Karin Fischer: Das Problem, das die Öffentlichkeit mit dem Phänomen Pegida hat, ist seine Widersprüchlichkeit. Die Proteste der "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" führen Zehntausende auf die Straße, die dann aber stumm bleiben. Die Wortführer stammen recht eindeutig aus dem rechten Spektrum, die Mehrheit der Demonstranten aber offenbar aus der bürgerlichen Ecke. Inhaltlich gibt es noch mehr Schwierigkeiten, denn die Ängste vor einer Islamisierung des Abendlandes dürften gerade in Städten wie Dresden eigentlich kaum vorhanden sein. Dort gibt es nämlich praktisch keine Muslime. Und syrischen Flüchtlingen will man ja helfen, aber vielleicht bitte doch nicht hier bei uns in unserer Stadt. Was aber sind dann die Motive dieser stummen Protestierer? Dazu habe ich mit Andreas Zick gesprochen, dem Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld, und ihn gefragt, wie er als Sozialpsychologe auf das Phänomen Pegida schaut.
Andreas Zick: Wissenschaftlich habe ich einmal ein sehr großes Interesse an dieser ganzen Bewegung, weil da entwickelt sich etwas Neues. Da entwickelt sich eine Gruppe, die protestiert, sehr separat, ohne Beteiligung der Medien oder der Politik. Man schottet sich nach innen ab und bringt Vorurteile, die wir seit langem beobachten, auf die Straße, und das ist ungeheuerlich interessant. Wir beobachten seit vielen Jahren Menschenfeindlichkeit und hier formiert sich eine Gruppe um spezifische Vorurteile gegen den Islam, Flüchtlinge, Asylbewerber, und das kennen wir eigentlich so nicht in Deutschland.
Hass, weil es scheinbar wieder etwas zu verteilen gibt
Fischer: Dass es immer diffuse Ängste in einer Gesellschaft gibt, die sich dann auch mal Bahn brechen, ist ja klar. Allein in diesem Jahr hatten wir Ebola, die Ukraine-Krise, die den Krieg näher rücken ließ, Syrien und die Folgen. Gerade im Moment kollabiert vielleicht Russland wirtschaftlich. Aber warum diese Ängste sich dann doch äußern und so äußern, bleibt irgendwie ein Rätsel, wenn man doch denkt, dass es uns wirklich gut geht in Deutschland.
Zick: Ja, das ist so. Aber wir wissen aus der Forschung auch, dass, wenn es uns wieder etwas besser geht - denn das ist ja im Moment der Zustand: Wir haben eine Krise überlebt, wir haben das gut überstanden, wir sind da rausgekommen, es geht etwas besser. Und wir wissen seit den 30er-Jahren aus der Forschung: Wenn es den Menschen etwas besser geht, dann grenzen sich jene, die meinen, jetzt müssten sie auch um diese Ressourcen kämpfen und sie gehören zu den Abgehängten, dann kämpfen sie mehr um ihre Positionen und dann fahren sie auch stärker die Vorurteile, die Abgrenzung gegenüber denen hoch, die scheinbar Kosten erzeugen. Denn das macht ja Pegida auch. Das ist ja eine Bewegung, die extrem Gruppen danach bewertet, was sie nützen und was sie kosten. Und das hat man schon in den 30er-Jahren bei den Protesten in Amerika nach der Baumwoll-Krise gesehen: Hasstaten. Auch der Hass gegenüber Schwarzen nach der Baumwoll-Krise war besonders dann stark, wenn es den Menschen etwas besser ging und es scheinbar wieder etwas zu verteilen gibt.
Fischer: Aber wie sollte man denn dann mit Argumenten weiterkommen? Bundesjustizminister Heiko Maas findet ja, die Argumente der Protestierer seien fadenscheinig und diese Angst vor einer angeblichen Islamisierung des Abendlandes sei ein ideologischer Popanz. Wenn Sie das Ganze sozusagen sozialhistorisch betrachten, würden dann Argumente überhaupt das richtige Manöver sein?
Es ist eine sozial geteilte Angst
Zick: Zum Teil sind Argumente wichtig und Informationen auch, insbesondere für jene, die noch zweifeln. Da laufen ja sehr viele Bürger herum, die zum Beispiel eine Angst haben vor weiterer Zuwanderung, dass sie getroffen werden von dieser Zuwanderung, und manche bekommt man vielleicht tatsächlich mit Informationen. Das wissen wir aus der Forschung. Einige von denen, die zweifeln, die können wir jetzt erreichen. Andere, die jetzt deutlich mit dieser Angst spielen - es ist ja eigentlich auch tatsächlich bei vielen keine gefühlte Angst, sondern es ist so eine sozial geteilte Angst, die konstruiert ist, die auch durch Propaganda immer wieder befeuert wird, weil es gibt da viel islamistische Angriffe in der Welt, das wird immer wieder beteuert. Wenn man da klar macht, dass es neben der Angst auch Wut, Zorn und dass es auch einen massiven Neid gibt um die Bevorteilung von anderen Gruppen, wenn man das versucht, tatsächlich die Angst zu demaskieren als Ideologie, dann ist es gut. Wichtig aber ist, dass die Leute in Berührung kommen mit jenen, die ganz andere Erfahrungen gemacht haben, dass wir jetzt nicht nur auf Informationen bauen, sondern den Menschen, die da einfach nur mitlaufen, die Möglichkeit geben, auch eine komplett andere Erfahrung zu machen, nämlich die Erfahrung, dass eine diverse Gesellschaft viel erfolgreicher ist als das Gesellschaftsmodell, was Pegida verfolgt, nämlich eine sehr enge, homogene, nationale Gemeinschaft.
Fischer: Sind dann jetzt die Sozialarbeiter gefragt auf der Straße, oder zu was für einem politischen Umgang mit Pegida raten Sie?
Zick: Na ja, erst mal würde ich doch sehr deutlich auch darauf hinweisen, dass man mit Vorurteilen nicht spielen soll und dass Vorurteile an sich kein politisches Programm sein dürfen. Insofern muss man, glaube ich, dieses moralische Argument fahren. Wichtig ist auch, dass jetzt die Gegendemonstrationen stark werden, dass man die Leute stärkt, die hier angegriffen werden. Wir machen uns ja kaum Sorgen um die Erfahrung von Muslimen, die heute unter Generalverdacht von Pegida gestellt werden. Da gibt es ja Feinde, die angegriffen werden. Um die muss man sich kümmern. Und natürlich ist das eine Situation, wenn Feindseligkeit hochgespült wird, dann kommt es auf die Zivilcourage aller an.
Fischer: Andreas Zick war das, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld, über das Phänomen Pegida.
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