Tetzlaf, hätten die Tore der kontaminierten Halle meistens offen gestanden. Außerdem hat er beobachtet, dass Transformatoren sogar unter freiem Himmel demontiert wurden.

    "Die wurden hinter der Halle 1 aufgeschweißt. Draußen. Der Kollege hat das immer mit Vollschutz gemacht, also eine Vollmaske und diese Aktion habe ich immer nur samstags miterlebt. Weil wahrscheinlich dann auch weniger Leute da waren und auch kein Besucherverkehr. Da waren ja auch andere Firmen auf dem Gelände, die immer an der Halle vorbeigefahren sind."

    Die Aussagen des Mannes kennt auch die Staatsanwaltschaft Dortmund. Sie ermittelt gegen Envio wegen gefährlicher Körperverletzung, Umweltdelikten und möglichen Betruges. Im Nachhinein ist es nur schwer zu begreifen, dass jahrlang Niemand etwas bemerkt hat. Der Dortmunder Rechtsdezernent Wilhelm Steitz versucht eine Erklärung:

    "Immer, wenn ein Dritter drohte aufzutauchen, hat man sozusagen die Theaterbühne eröffnet. Alle, die damit zu tun hatten, haben sich täuschen lassen."

    Auch Steitz, der jetzt ein neues Prüfverfahren fordert. Es dürfe nicht länger angemeldete, sondern nur noch unangemeldete Kontrollen geben. Außerdem sollten, ähnlich wie bei der Lebensmittelkontrolle, regelmäßig Proben gezogen und untersucht werden. Falls Envio Pleite geht, muss der Steuerzahler den Dreck wegmachen. Damit hat das Unternehmen bereits unverhohlen gedroht. Schlimmer als diese möglichen Kosten findet Rechtsdezernent Steitz etwas ganz anderes:

    "Für mich stehen die Leute im Vordergrund: Mit ihrer Gesundheit und mit den finanziellen Belastungen, die sich für jeden ergeben, wenn man in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt ist."

    Das UND die Ängste der Menschen, meint Steitz, kann niemand wieder gut machen.