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"Peinlich, aber ökonomisch ohne große Bedeutung"

Nach Google und Dow Chemical hat jetzt auch Daimler bei der Bekanntgabe der Quartalszahlen gepatzt. Solche Pannen würden meist nur kurzfristig die Märkte irritieren, sagt Werner Gleißner, Vorstandsvorsitzender der Future Value Group. Es werde deshalb niemand von einer Kaufentscheidung für einen Mercedes Abstand nehmen.

Werner Gleißner im Gespräch mit Birgid Becker |
    Birgid Becker: Zum Start der Sendung aber Daimler. Der Autobauer wollte eigentlich heute Morgen über seine Quartalszahlen berichten. Das hat er verpatzt, die Zahlen gab es schon gestern Abend. Fehlerteufel Globalisierung, nimmt Ralf Frank von der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse an.

    O-Ton Ralf Frank: "Nach meiner Einschätzung handelt es sich dabei um eine technische Panne. Das kann manchmal im internationalen Kontext daran liegen, dass jemand "7 a.m", also sieben Uhr Morgens, mit "7 p.m" verwechselt, und dann werden die Zahlen von dem Unternehmen dann schon veröffentlicht, weil man muss ja sehen, dass Unternehmen in den letzten Jahren zunehmend mit technischen Dienstleistern auch zusammenarbeiten. Und je länger die Prozesskette ist, gerade in der Investor Relations, umso eher können solche Pannen halt passieren."

    Becker: Halt passiert ist es vor Daimler auch Google und dem Chemiekonzern Dow Chemical, und wir sprechen gleich über Fehler, die passieren, aber vielleicht nicht passieren sollten. Zunächst aber die Daimler-Zahlen, kürzer als eigentlich geplant; schließlich waren sie ja auch schon früher als geplant auf dem Markt für Nachrichten.

    Und da waren sie eben, die Zahlen, die nach Daimler-Lesart weniger schlecht sein sollen, als sie es auf den ersten Blick sind – die Zahlen, die ungeplant schon gestern Abend in den USA bekannt wurden. Wie so etwas passieren kann, dass da Zahlen durchrutschen, wo sie nicht durchrutschen sollen, darüber habe ich vor der Sendung mit Werner Gleißner gesprochen von der Unternehmensberatung Future Value Group. Spezialisiert ist die Firma auf Risikomanagement. Wir haben ja zu Beginn der Sendung eine These gehört: da hat sich wo möglich einer bei Daimler mit sieben Uhr Abends und sieben Uhr Morgens vertan. Wie wahrscheinlich ist das, habe ich zunächst gefragt?

    Werner Gleißner: Ich halte es für möglich. Man muss bei solchen Aspekten und solchen Pannen immer wieder in Erwägung ziehen, man überlegt sich im Rahmen auch des Risikomanagements, was kann denn an blöden Dingen passieren, an Planabweichungen passieren, und versucht, danach sich mit den Problemen auseinanderzusetzen, die eine bestimmte Wahrscheinlichkeit und eine bestimmte Schadensgröße auslösen können. Und da muss man ganz realistisch sagen: dass so etwas mal schiefgeht, das ist im Rahmen des Möglichen. Das eigentlich Problematischere an dem Bericht, der herausgekommen ist, ist letztendlich der Inhalt, denn da sehen wir, dass ein wesentlich größeres ökonomisches Risiko eingetreten ist, nämlich dass es Daimler offensichtlich nicht gelingt, bei einem Rückgang der Nachfrage in Europa wirklich seine Ertragsziele zu erreichen. Das ist eigentlich das Risiko, um das es geht, und das ist sicherlich das ökonomisch relevantere.

    Becker: Aber es wird ja wenig verträglich sein, eine solche Nachricht auch noch zur Unzeit in die Öffentlichkeit zu setzen, und nun ist so eine Panne vor Daimler ja auch Google passiert mit dann drastischen Folgen für den Aktienkurs, denn da platzten schlechte Zahlen mitten hinein in den amerikanischen Handelstag, und auch der Chemiekonzern Dow Chemical hatte es ja nicht recht in der Hand, wann und wie seine Zahlen bekannt werden. Täuscht der Eindruck, dass sich da die Probleme häufen?

    Gleißner: Das täuscht nicht. Es kommen solche kleineren Probleme durchaus häufiger vor. Es muss aber insgesamt im Gesamtkontext gesehen werden. Nach dem, was wir aus der empirischen Kapitalmarktforschung wissen, irritiert so was verständlicherweise die Märkte, aber diese Irritationen sind relativ schnell wieder weg. Wenn eine dauerhafte Ergebnisabweichung eintritt, dann ist das ein dauerhaftes Problem, und eine Ergebnisabweichung von 800 Millionen, falls die dauerhaft ist, sind eben acht Milliarden Börsenwert, also eine ganz andere Dimension. Man muss realistischerweise sehen: Auch im Risikomanagement ist es gut, sich mit den wichtigsten Themen mit Priorität auseinanderzusetzen, und da gibt es sehr viel wichtigere Themen im Kontext der Gesamtsteuerung eines solchen Unternehmens, als die in dem letzten Prozess hundert Prozent abzusichern. Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht, also man muss auch mal akzeptieren, dass etwas schiefgeht.

    Becker: Aber wie überhaupt haben wir uns so ein Verfahren bis zur Veröffentlichung vorzustellen? Quartalszahlen unterliegen ja bei börsennotierten Unternehmen einer Veröffentlichungspflicht. Also muss es doch dafür ein festes Prozedere geben, das auch auf seine Sicherheitsaspekte hin gecheckt wird. Wie läuft das?

    Gleißner: Es gibt genau so ein Prozedere. Die genauen Prozedere sind tatsächlich auch von Unternehmen zu Unternehmen ein bisschen unterschiedlich. Aber da es ja durchaus auch um Insider-Informationen geht, hat man sich in eigentlich allen professionellen börsennotierten Unternehmen ein sehr exaktes Verfahren überlegt. Die Fehler, die trotzdem ab und zu mal wieder vorkommen – und der Eindruck, dass das etwas häufiger vorkommt, ist auch mein Eindruck -, liegen daran, dass einfach schlicht und ergreifend Methoden, die festgelegt worden sind, so nicht umgesetzt werden. Das kann passieren. Man darf auch da wieder nicht vergessen, wie viele solche Veröffentlichungen von Unternehmen es in jedem Jahr gibt. Es gibt Abertausende Veröffentlichungen, es gibt Zehntausende Veröffentlichungen und die Anzahl der Fehler ist gering. Und da die Schadenshöhe letztendlich ja auch gering ist, halte ich das persönlich für kein besonderes Problem. Aus meiner Sicht ist das zwar peinlich, aber ökonomisch ohne große Bedeutung.

    Becker: Haben Peinlichkeiten keine ökonomische Bedeutung?

    Gleißner: Ja. Man wird keinen besonders guten Eindruck machen. Nur für die gesamten wirtschaftlichen Ziele ist so was ohne Bedeutung. Es wird niemand von einer Kaufentscheidung für einen Mercedes Abstand nehmen, weil so etwas schiefgegangen ist. Die großen Themen, mit denen man sich im Risikomanagement wirklich aus guten Gründen auseinandersetzt, sind eher Unsicherheit der zukünftigen Nachfrage, Risiken aus milliardenschweren Investitionsentscheidungen, Akquisitionsentscheidungen. Da sind einfach die ökonomischen Auswirkungen so viel größer, dass es auch im Sinne der ökonomischen Rationalität sinnvoll ist, sich erst mal mit den größten Risiken auseinanderzusetzen. Je kleiner die Themen werden, desto eher kann mal etwas schiefgehen. In diesem Feld ist es eben peinlich, das ist völlig richtig, aber ökonomisch nicht von zentraler Bedeutung.

    Becker: Werner Gleißner war das, Vorstandsvorsitzender der Unternehmensberatung Future Value Group.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.