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Pechstein-Prozess
Gericht: Athletenvereinbarung unwirksam

Eisschnellläuferin Claudia Pechstein ist mit ihrer Schadenersatzklage in erster Instanz gescheitert. Allerdings erklärte das Gericht den Schiedszwang der Athletenvereinbarung für unwirksam. Ein Teilerfolg mit möglicherweise weitreichenden Folgen.

Von Michael Watzke | 26.02.2014
    Die Revolution im Gerichtssaal 219 fand ganz leise und fast unauffällig statt. Versteckt hinter einer Niederlage für Claudia Pechstein. Denn, so eine Sprecherin des Landgerichts München:
    "Das Gericht hat die Klage abgewiesen, da es an die rechtskräftige Entscheidung des Internationalen Sportgerichtshofs gebunden ist, der die Rechtmäßigkeit der Dopingsperre bereits festgestellt hat."
    Also kein Schadenersatz für die Eisschnelllauf-Olympiasiegerin, die knapp vier Millionen Euro von der ISU gefordert hatte, der Internationalen Skating-Union. Aber, so Pechsteins Anwalt Thomas Summerer:
    "Sie hat einen fulminanten Sieg errungen in Bezug auf alle Athleten in Deutschland. Das Gericht hat nämlich festgestellt, dass der Schiedszwang unzulässig ist. Das heißt, Atheleten dürfen nicht länger gezwungen werden, auf den gesetzlichen Richter in Deutschland zu verzichten. Sondern es muss ihnen ein Wahlrecht eingeräumt werden, ob sie zum staatlichen Richter gehen oder ob sie vor ein Sportgericht gehen."
    Das könnte tatsächlich ein Meilenstein der Sportgeschichte sein, so wie einst das Bosman-Urteil den Fußball-Sport revolutionierte. Bisher mussten Athleten, die mit einer Entscheidung ihres Sport-Verbandes nicht einverstanden waren, vor ein Sportgericht ziehen. Den Internationalen Sportgerichtshof im schweizerischen Lausanne, kurz CAS. Das tat auch Claudia Pechstein, um gegen ihre Dopingsperre zu kämpfen. Dabei musste sie eine sogenannte Schieds-Vereinbarung unterzeichnen, die den CAS als alleinige Instanz anerkennt. Nun sagt das Landgericht München:
    "Diese Vereinbarungen sind unwirksam, da sie von der Klägerin nicht freiwillig unterzeichnet wurden. Die Beklagten haben als Internationaler und Deutscher Eislauf-Verband eine Monopolstellung inne. Die Klägerin hatte somit keine andere Wahl, als die ihr vorgelegten Vereinbarungen zu unterzeichnen. Da sie andernfalls nicht an sportlichen Wettkämpfen hätte teilnehmen können und an ihrer Berufsausübung gehindert gewesen wäre."
    Ein Satz, der die gesamte Sportbranche erschüttert. Denn nun könnte es Sportlern möglich sein, Gerichte auf der ganzen Welt anzurufen, um etwa Dopingfälle oder andere Rechtsstreitigkeiten mit ihren Sportverbänden auszufechten. Das kann für manche Athleten ein Segen sein. Für Dirk-Reiner Martens, den Anwalt des Eisschnelllauf-Verbandes ISU und selbst Mitglied des CAS, ist das Urteil eher ein Fluch.
    "Das wird häufig übersehen, dass diese Schieds-Verinbarungen und das Schieds-Gericht für die Athleten letztlich ein Vorteil ist. Ich habe Verfahren geführt, die über vier Jahre gedauert haben, vor zwölf verschiedenen Instanzen. Damit ist dem Athleten nicht gedient."
    So mancher Athlet dürfte das anders sehen. Allen voran Claudia Pechstein. Dabei hat sie mit dem Urteil vorerst nichts gewonnen. Denn das Münchner Landgericht hebt die positive Doping-Entscheidung des CAS im Fall Pechstein nicht auf:
    "Die Klägerin selbst hatte das Internationale Schiedsgericht angerufen. Sie hätte bereits im dortigen Verfahren eine Rüge vorbringen können und müssen. Das ist aber nicht erfolgt."
    Deshalb Pech für Claudia Pechstein, Pech aber möglicherweise auch für den Internationalen Sportgerichtshof CAS und Dirk-Reiner Martens:
    "Der CAS wird dort massiv angegriffen und wird sich überlegen müssen, ob daraus eine Konsequenz zu ziehen ist. Aber letztlich ist es die Entscheidung eines Gerichts erster Instanz in Deutschland, und man wird sehen, ob dieses Urteil jetzt angefochten wird."
    Angefochten wird das Urteil ironischerweise von Claudia Pechstein selbst. Sie will vor dem Oberlandesgericht München in Berufung gehen, um vielleicht doch noch 4 Millionen Euro Schadenersatz zu bekommen.