Das Oberhemd mit schwarzen Federn bedeckt gerade mal seine Brustwarzen, Lars Eidinger trägt bauchfrei. Am knallroten Strapshalter sind Jogginghosenbeine befestigt und im weiß geschminkten Clowns-Gesicht blitzen hinter roten Lippen goldene Zähne. Nur eines von vielen fantastischen Trash-Kostümen, das der Aktionskünstler John Bock für seinen Schauspieler entworfen hat.
Eidinger lässt die Finger übers Bügelbrett gleiten, als sei es ein Keyboard, und summt dazu einen "a-ha"-Hit. Da setzt sich die Theatertraummaschine in Bewegung: Das Bügeleisen spuckt Töne aus, Eidinger mutiert zum Pop-Star.
Vom Spiel zum Trip
Peer Gynt – das ist hier kein dreister Lügner, sondern ein einsamer Junge, der sich durch seinen Kopfinnenraum träumt. Ein kindlicher Narziss, dem alles zum Spiel dient – das mehr und mehr zum psychedelischen Trip gerät. Die Grenzen zwischen Realität und Wahn werden schon zu Anfang verwischt, wenn eine Mitarbeiterin auf die Bühne tritt:
"Ich komme mit einer guten und einer schlechten Nachricht. Die schlechte Nachricht ist: Lars Eidinger hat sich heute auf der Probe den Finger abgeschnitten und musste in der Charité operiert werden. Die gute Nachricht ist: Er kann spielen, die Vorstellung findet statt. Allerdings unter dem Einfluss starker Schmerzmittel."
Eine Gyntsche Lüge, die das Publikum mit bestürztem Raunen aufnimmt.
Ibsens Langgedicht ist ein großartiger Fundus für Hirngespinste, Fantastereien, Träume, die John Bock nun in einer grotesk verspielten Mischung aus Kuhstall und Kinderzimmer herumgeistern lässt. Auf der Bühne sitzt ein gewaltiges Plüschtier mit Zitzen und Schwänzen, in dem Eidinger wohligen Unterschlupf findet wie im Mutterleib. Daneben Melkmaschine, Kleiderschrank, Heuballen. Peers heimatlicher Hof, von dem er sich davon(alb-)träumt.
Eidinger als Alien mit Alukopf
Darüber eine Leinwand, die Trugbilder erzeugt. Die Kamerafrau filmt mit Greenscreen-Technik: Grüntöne bleiben auf der Projektion unsichtbar. Wenn sie im grünen Ganzkörperanzug kurzzeitig mit Peer ein Tänzchen wagt, sieht man Eidinger nur Umrisse eines Menschen umfassen. Eine wirksame Methode, um Peers Einbildungen sichtbar-unsichtbar zu machen.
Unmöglich aufzuzählen, wie viele Bilder, Kostüme, Zitate die zwei Stunden versammeln: Eidinger als blondgelockter König, als Alien mit Alukopf oder in Häkelhöschen mit langem Trollschwanz. In überdimensioniertem Nadelstreifenanzug mit den wortwörtlichen "dicken" Hosen spielt er "Finanzhai-Heini" oder spricht John Bocks Version des vielschichtigen Gynt-Ichs:
"Das Gyntsche Ich ist ein reziprokes Ich. Das reziproke Ich ist das ultimative Fix-Ich mit Krümmung. Das ultimative Fix-Ich mit Krümmung ist House of Boogie-Love, Baby. House of Boogie-Love, Baby, ist einer meiner Selbst-Mini-Me. Einer meiner Selbst-Mini-Me ist Quasi-Ich. Quasi-Ich ist Golem-Double. Golem-Double ist Ich-Variable."
Trotzdem hangeln sich Eidinger und Bock erstaunlich dicht am Ibsen-Drama entlang, das den Antihelden, den Zwiebelmenschen ohne Kern des postheroischen Zeitalters porträtiert. Der an der Welt nicht mehr reift, sondern in ihr zerfällt.
Zauberkunst des Theaters
Eidinger, Selbstdarsteller sondergleichen, bleibt bei aller Solo-Show fast zurückhaltend – spielt wenig ins Publikum, sondern gibt den nach Anerkennung lechzenden Außenseiter zwischen Einsamkeit und Größenwahn:
"Wenn ich ihnen mit einem Schlachtergriff die Verachtung aus der Brust reißen könnte. Wartet nur, bis ich was richtig Großes mache. Ja, ich werde König, Kaiser werden, wer weiß, was einer wird."
Ein bei aller Bilderflut geradezu zärtlicher Abend, der die Zauberkunst des Theaters feiert. Zuletzt gerät er zwar zu sehr zur Nummernrevue, doch über den privaten Selbstentblößungstrip Eidingers geht er allemal hinaus. Durch die Pop-Zitate schimmert das entindividualisierte Ich unserer narzisstischen Gesellschaft.
Ein melancholisches Bild zum Schluss: Eidinger bemalt sich von oben bis unten mit grüner Farbe und verschwindet dadurch komplett von der Leinwand. Der Zwiebelmensch Peer Gynt hat sich entschält und nichts ist übrig geblieben von ihm.