Es gibt in der Kunstgeschichte diese Momente, in denen wirklich etwas passiert. New York, Downtown, 1960er-Jahre. Carolee Schneemann probiert sich aus, als Malerin - wilde Bilder zwischen Figuration und abstraktem Expressionismus. Irgendwann klebt sie Pinsel, Tonbänder und Eierschalen auf die Leinwand, zerschneidet ein Landschaftsbild und macht eine Skulptur daraus.
Irgendwann montiert sie ein Bild auf eine Töpferscheibe, damit es beweglich wird. Mehr Physis! Das ist die Botschaft. Schließlich setzt Schneemann ihre kleinen Assemblagen und Materialkästen in Brand, in denen sie Glas, Spiegel, Fotos drapiert hatte. Alles schmilzt. Diese ganz andere Energie-Wende ist in Frankfurt gleich im ersten Saal zu sehen, und die Künstlerin führt uns nun in wenigen Sätzen vor, wie kurz der Weg vom Körper zur Politik ist, von der persönlichen Revolte nach Vietnam.
"Ich achte auf Bewegungen. Die Bewegung in meinem Körper, die Bewegung außerhalb. In der Landschaft. Die Züge und Autos. Die Tiere. Die Bomben und Explosionen - die Bewegung ist der Schlüssel zu allem, was mich interessiert." Es ist seltsam, dieser zerbrechlich wirkenden alten Frau gegenüberzusitzen, die früher eine unfassbare Schönheit war. Klar, der männliche Blick. Aber ihr Aussehen hat ihr geholfen, für die Sache der Frauen und eine befreite Sexualität zu kämpfen.
"Ich achte auf Bewegungen. Die Bewegung in meinem Körper, die Bewegung außerhalb. In der Landschaft. Die Züge und Autos. Die Tiere. Die Bomben und Explosionen - die Bewegung ist der Schlüssel zu allem, was mich interessiert." Es ist seltsam, dieser zerbrechlich wirkenden alten Frau gegenüberzusitzen, die früher eine unfassbare Schönheit war. Klar, der männliche Blick. Aber ihr Aussehen hat ihr geholfen, für die Sache der Frauen und eine befreite Sexualität zu kämpfen.
Dass Frauen nicht nur ihre Lust, sondern auch den Blick auf den weiblichen Körper nun selber steuern wollten, wird schon an der frühen Foto-Serie "Eye - Body" deutlich: Schneemann räkelt sich im Atelier als Eva mit der Schlange, ein archaisch beschmiertes Pin-up. Dann wird der Körper zum Instrument, Zeichnen unter erschwerten Bedingungen: Die Künstlerin hängt nackt in einem Geschirr, in einem vollständig mit Papier ausgekleideten Raum, und ihre Bewegungs-Spuren erzeugen das abstrakte Bild. Kinetische Malerei. Unheimlich schön.
Vieles von frühen Perfomances ist nun als Filminstallation zu sehen
Natürlich haben andere Künstler Ähnliches getan, Yves Klein etwa mit seinen Anthropometrien; aber vor allem haben Frauen ihren Körper als Werkzeug eingesetzt. Schneemann steht da am Anfang einer Reihe, die von Ana Mendieta über Cindy Sherman und Marina Abramovic bis zu Tracy Emin führt. Aber die archaische Radikalität von Schneemanns frühen Performances ist für diese Zeit schon erstaunlich - vieles ist nun als Filminstallation zu sehen.
"Meat Joy", "fleischliches Vergnügen" von 1964, eine choreographierte Orgie, wirkt heute wie eine Mischung aus Hippie-Gehopse und Sodom und Gomorrha, eine farbbeschmierte Laokoon-Gruppe mit emanzipativen Absichten.
Noch beeindruckender die nur fotografisch dokumentierte Solo-Performance "Interior Scroll", bei der die nackt auf einem Tisch tanzende Schneemann sich eine lange Schriftrolle aus der Vagina zog und feministische Texte rezitierte. Der Körper ist ein Gedächtnisträger. Aber dieses Spiel zwischen Tampon und Tora-Rolle, zwischen High and Low, das ist eben nicht jedermanns Sache.
Man wird Schneemann nicht gerecht, wenn man sie auf Körper-Aktionen reduziert
"Fuses", der Film, in dem Schneemann sich beim Sex mit ihrem Lebensgefährten zeigt, sorgte beim Filmfestival in Cannes für einen Eklat. "Ein Teil des männlichen Publikums flippte völlig aus, holte Messer heraus und schlitzte die Kinosessel auf. Ich hatte da schon etwas Angst - aber ich stand neben Susan Sontag und fragte sie: 'Verstehst du, was hier los ist?' Und sie sagte: 'Deine Arbeit ist nicht pornographisch genug, deshalb sind sie so wütend und enttäuscht…'
In der Tat hatte Schneemann keinen Porno gedreht, eher ein gestisches Verständigungs-Spiel. Man wird Schneemann auch nicht gerecht, wenn man sie auf die Körper-Aktionen reduziert. In ihrem Spätwerk kreisen nämlich, motorgetrieben, vorsintflutlich anmutende Knochen umeinander, und an den Wänden kleben Todesanzeigen.
The Party is over: Carolee Schneemann war Teil eines künstlerischen Selbstbefreiungs-Projekts, das die New Yorker Szene in den 1960err Jahren aufführte, irgendwo zwischen Wilhelm Reich und Yoko Ono. Diese Ausstellung ist voller Energie - schön, dass Carolee Schneemann jetzt die Anerkennung erfährt, die sie verdient.