Wir erinnern uns, das autonome Gebiet Berg-Karabach, einer jener Orte der vergessenen postsozialistischen Kriege der Kaukasus-Region. Armenier, Aserbaidschaner, Tschetschenen, Georgier, in einem Weltwinkel zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer, der zwischen Christentum und Islam, von Türken und Persern bedrängt, schon immer Schauplatz kriegerischer ethnischer Konflikte war und schließlich von Lenins Nationalitätenpolitik in feste staatliche Grenzen gezwungen wurde. Armenien wurde im Jahre 301 christianisiert und umfaßt nur noch einen Bruchteil des alten ararischen Reichs, Westarmenien wurde türkisch, ein anderer Teil georgisch, immer wieder kam es zu Massakern an den armenischen Minderheiten in den Nachbarländern. Doch die Armenier fühlen sich, wie eine Figur des Romans sagt, schon immer als ein Teil des geistigen Europa, das es nach Asien verschlagen hat. Erst nach dem Ende der UdSSR haben sie das Armenische wieder zur ersten Schul-und Kultursprache erklärt.
Gohar Markosjan-Kasper, die in Jerewan als Ärztin arbeitete und heute in Tallin lebt, schreibt russisch. Ihrer entzückenden armenischen Penelope gab sie Mollys ungebremste sinnliche Assoziationskraft, Stephan Daedalus‘ Intellekt und Leopolds Impulsivität mit. Penelope ist eine moderne junge Frau, deren endlos schäumende Wortkaskaden eine Menge europäischen Bildungsstoff, wie der Ulysses, in feinen Partikeln mitführt durch den Tag in Armeniens Hauptstadt Jerewan. Alle O's und Ochs der inneren Monologe, die Joycesche wuchernde, von Interpunktionen zerfetzte, zeitverdichtende Syntax, die noch heute ganz neu klingende Melodik einer Sprache, die in Bruchteilen von Sekunden zwischen Innen- und Außensicht der Figuren wechselt, all das hat Gohar Markosjan-Kasper für ihren ersten Roman ihrem Vorbild James Joyce listenreich abgeguckt. Eine auskalkulierte Romantechnik, ein witzig in ungezwungener Leichtigkeit tanzender Erzählton, zarte Anspielungen und übermütiger Blödsinn, armenische Geschichte und ironische Besichtigung des Erbes, das der Marxismus-Leninismus und die Russifizierung in den armenischen Köpfen hinterlassen hat, sind in einer bewundernswert gelungenen Übertragung von Gabriele Leupold zusammengekommen. Wie die unzähligen Wortspiele, die Stabreimfontänen, die Assoziationsketten, wie die kulturelle Synthese armenischer, sowjetischer und westeuropäischer Bildung in einer Momentaufnahme aus dem Jerewan von 1994 höchst unterhaltsam zusammenklingen, muß hier ausdrücklich der deutschen Übersetzung gedankt werden. Haben sich schon Generationen von Übersetzern am zeitgenössischen Englisch der Joyceschen Prosa abgearbeitet, so ist leicht vorstellbar, welche Herausforderung das Russische, das binnen zehn Jahren einen lexikalischen, stilistischen und semiotischen Sprachwandel von epochalem Ausmaß durchlaufen hat, für die literarischen Übersetzer darstellt; um so mehr, wenn die heimlichen Patrone diesmal Homer und James Joyce heißen.