Oma kommt nach Hause, und Opa hat gewartet auf sie, lebenslang.
"Wann bist Du angekommen? / Heute morgen. / Und direkt hierher? / Ich hab’ noch im Venezia ‘n Kaffee getrunken …"
Cafe Venezia steht also noch, das, wo die beiden einander früher getroffen haben; aber auf dem Markt steht ein Outlet-Center, und ‘fast food’ gibt’s nebenan. Sie verließ Mann und Baby vor 45 Jahren, das war 1970 – dieses Kind ist längst erwachsen: und eine toughe Geschäftsfrau, die im Nahen Osten kulturelles Beutegut aus den antiken Stätten im syrischen Palmyra vertickt. Omas Tochter hat einen hysterisch-tumben Arzt-Gatten, dazu einen ähnlich grenzdebilen Lover – und eine psychisch mehr oder minder gestörte Tochter. Die wird am Ende von Mamas Ex übernommen und ihrerseits zur Mutter gemacht – und wieder wird eine junge Frau einen Mann und das gemeinsame Baby im Kinderwagen für immer verlassen. So wird Peer Gynt zum ewigen Generationen-Plot, wenn Simon Stone das Stück ganz neu und von vorn und vor allem eben weiblich erzählt.
Kein Zweifel, dass das geht – natürlich kann Ibsens Märchen vom lebenslangen Suchen und Finden des eigenen Weges bis hin zum eigenen Ich (falls es denn wirklich eins gibt im Innersten der Zwiebelhäute) auch aus der Perspektive der Frau erzählt werden; wobei es immer ein wenig sonderbar wirkt, wenn derlei eher vulgär feministische Umdeutungen ausgerechnet von Männern selber beschworen werden. Bei Stone steigert sich diese Wirkung bis weit ins Lächerliche hinein – denn weil hier wieder mal ein so unerhört einfühlsamer Frauenversteher am Werke ist, bleibt für die Männer (die, die auch schon bei Ibsen stehen, und die, die die partnerschaftlich umgetauschten Frauen-Parts übernehmen müssen) nichts als blöde blökendes Knall- und Knatterchargentum übrig; Ibsens Trolle sind bunte Clowns aus dem Zirkus, die sich bewegen wie die Zombies aus Michael Jacksons Thriller-Video.Bewährte und weniger bewährte Herren des Ensembles müssen ein hanebüchenes Zeug zusammenspielen in dieser Inszenierung, dass es –pardon! einer Sau graust. Oder einem Eber.
Text ist mit allen erdenklichen Mitteln platt gehauen
Und das nur, damit die Damen strahlen: natürlich Angela Winkler als Heimkehrerin, die die beschränkte Provinz und das Elend einer Familie tauschte gegen die Welt-Karriere als Architektin; jetzt jagt ihr eine weitere Tochter hinterher, weil Oma Krebs hat und bald sterben wird. Das ist von Stone, nicht von Ibsen. Maria Schrader als Kriegskunst-Hehlerin hasst die eigene Mutter, weil die sie verließ. Gala Winter schließlich deliriert haltlos, wirr und –wie heißt das?- wohlstandsverwahrlost als Enkelin, der (und das ist die einzige echte Pointe des Stücks!) zur Pause Herr Ibsen persönlich erscheint in Gestalt von Josef Ostendorf – und Lese-Tipps gibt:
"Darf ich mal was vorschlagen? / Na klar! / Manchmal ist es besser, man sieht die Dinge ein bisschen –wie soll ich sagen - andersrum / Was soll das heißen? / Und wenn Du fertig bist: Lies mal rein!"
Spätestens hier aber wird der schwerste strukturelle Schaden dieser 'Überschreibung' unüberhörbar – Stones Text ist mit allen erdenklichen Mitteln platt gehauen und flach gedengelt, er plappert hohl und leer und öde und blöde daher, bis das Niveau noch ein paar Etagen unterhalb einer Telenovela liegt; die natürlich kurz beschworen wird als Referenzrahmen für das Familien-Drama aus dem Dreimäderl-, besser: Drei-Generationen-Haus. Zeitweilig hört sich’s gar so an, als habe Mister Stone im fernen Australien völlig vergessen, wie deutsche Sprache funktioniert, rein grammatikalisch und syntaktisch – gar nicht zu reden von so etwas weltfernem wie Poesie. An die Stelle von Ibsens abenteuerlich-vielgestaltigem Märchenzauber (der die Frauen im Stück ja leider immer nur wütend macht) setzt Stone das blanke, sinnlos vor sich hin brabbelnde Nichts. Dieser Peer Gynt ist weniger eine Überschreibung als vielmehr eine Verweigerung – Stone widerspricht eigentlich sogar der eigenen Mode-These vom weiblichen Gynt, indem er sagt: Gynt geht nicht mehr!
Gynt geht nicht mehr? Was für eine Demütigung des Theaters!