Seine stärkste Waffe ist der Twitter-Account. Mehr als 11.000 Kurznachrichten hat Slim Amamou schon versendet. Bis vor einer Woche waren sie lediglich Mitteilungen eines tunesischen Netzaktivisten – jetzt sind es Botschaften direkt aus der tunesischen Regierung. Unter dem Namen Slim404 twittert Amamou Neuigkeiten über Verhaftungslisten, den Stand der Verhandlungen mit anderen Ländern oder schlicht, dass er "morgen beim Innenminister die Sache mit der Zensur klären werde".
Slim Amamou zählt zu den bekanntesten Bloggern im tunesischen Netz. Sein Twitter-Account und das Blog des Consulting-Unternehmers waren lange zensiert. Dem Regime galt er als so gefährlich, dass der 33-Jährige nach Beginn der Unruhen verhaftet wurde. Er soll eine Hacker-Gruppe unterstützt haben, die Websites der tunesischen Ministerien, der Börse und der Nationalbank attackiert hatte. Aus Protest gegen die Pressezensur.
Doch Slim Amamou hatte Glück – kam aus dem Gefängnis frei, nachdem Präsident Ben Ali vor einer Woche Pressefreiheit und das Ende der Internet-Zensur angekündigt hatte und kurze Zeit später aus Tunesien flüchtete. Für Slim Amamou ging es aus der Gefängniszelle fast direkt an den Kabinettstisch. Eine halbe Stunde vor Bekanntgabe der Übergangsregierung bekam er per Telefon das Angebot, Staatssekretär für Jugend und Sport zu werden:
""Das war die einzige Entscheidung, die ich treffen konnte, um beim Aufbau des Landes zu helfen. Daher war das eine einfache Entscheidung. Ich soll den Präsidenten und meinen Minister in allen Fragen, die die Jugend und den Sport betreffen, beraten. Wenn man bedenkt, dass der größte Teil der Jugend an dieser - sagen wir: 'Revolution’- teilgenommen hat, auch im Internet, hat die Regierung eine gute Wahl getroffen.”"
Auch als Regierungsvertreter ist Amamou im Netz weiter aktiv. Dutzende Twitter-Nachrichten verschickt der Staatssekretär jeden Tag – sein Account-Foto, auf dem er in T-Shirt und mit kurz geschorenen Haaren sehr ernst in die Kamera schaut, ist weit über die Grenzen Tunesiens bekannt. Über Twitter beantwortet Amamou auch die Fragen seiner Unterstützer. Regierungspolitik – nicht immer ernst gemeint -verpackt in maximal 140 Zeichen:
"Ich wusste gar nicht, wo das Ministerium überhaupt ist. Ich habe dann einen Passanten gefragt, der mich dann bis zur Tür begleitet hat",
schreibt er dort zum Beispiel oder:
"Ich mag den Justizminister. Ich werde auch eine Krawatte tragen, um ihm eine Freude zu machen."
und, einige Stunden später:
"Ich genieße es, dem Justizminister zuzuhören, wenn er einen Haftbefehl vorliest, der mit dem Namen Ben Ali beginnt."
Twitter, Facebook und Blogs – das Internet fungiert als Motor der tunesischen Revolution.
Schon die Nachricht des tunesischen Jugendaufstands verbreitete sich zunächst über das Netz, nachdem das Staatsfernsehen Bilder der Demonstrationen unterdrückt hatte. Über die sozialen Netzwerke konnten sich die mehr als zwei Millionen tunesischen Facebook-Nutzer und Twitter-User auf dem Laufenden halten. Auch Videos von den Protesten wurden auf diese Weise ausgetauscht, um die Internetzensur zu umgehen - das Regime hatte die Videoplattformen schon vor Jahren sperren lassen. Zudem dienten Twitter und Facebook dazu, Nachrichten über Verletzte und Tote zu verbreiten, Bürgerwehren zu organisieren oder Aufrufe zur Gewaltlosigkeit zu veröffentlichen.
Ist also der Umsturz in Tunesien die erste Internet- oder Twitter-Revolution, wie zahlreiche Medien spekulieren? Der bloggende Neupolitiker Amamou ist skeptisch:
""Ich weiß nicht, ob man das als Internet-Revolution bezeichnen kann. Das ist nur eine Seite der Medaille. Es gab ein Netzelement – wenn man sich die Umstände anschaut, ohne andere Medien ist das ein wichtiger Teil der Kommunikation. Man kann Leute nicht mobilisieren, ohne zu kommunizieren, ohne Informationen. Das Internet hat also eine große Rolle gespielt, aber am Ende haben die Menschen auf der Straße den Regierungswechsel bewirkt.”"
Doch klar ist auch: Viele Tunesier sind durch die jüngsten Ereignisse mutiger geworden und trauen sich mit Forderungen an die Öffentlichkeit. Ein Sammelbecken für politische Ideen ist das oppositionelle Blogger-Portal Nawaat.org. Dass mit Slim Amamou ausgerechnet einer der ihren jetzt in einer Regierung mit dem Übergangspremier Mohammed Ghannouchi sitzt, der dem verhassten Ben Ali lange treu gedient hat, sorgt hier durchaus für Empörung. Auch die Tatsache, dass die Übergangsregierung immer noch von Mitgliedern der Ben-Ali-Partei RCD dominiert ist, macht viele wütend. Doch kann der Neuaufbau des Landes ganz ohne die alten Eliten funktionieren? Ein Blogger mahnt zu Realismus:
"Natürlich gibt es bei der RCD viele Opportunisten. Menschen, die dabei sind, um ihre Karriere zu fördern, ihr Geschäft, ihren Aufstieg in der lokalen Verwaltung usw. Und es ist offensichtlich, dass der Beitritt zur RCD ein Katzbuckeln ist und man sich damit zum Mitwisser macht: von Folter, Erpressung und institutionalisierter Korruption und von ungerechtfertigten Verhaftungen. Aber man muss auch akzeptieren, dass einige Mitglieder der RCD – nicht alle – Kompetenzen und Erfahrungen in ihren jeweiligen Bereichen haben. Sie kennen das System von innen, und Tunesien braucht diese Menschen, um das alte System noch schneller abzuschaffen – auch wenn es ohnehin immer mehr in sich zusammenfällt."
Während in Tunesien noch unklar ist, in welche Richtung sich die Republik nun dauerhaft entwickelt, träumen einige schon von einer Demokratisierung der ganzen Region:
"In einigen Jahren, Inshallah, Monaten, werden wir hier die Revolution der Ägypter kommentieren, danach die der Jemeniten und dann werden die Jordanier an der Reihe sein. In ein paar Jahren (sagen wir einem Jahrzehnt) wird die arabische Welt – mit Palästina natürlich – die neue Welt sein, wo jeder leben möchte, weil es nach Jasmin riecht, nach Freiheit, nach Reinheit und nach Wohlstand."
Weitgehend einig sind sich die Internetaktivisten in der Enttäuschung über den Westen. Vor allem die frühere Kolonialmacht Frankreich hat mit ihrer Treue zu Präsident Ben Ali viel Kredit verspielt. Mohedine Bejaoui hat dazu auf der Blogger-Plattform Nawaat.org einen Beitrag veröffentlicht:
"Eine der schlimmsten Diktaturen ist gerade gefallen, in Tunesien, dem "ruhigen Land" – wie es in der Tourismus-Werbung heißt. "Arbeit, Freiheit, Würde" – das ist das Motto, das während der Demonstrationen gerufen wurde. Sie wurden begleitet von der komplizenhaften Stille der französischen Regierung, deren Außenministerin Alliot-Marie dem Regime angeboten hat, bei der Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung zu helfen. Die Geschichte wird festhalten, dass die französische Regierung einen blinden, tauben und korrupten Diktator unterstützt hat wie der Galgen den Erhängten. Der Diktator hat 23 Jahre lang geherrscht, um seine Familie und seine Freunde reich zu machen.
Herr Sarkozy, Sie haben das gewusst!"
Emotionale Plädoyers wie dieses verfasst Slim Amamou derzeit nicht. Den Neustart der französischen Diplomatie kann er nun aus der Nähe beobachten. Doch so nüchtern seine Kurz-Botschaften auch geschrieben sind: wenn er aus der Kabinettssitzung twittert, dass Frankreich, Deutschland und die Schweiz das Vermögen des Ben-Ali-Clans einfrieren wollen, darf man sich die Genugtuung in seinem Gesichtsausdruck schon mitdenken. Ohnehin ist das Politik-Experiment des Bloggers nicht auf Dauer angelegt, wie er sagt. Doch wann er zurücktrete, entscheide er selbst – verkündete er seinen Kritikern - via Twitter.
Slim Amamou zählt zu den bekanntesten Bloggern im tunesischen Netz. Sein Twitter-Account und das Blog des Consulting-Unternehmers waren lange zensiert. Dem Regime galt er als so gefährlich, dass der 33-Jährige nach Beginn der Unruhen verhaftet wurde. Er soll eine Hacker-Gruppe unterstützt haben, die Websites der tunesischen Ministerien, der Börse und der Nationalbank attackiert hatte. Aus Protest gegen die Pressezensur.
Doch Slim Amamou hatte Glück – kam aus dem Gefängnis frei, nachdem Präsident Ben Ali vor einer Woche Pressefreiheit und das Ende der Internet-Zensur angekündigt hatte und kurze Zeit später aus Tunesien flüchtete. Für Slim Amamou ging es aus der Gefängniszelle fast direkt an den Kabinettstisch. Eine halbe Stunde vor Bekanntgabe der Übergangsregierung bekam er per Telefon das Angebot, Staatssekretär für Jugend und Sport zu werden:
""Das war die einzige Entscheidung, die ich treffen konnte, um beim Aufbau des Landes zu helfen. Daher war das eine einfache Entscheidung. Ich soll den Präsidenten und meinen Minister in allen Fragen, die die Jugend und den Sport betreffen, beraten. Wenn man bedenkt, dass der größte Teil der Jugend an dieser - sagen wir: 'Revolution’- teilgenommen hat, auch im Internet, hat die Regierung eine gute Wahl getroffen.”"
Auch als Regierungsvertreter ist Amamou im Netz weiter aktiv. Dutzende Twitter-Nachrichten verschickt der Staatssekretär jeden Tag – sein Account-Foto, auf dem er in T-Shirt und mit kurz geschorenen Haaren sehr ernst in die Kamera schaut, ist weit über die Grenzen Tunesiens bekannt. Über Twitter beantwortet Amamou auch die Fragen seiner Unterstützer. Regierungspolitik – nicht immer ernst gemeint -verpackt in maximal 140 Zeichen:
"Ich wusste gar nicht, wo das Ministerium überhaupt ist. Ich habe dann einen Passanten gefragt, der mich dann bis zur Tür begleitet hat",
schreibt er dort zum Beispiel oder:
"Ich mag den Justizminister. Ich werde auch eine Krawatte tragen, um ihm eine Freude zu machen."
und, einige Stunden später:
"Ich genieße es, dem Justizminister zuzuhören, wenn er einen Haftbefehl vorliest, der mit dem Namen Ben Ali beginnt."
Twitter, Facebook und Blogs – das Internet fungiert als Motor der tunesischen Revolution.
Schon die Nachricht des tunesischen Jugendaufstands verbreitete sich zunächst über das Netz, nachdem das Staatsfernsehen Bilder der Demonstrationen unterdrückt hatte. Über die sozialen Netzwerke konnten sich die mehr als zwei Millionen tunesischen Facebook-Nutzer und Twitter-User auf dem Laufenden halten. Auch Videos von den Protesten wurden auf diese Weise ausgetauscht, um die Internetzensur zu umgehen - das Regime hatte die Videoplattformen schon vor Jahren sperren lassen. Zudem dienten Twitter und Facebook dazu, Nachrichten über Verletzte und Tote zu verbreiten, Bürgerwehren zu organisieren oder Aufrufe zur Gewaltlosigkeit zu veröffentlichen.
Ist also der Umsturz in Tunesien die erste Internet- oder Twitter-Revolution, wie zahlreiche Medien spekulieren? Der bloggende Neupolitiker Amamou ist skeptisch:
""Ich weiß nicht, ob man das als Internet-Revolution bezeichnen kann. Das ist nur eine Seite der Medaille. Es gab ein Netzelement – wenn man sich die Umstände anschaut, ohne andere Medien ist das ein wichtiger Teil der Kommunikation. Man kann Leute nicht mobilisieren, ohne zu kommunizieren, ohne Informationen. Das Internet hat also eine große Rolle gespielt, aber am Ende haben die Menschen auf der Straße den Regierungswechsel bewirkt.”"
Doch klar ist auch: Viele Tunesier sind durch die jüngsten Ereignisse mutiger geworden und trauen sich mit Forderungen an die Öffentlichkeit. Ein Sammelbecken für politische Ideen ist das oppositionelle Blogger-Portal Nawaat.org. Dass mit Slim Amamou ausgerechnet einer der ihren jetzt in einer Regierung mit dem Übergangspremier Mohammed Ghannouchi sitzt, der dem verhassten Ben Ali lange treu gedient hat, sorgt hier durchaus für Empörung. Auch die Tatsache, dass die Übergangsregierung immer noch von Mitgliedern der Ben-Ali-Partei RCD dominiert ist, macht viele wütend. Doch kann der Neuaufbau des Landes ganz ohne die alten Eliten funktionieren? Ein Blogger mahnt zu Realismus:
"Natürlich gibt es bei der RCD viele Opportunisten. Menschen, die dabei sind, um ihre Karriere zu fördern, ihr Geschäft, ihren Aufstieg in der lokalen Verwaltung usw. Und es ist offensichtlich, dass der Beitritt zur RCD ein Katzbuckeln ist und man sich damit zum Mitwisser macht: von Folter, Erpressung und institutionalisierter Korruption und von ungerechtfertigten Verhaftungen. Aber man muss auch akzeptieren, dass einige Mitglieder der RCD – nicht alle – Kompetenzen und Erfahrungen in ihren jeweiligen Bereichen haben. Sie kennen das System von innen, und Tunesien braucht diese Menschen, um das alte System noch schneller abzuschaffen – auch wenn es ohnehin immer mehr in sich zusammenfällt."
Während in Tunesien noch unklar ist, in welche Richtung sich die Republik nun dauerhaft entwickelt, träumen einige schon von einer Demokratisierung der ganzen Region:
"In einigen Jahren, Inshallah, Monaten, werden wir hier die Revolution der Ägypter kommentieren, danach die der Jemeniten und dann werden die Jordanier an der Reihe sein. In ein paar Jahren (sagen wir einem Jahrzehnt) wird die arabische Welt – mit Palästina natürlich – die neue Welt sein, wo jeder leben möchte, weil es nach Jasmin riecht, nach Freiheit, nach Reinheit und nach Wohlstand."
Weitgehend einig sind sich die Internetaktivisten in der Enttäuschung über den Westen. Vor allem die frühere Kolonialmacht Frankreich hat mit ihrer Treue zu Präsident Ben Ali viel Kredit verspielt. Mohedine Bejaoui hat dazu auf der Blogger-Plattform Nawaat.org einen Beitrag veröffentlicht:
"Eine der schlimmsten Diktaturen ist gerade gefallen, in Tunesien, dem "ruhigen Land" – wie es in der Tourismus-Werbung heißt. "Arbeit, Freiheit, Würde" – das ist das Motto, das während der Demonstrationen gerufen wurde. Sie wurden begleitet von der komplizenhaften Stille der französischen Regierung, deren Außenministerin Alliot-Marie dem Regime angeboten hat, bei der Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung zu helfen. Die Geschichte wird festhalten, dass die französische Regierung einen blinden, tauben und korrupten Diktator unterstützt hat wie der Galgen den Erhängten. Der Diktator hat 23 Jahre lang geherrscht, um seine Familie und seine Freunde reich zu machen.
Herr Sarkozy, Sie haben das gewusst!"
Emotionale Plädoyers wie dieses verfasst Slim Amamou derzeit nicht. Den Neustart der französischen Diplomatie kann er nun aus der Nähe beobachten. Doch so nüchtern seine Kurz-Botschaften auch geschrieben sind: wenn er aus der Kabinettssitzung twittert, dass Frankreich, Deutschland und die Schweiz das Vermögen des Ben-Ali-Clans einfrieren wollen, darf man sich die Genugtuung in seinem Gesichtsausdruck schon mitdenken. Ohnehin ist das Politik-Experiment des Bloggers nicht auf Dauer angelegt, wie er sagt. Doch wann er zurücktrete, entscheide er selbst – verkündete er seinen Kritikern - via Twitter.