George: "Umarmt euch jetzt mal, ihr seid Brüder!"
George Boateng bringt seine Brüder Kevin und Jérôme dazu, sich zu umarmen. Die beiden fremdeln ein bisschen. Sie haben denselben Vater, aber verschiedene Mütter. Jérôme wuchs wohlbehütet im Stadtteil Wilmersdorf auf, Kevin und George im rauen Wedding.
Jérôme: "Spielt ihr hier komplett ohne Schiri?"
Kevin: "Was für'n Schiri? Schiri gibt's hier nicht. Schiri ist hier jeder selbst. Und außerdem: ich stehe nicht auf goldene Jordan-Schuhe. Schickimicki ist nicht unser Style."
Erst machen sich Kevin und George über ihren Bruder lustig, dann gehen sie für ihn durch dick und dünn. Die drei werden Freunde und Trainingspartner.
"Mich hat die Geschichte sofort angesprungen, weil ich dachte: drei Brüder, Berlin, das ist fast wie ein Mythos", erklärt Nicole Oder, die Regisseurin. Sie hat auf der Grundlage des Buchs "Die Brüder Boateng" von Michael Horeni das Stück geschrieben.
Fußballtalente mit Schwierigkeiten
"Aber das Spezifische ist mit diesen drei Brüdern, dass man einen hat, der da so durchmarschiert und die andern beiden den Preis für seinen Erfolg bezahlen tatsächlich. Das ist die These, die wir in dem Stück aufgemacht haben."
Doch wirklich bestätigt wird die These nicht. Das Stück erzählt, dass alle drei Brüder schon früh als Fußballtalente entdeckt und gefördert wurden. Doch sowohl George, als auch Kevin hatten Disziplinprobleme. Dass ihre Karrieren anders verliefen als geplant, hat nichts mit dem Ehrgeiz ihres Bruders zu tun.
Die Aufführung dauert 90 Minuten, doch mit einem Fußballspiel hat sie nur wenig zu tun. Kein Ball, keine Tore, keine Spielfeldlinien – stattdessen Lautsprecherboxen kleiner Stereoanlagen, die sich am Bühnenrand zu einem bizarren Gebirge auftürmen. George Boateng steht am Mischpult und sorgt für coole Beats, während seine Brüder trainieren. Fußball-Übungen werden zu HipHop-Choreografien und umgekehrt. Nicole Odert:
"Also die Körperlichkeit von Hip-Hop und Fußball ist ähnlich und der Live-Moment. Es gibt zwar gewisse Regeln und Absprachen, aber was im Moment passiert, ist immer wieder anders und immer wieder neu. Uns ging es vor allen Dingen um die Bewegungsenergie, dass man die darstellt."
Und diese Energie überträgt sich sofort. Die Akteure laufen Wände hoch, drehen sich auf dem Kopf, machen Saltosprünge. Nyamandi Mushayavanhu als Jérôme Boateng und Raphael Hillebrand in der Rolle des Trainers sind wirklich atemberaubend gut. Die Hip-Hop Moves und der gesprochene Straßen-Slang erzeugen eine Atmosphäre, die auch den Bolzplatz in Berlin-Wedding lebendig werden lässt – dampfend vor Schweiß und Testosteron. Kraftworte schwirren durch die Luft, erst recht, als Daniel Mandi in der Rolle von George Boateng zum Mikrofon greift und zu rappen beginnt.
Außenseiter und Straftäter
Die meisten Songs, die in der Inszenierung zu hören sind, stammen von George. Er ist der erste der Boateng-Brüder, dessen Lebensentwurf auf der Strecke bleibt. Weil er ein Messer dabei hat, wird er aus dem Fußballverein geworfen und gerät auf die schiefe Bahn. Während Kevin und Jérôme mit der U21-Nationalmannschaft Erfolge feiern, sitzt er im Gefängnis.
Auch Kevin Prince Boateng muss einen herben Rückschlag verkraften. Als er sich den Anweisungen des U21-Trainers widersetzt, wird er aus dem Team geworfen. Danach fällt er in der Bundesliga durch extreme Aggressivität auf.
Eine Toncollage berichtet über die zahlreichen Fouls von Kevin Prince Boateng. Der Schauspieler Tamer Arslan stellt sich an den Rand der Spielfläche und zischt das Publikum an:
Kevin: "Ihr braucht doch Typen, wie mich, damit immer schön mit dem Finger zeigen könnt. Da sind die Bösen. wenn ich dann höre, dass man Spielertypen sucht mit Persönlichkeiten oder Ecken und Kanten, da kann ich nur sagen: fickt euch, fickt euch, fickt euch!"
Tamer Arslan zeigt die Wut, die in Kevin Prince Boateng kocht. Der Mann fühlt sich als Außenseiter, der schon aufgrund seiner Hautfarbe benachteiligt wird. Ganz anders als Jérôme der geradlinig seinen Weg geht. Die Unterschiedlichkeit der Boateng-Brüder ist die Triebkraft der Produktion.
Doch die Regisseurin malt keine simplen Gut-böse-Bilder. Kevin Prince erscheint nicht als Monster, Jérôme nicht als Heilsbringer. Im Gegenteil. Obwohl die Inszenierung immer wieder in den Kraftausdrücken schwelgt, zeichnet sie sensible Charakterporträts – ein gelungener Mix aus Fußball, Hip-Hop und psychologischem Theater.