Ulbricht beklagt, dass Pegida das Klima "im Land, in der Stadt schon massiv beeinflusst hat im negativen Sinn".
Die Stimmung in den Gemeinden auch außerhalb Dresdens habe sich radikalisiert. "Es gibt Fraktionsbildungen pro und kontra Asyl oder Islam. Das politische Klima dreht sich im Land in meiner Empfindung in eine Richtung, die nicht sehr hilfreich und angenehm ist."
Die Politik habe schon reagiert. Sie versuche, auf die Leute zuzugehen. "Die Menschen haben soziale Ängste, das kann man nicht wegdiskutieren. Aber man kann auch nur mit denen reden, die reden wollen." Einige Leute seien erreicht worden. Aber die Gruppe, die sich verweigert, die radikalisiert sich weiter nach rechts. "Im Osten hat die Distanz zu Ausländern massiv zugenommen. Und damit auch die Abwehrbewegung."
Das Interview in voller Länge
Bettina Klein: Es gab weniger Zulauf bei Pegida gestern als erwartet. Aber immerhin: Noch einige Tausend Menschen Zulauf hatte die Bewegung der Rechtspopulisten und Islamkritiker. Wie stark ist Pegida noch, auch nach dem Auftritt von Geert Wilders gestern? Darüber spreche ich jetzt mit Justus H. Ulbricht, im Auftrag der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung moderiert er immer wieder Bürgerveranstaltungen und ist ganz nah dran. Guten Morgen, Herr Ulbricht.
Justus H. Ulbricht: Guten Morgen!
Klein: Was ist Ihre Einschätzung? 3000 Leute sind gekommen. Ist das jetzt beruhigend?
Ulbricht: Nein, mich beruhigt das nicht, weil Pegida hat das Klima im Land, in der Stadt schon massiv beeinflusst im negativen Sinn. Und die vielen, die jetzt nicht mehr mitmarschieren, sind ja nicht tot, sind ja nicht gestorben, ihre Meinung ist nicht abgeklungen. Die sind jetzt wieder zuhause in ihrer Unzufriedenheit und in ihrer massiven Kritik an unserem demokratischen System. Insofern ist Entspannung, glaube ich, noch nicht angesagt, und in der Tat ist es auch ja bedenklich, dass der Teil, der jetzt noch marschiert, sich radikalisiert hat, und das ist natürlich auch nicht gerade erfreulich als Tendenz.
Geert Wilders "ein gern gesehener Gast"
Klein: Welchen Einfluss hat ein Rechtspopulist, der jetzt aus einem Nachbarland eingereist ist und ja ganz deutlich auch noch mal die, ich sage mal, Ostdeutschen angesprochen hat, an die Wendeerfahrung erinnert hat und davon gesprochen hat, Deutschland brauche jetzt eine neue Wende?
Ulbricht: Soziale Bewegungen vernetzen sich und das war ja die Funktion der Einladung an Herrn Wilders. Ob er Einfluss hat? - Er hat ja sehr klug appellativ gesprochen zu den Menschen: Fürchtet euch nicht, wir sind heute eins. Das sind appellative Floskeln, die man aus anderen Führerreden kennt und Politikerreden kennt. Er versucht ja, die Leute einzuschwingen auf eine Gemeinsamkeit, und das ist ja ein Hauptthema bei Pegida. Es geht um Gemeinschaftsstiftung, rhetorisch wie faktisch, in einer als fremd und bedrohlich empfundenen Gegenwart, und da hat er klug geredet auf seine Art und auch nicht radikal und nicht hetzerisch. Das war sehr clever, wie ich fand.
Klein: Das heißt, er wird mehr Zulauf dort produzieren?
Ulbricht: Das ist schwer zu sagen. Ich glaube, da kommt es eher auf die lokalen Größen an und auf die Reaktionen auch der lokalen demokratischen Politik, was den Zulauf angeht. Er war in den Augen der Pegida-Anhänger ein gern gesehener Gast, das ist ja in anderen Ländern Europas genauso, und man wird mit ihm wieder rechnen können als erneutem Gast vermutlich.
Aber ob sich die Bewegung jetzt hier wieder verstärkt rein quantitativ, das ist im Moment, glaube ich, schwer abzusehen. Das Problem hier ist vielleicht eher das, dass die Stimmung, die Atmosphäre in den Gemeinden auch außerhalb Dresdens sich teilweise wirklich radikalisiert. Es gibt wirklich Fraktionsbildungen pro und kontra Asyl oder Islam. Das politische Klima dreht sich in meiner Empfindung im Land in eine Richtung, die nicht sehr hilfreich und angenehm ist.
"Man kann auch nur mit denen reden, die bereit sind zu sprechen."
Klein: Was leiten Sie denn daraus an Notwendigkeit ab für die Politikerinnen und Politiker, die sich jetzt Gedanken machen und darauf reagieren müssen?
Ulbricht: Erst mal muss die gesamte Zivilgesellschaft darauf reagieren, nicht nur die Politik, aber auch die Politik natürlich. Die Politiker haben ja schon reagiert. In vielen Gemeinden, aber auch in Dresden, auch landespolitisch versucht man, ja wirklich bestimmte Redeblockaden aufzuweichen, auf die Leute zuzugehen. Was Pegida immer einklagt, ist ein offener Dialog über Probleme unserer Gesellschaften. Das Schönreden sollte zu Ende sein. Die Menschen haben massive soziale Ängste. Das kann man nicht wegdiskutieren, da muss man ran. Aber man kann auch nur mit denen reden, die bereit sind zu sprechen.
Klein: Darf ich mal kurz nachfragen, Herr Ulbricht? Der Dialog hat ja stattgefunden. Auch Sie sind ja ein Teil des Dialoges gewesen.
Ulbricht: Ja, ja!
Klein: Trotzdem ist Ihre Bilanz jetzt, es hat eine Radikalisierung stattgefunden. Also es hat offenbar nicht funktioniert?
Ulbricht: Ja, Moment! Man hat ja in dem Dialog andere Leute dann durchaus doch erreicht. Und was wir in unseren kleinen Dialogforen und Debatten immer wieder erreichen ist, dass wir einfach Informationen, Denkanstöße geben können, und da merkt man schon, dass diverse Leute zuhören, sich Gedanken machen, auch ihre eigene Meinung bereit sind zu überprüfen.
Aber die Gruppe, die sich sozusagen verweigert bestimmten Denkprozessen, die auf ihren Emotionen und Einstellungen beharrt, die radikalisiert sich weiter nach rechts, und Sie wissen vielleicht aus den Studien, die in letzter Zeit erschienen sind zur Ausländerfeindlichkeit und gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in Deutschland: Gerade im Osten hat die Distanz zu Ausländern, was immer das jetzt im Einzelnen sein soll, massiv zugenommen in den letzten Jahren und damit auch die Abwehrbewegung. Und das ist so leicht nicht einfach zu stoppen durch drei, vier, fünf Dialogveranstaltungen. Das heißt für die politische Bildung: Man muss einfach weitermachen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.