Jasper Barenberg: Kann man, ja, muss man Pegida verbieten? Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich ist da skeptisch, verweist auf hohe rechtliche Hürden, aber auch darauf, dass die selbsterklärten patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes immer offener zu Gewalt gegen Ausländer aufrufen oder gar gegen Politiker. Wie sollen wir, wie soll die Gesellschaft damit umgehen, wie dem Hass begegnen? Wir sprechen darüber gleich mit dem SPD-Politiker Patrick Dahlemann, der vor zwei Jahren für Aufsehen sorgte, als er bei einer NPD-Kundgebung in Mecklenburg-Vorpommern das Wort ergriffen hat.
"Deutschland, bleib stark! Mit Mitmenschlichkeit gegen deine dunkle Seite.", so nennt der Verein "Gesicht Zeigen" seine neue Kampagne gegen Rechtsextremismus als Aufruf an uns alle und als Ermutigung, sich gegen die wachsende Fremdenfeindlichkeit zu behaupten. Gemünzt ist die Kampagne auch auf eine Bewegung wie Pegida, die ihre Ausländer- und Islamfeindlichkeit heute nicht nur in Dresden auf die Straße tragen will, sondern auch in vielen anderen Städten in Europa – wir haben darüber heute schon berichtet.
Als vor zwei Jahren im Städtchen Torgelow in Mecklenburg-Vorpommern die NPD Stimmung gegen Asylsuchende gemacht hat, da sorgte der junge SPD-Kommunalpolitiker Patrick Dahlemann für Furore, als er kurz entschlossen das Wort ergriffen und für Menschlichkeit im Umgang mit Flüchtlingen geworben hat. Inzwischen sitzt er für die SPD auch im Landtag in Schwerin, jetzt ist er am Telefon. Schönen guten Morgen!
Patrick Dahlemann: Hallo, guten Morgen!
Barenberg: Herr Dahlemann, ein Video damals gab es von diesem Auftritt, das hat für Furore gesorgt, im Netz vor allem. Viele haben Sie für Ihren Mut gelobt, dafür, dass Sie Rückgrat gezeigt haben. Lassen Sie uns ein Gedankenspiel machen: Heute in Dresden kommen mutmaßlich mehr als 10.000 Anhänger von Pegida zusammen – wenn man Ihnen da jetzt fünf Minuten Redezeit anbietet wie damals, was würden Sie sagen?
Dahlemann: Na ja, zunächst muss man sagen, das in der damaligen Situation war ja so nicht geplant, der tatsächliche Versuch der Rechtsextremen, einen Demokraten vorzuführen. Und dann sind die dummerweise auf jemanden gestoßen, der vielleicht doch bei dem Thema etwas sattelfester war und an Menschlichkeit appellierte. Soll heißen: Wenn es mit einer wunderschönen, auf Pegida-Briefkopf vorformulierten Einladung stattfinden würde, würde ich jedem nur abraten, so etwas zu tun.
Wenn es eine Situation wäre, die doch sehr ad hoc passieren würde und man feststellen würde, dass genau da ein Appell jetzt ein anderes Zeichen wäre, glaube ich, müsste das jeder Einzelne für sich entscheiden. Man muss nur eins immer wieder bedenken: Man muss an der Stelle schon mit Argumenten gut ausgerüstet sein, um tatsächlich da nicht auch ein Eigentor zu schießen, und man muss auch ein Stück weit abwägen, zu wem spricht man. Also ich habe damals auf einer NPD-Kundgebung gesprochen, wo nur relativ wenig Leute von der NPD tatsächlich waren, aber vorwiegend an den Balkonen der Häuser Menschen gestanden haben, die einfach zugehört haben – an die hab ich appelliert. Jetzt muss man sich fragen, vor wem spricht man dann in Dresden auf einer Pegida-Veranstaltung. Vor überzeugten Rechtsextremen, die vielleicht bis in die letzte Haarwurzel da übrig geblieben sind? Das wäre sicherlich vor einem Jahr mit 20.000 Anhängern noch ein Stückchen anders gewesen.
"Komplexität des Themas runterbrechen"
Barenberg: Sie hatten gesagt, dass es solchen Leuten – in diesem Fall der NPD, in Ihrem Fall möglicherweise gilt das ja auch für Pegida – darum geht, Menschen wie Sie, Politiker wie Sie vorzuführen, und Sie haben auch gesagt, dass man gut gewappnet sein muss mit Argumenten. Warum ist das eigentlich so, oder anders gefragt, warum fällt es so leicht, Politiker vorzuführen von diesen Rechtspopulisten?
Dahlemann: Na ja, Gesellschaft ist doch komplex, egal welches Problem. Wenn man sich anguckt, wie lange wir über die Eurokrise gesprochen haben, wenn wir uns anschauen, was bedeutet jetzt das ganze Flüchtlingsthema für uns, dann ist es doch sehr plakativ, darauf mit einem Satz tatsächlich zu antworten, wie Obergrenzen zu fordern oder Schießbefehle an der Grenze rauf- und runterzukauen. Dann sind das Dinge, die popularisieren, die die Leute ganz leicht wiedergeben und sagen, das wäre des Rätsels Lösung. Nur die Politik – wie in jedem kleinen Haushalt einer Familie, wie im Landesparlament, aber auch im Bundestag und auf europäischer Ebene – sieht nun mal anders aus, und Antworten müssen komplexer abgewogen werden. Jetzt muss die Politik den richtigen Weg finden und diese Komplexität des Themas so runterbrechen und vor allem auch auf der vernünftigen [Telefonleitung gestört] Ebene, wo man die Menschen auch bei diesen schwierigen Themen weiter mitnehmen kann.
Barenberg: Gelingt das den Politikern eher schlecht oder eher gut, wie ist Ihr Eindruck?
Dahlemann: Also ich glaube, aktuell tut sich die Politik sehr, sehr schwer mit dem Thema, und da, glaube ich, muss auch jede Partei für sich noch tatsächlich den richtigen Weg finden, wie man das weiter tun kann. Ich glaube, diese Debatte um die Teilnahme von AfD-Teilnehmern an Podiumsdiskussionen zeigt doch ganz deutlich, dass man da noch nicht so ganz den Weg gefunden hat, wie man künftig damit umgeht. Ich will sagen: Hätte Frau Petry ihre Vorstellung zu Schießbefehlen an der Grenze vor Millionenpublikum, in Podiumsdiskussionen mit Kandidaten zu Wahlen geäußert, wäre doch die Empörung noch viel, viel größer und zu Recht auch viel größer, und wir würden heute nicht in so eine affige Debatte kommen, ob Frau Petry der Meinung ist, sie hat ein Interview nicht gut genug gekürzt oder was Falsches wurde tatsächlich so dargestellt.
Barenberg: Heftige Vorwürfe gibt es ja gerade, muss man sagen, an die Adresse der SPD, die sei besonders ohne jeden Kompass in der Frage, wie man mit Phänomenen wie AfD oder Pegida eben umgehen soll: mit denen reden, nicht mit denen reden, an Podiumsdiskussionen teilnehmen, an Wahlsendungen ja oder nein.
"Wir müssen darüber auch diskutieren können"
Dahlemann: Ich glaube, Sigmar Gabriel hat zu einem Zeitpunkt einen Vorstoß gemacht, der sehr vernünftig war. In der Anfangsfindung dieser Pegida-Leute war er groß in der Diskussion - und das gehört zur SPD auch ganz normal mit dazu, wir müssen darüber auch diskutieren können - aber er hat mit Leuten gesprochen, die, glaube ich, ein Stück weit unsicher waren in diesen Themen. Jetzt ist meine Haltung und auch meine Empfindung, auch für die einzelnen Landesableger, bei uns MVgida, doch eine deutlich andere zu den Startbedingungen. Anfangs waren es unsichere Leute, die auf die Straße gegangen sind, doch dann kam auch das massive Kapern der Rechtsextremen bei uns, vorwiegend die NPD und in Dresden ähnliche Züge, wo man sagen muss, das ist eine andere Qualität, und das ist auch nicht mehr nur der besorgte Bürger, das will ich auch deutlich unterscheiden. Eine Patentantwort für ganz Deutschland, glaube ich, gibt es bei diesem Thema auch nicht. Ich hab Mecklenburg-Vorpommern angesprochen: Bei uns sind es jetzt hochgradig die Funktionäre der NPD-Landtagsfraktion, die durch die Städte gezogen ist, und da haben gut begleitete Gegenveranstaltungen doch gut gewirkt, das muss ich so sagen.
Barenberg: Was Dresden angeht – ich weiß nicht, wie weit Sie das aus der Ferne wahrnehmen –, da beklagen ja viele Beobachter, wie sich viele Politiker vor Ort, insbesondere die aus den Reihen der CDU, doch sehr lange sehr zurückgehalten haben. Nun haben wir heute gelernt, dass der Oberbürgermeister Dirk Hilbert von der FDP heute zum ersten Mal als Redner auf einer Gegendemo angekündigt war – ist das eine gute Strategie, wenn man bedenkt, wie stark der Ruf Dresdens inzwischen leidet unter diesem Pegida-Phänomen?
Dahlemann: Also mit Respekt vor der Arbeit der Kollegen in Sachsen, ich glaube, da haben die Politiker doch ein Stück weit versagt. Und dieses Phänomen zu ignorieren, so zu tun, als wäre das nicht unser Problem, sondern gleich ein Problem der ganzen Republik, das ist doch deutlich gescheitert. Und wenn ich mir angucke – ich hab persönlich im Dezember in Dresden ein paar Tage verbracht – eine wunderschöne Stadt und ein besonderer Platz, gerade vor der Semperoper: Ich bewundere die Zivilcourage der Mitarbeiter der Semperoper mit diesen kreativen Plakataktionen. Und ich hab großen Respekt vor jedem, der da aufgerufen hat und Gegenveranstaltungen gemacht hat. Wenn dann so ein sehr schwacher Rückhalt von der Landespolitik oder von der Stadtspitze kommt, dann finde ich das sehr traurig. Martin Dulig, glaube ich, hat da tatsächlich ganz gut von Anfang an erkannt, worum es ging – auch andere Politiker, ich will da jetzt nicht eine Parteiendebatte draus machen –, aber da muss man gegenhalten und die Menschen, die im zivilen Engagement dazu aufrufen, doch auch mit Kräften unterstützen.
"Das macht mir persönlich Angst"
Barenberg: Wir haben lange, Patrick Dahlemann, über Willkommenskultur gesprochen in den vergangenen Monaten, jetzt hat man doch mehr und mehr den Eindruck, als redeten wir auch über eine Verabschiedungskultur, um es mal so zu sagen, weil die großen Parteien, weil die Union, weil auch die SPD immer mehr einschwenken auf Signale der Reduzierung von den Flüchtlingszahlen, die Asylgesetze sollen verschärft werden, Abschiebungen beschleunigt. Ist das alles auch zum Teil eine Reaktion auf eine Entwicklung, wie wir sie mit der AfD und Pegida erleben und die Parolen, die von dieser Seite kommen?
Dahlemann: Ich muss sagen, leider ja. Ich würde mir wünschen, dass Politik gerade in jetzigen Zeiten doch Rückgrat bewahrt und diese Menschlichkeit, die doch gerade im letzten Jahr durch Entscheidungen der Kanzlerin und durch Entscheidungen der Bundesregierung, getragen von allen Landesregierungen, umgesetzt wurde, dass wir die auch weiter auf klarem Kurs halten und sagen, das ist unser Kompass, und da unterscheiden wir uns vielleicht auch von anderen europäischen Mitgliedsstaaten. Ich will nicht sagen, dass wir die Einzigen sind, die weiterhin in den Größenordnungen Flüchtlinge aufnehmen sollten – da muss die europäische Lösung her, das ist richtig –, aber jetzt auf jede Schippe aufzuspringen, das macht mir persönlich doch Angst. Und auch diese Politik der "Wir wollen den Syrern zeigen, wie unattraktiv unsere Bedingungen sind, wie grandios wir sind darin, zu versuchen, die Menschen an den Grenzen wegzuhalten" - ich glaube, das kann nicht die Antwort auf diese Zeit sein. Die Syrer-Geberkonferenz ist, glaube ich, da eine passendere Antwort, mehr in der Heimat tatsächlich zu tun, das ist auch gut, aber wir müssen bei unserer Bevölkerung weiter für Verständnis werben. Ich kann die Aussage verstehen, zu sagen: Noch mal eine Million schaffen wir nicht. Damit kann ich leben und kann auch sagen, das ist etwas, was ich den Menschen auch bei mir in meiner Region tatsächlich auch rüberbringen kann. Aber ein generelles Verschärfen der Asylpolitik halte ich für sehr, sehr gefährlich und erinnert mich auch ein Stück weit an Anfang der 90er-Jahre, die ich persönlich natürlich eher mit der historischen Brille kenne als mit dem eigenen Erfahren. Aber wenn ich mir angucke, was da in Deutschland passiert ist, da erleben wir zurzeit gerade gruselige Parallelen.
Barenberg: ...sagt Patrick Dahlemann, der SPD-Politiker und Landtagsabgeordnete in Mecklenburg-Vorpommern. Herr Dahlemann, vielen Dank für das Gespräch heute Morgen!
Dahlemann: Herzlichen Dank, schönes Wochenende!
Barenberg: Ihnen auch!
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