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Performance von Florentina Holzinger
Der Körper an der Schmerzgrenze

Radikaler Witz und körperlich an die Grenze gehender Einsatz: Mit ihren Performances erlangte Florentina Holzinger internationale Beachtung. In Wien steht wieder der weibliche Körper im Zentrum - zwischen Mythos, Spektakel und der Frage nach Bedeutung.

Von Paul Lohberger |
Florentina Holzinger TANZ
Schmerz- und Schockgrenze: Die Künstlerin Florentina Holzinger in "TANZ" in Wien (Eva Wuerdinger )
Ein Werbebild im Internet zeigt eine Frau mit einer riesigen Vulva am Rücken. Darüber steht "TANZ", die Frau ist Florentina Holzinger. Für den öffentlichen Raum gibt es weniger explizite Plakate, da ist nur eine Brust zu sehen, während die Künstlerin einem direkt entgegenblickt. Am Beginn der Aufführung von "TANZ" unterrichtet jedoch eine fast 80-Jährige eine kleine Ballettklasse, lauter sehr verschiedene Typen junger Frauen, darunter auch die 1983 geborene Florentina Holzinger.
"Meister, Music please!"
In den Anweisungen der Lehrerin kommt die Philosophie von Ballett zum Ausdruck, doch ihre Phrasen wirken hintersinnig. Die alte Dame ist nackt und fordert auch die Schülerinnen auf, sich auszuziehen. Bühnenfigur und reale Personen verschwimmen bei Trixie Cordua: "Ich habe viel nackt gemacht, und als ich das erste Mal hier auf die Bühne kam und Balletttraining nackt gegeben hab, das war gar nicht einfach, aber das ist ja auch das Wichtige, dass man Dinge verschiebt."
Der Körper in Resistance
Um 1970 tanzte Trixie Cordua als nackte Prima Ballerina neu adaptierte Klassiker. 2019 ist sie die Protagonistin von "TANZ". In dieser zeitgenössischen Tanzperformance widmet sich Grenzgängerin Florentina Holzinger dem Ballett.
"Weil es um Kultivierung des Körpers geht in höchstem Maße und um Disziplinierung und eben darum: nicht den Körper natürlich machen lassen, was sich gut anfühlt, sondern ihn eben wirklich in eine Form reinzupassen. Und natürlich kann man das kritisch betrachten und so weiter, aber für mich ist es eben ein Resistance Training, der Körper in Resistance, und von daher ist es eigentlich auch was Cooles."
Natur, Schönheit und Zwang sorgen für Spannung. Parallel zur seltsamen Ballettstunde schminkt sich im Hintergrund der Bühne eine Frau, am Beginn hat eine andere staubgesaugt. Diese komische Hexe ist später slapstickartig auf einem Besen geritten und damit hinter der Bühne verunfallt. Inzwischen entwickelt sich der disziplinierte Tanzunterricht zum seltsamen Ritual, das eine Darstellerin auf der Bühne mit einer Kamera begleitet. Ihre Close-ups erscheinen live auf Bildschirmen links und rechts. Weil die Schülerinnen so toll sind, gerät die Lehrerin in Ekstase, so sehr, dass sie einer ins Bein beißt.
Gemeinsamkeit von Porno, Komödie und Ballett
Das Programm "TANZ" steht am Ende einer Trilogie "Über den Körper als Spektakel und dessen Disziplinierung", wie es im Text heißt, das schließt die Art der Darstellung ein. Neben Ballett hatten Florentina Holzinger und ihre Kolleginnen weitere Bezugspunkte. "Was wir so eine Gemeinsamkeit finden von Porno, Komödie und Ballett, ist, dass sie erstens auf absurde Weise überstilisiert sind, und zweitens, dass sich die Charaktere nicht entwickeln, die Hexe bleibt immer die Hexe und ist immer böse, und die Prinzessin bliebt die arme Prinzessin, und die kann sich auch nicht entwickeln."
Die Dynamik der Erzählung muss also von außen kommen, durch neue Figuren, einen Wechsel der Szenerie oder eine Bedrohung. Das kommt Florentina Holzingers Faible für Action- und Horrorfilme entgegen. Die Ballettklasse findet sich in einer Zauberwelt wieder. Sie lernt die Kunst des Fliegens, als Hexen oder Feen, wird jedoch von einem Wolf bedroht, der blutige Pornos dreht und Gliedmaßen abbeißen will. Hochziehen am Seil und Schwebestunts sind aber auch real gefährlich. Florentina Holzinger: "Die erste Idee war, Ballett und Stunting zusammenzubringen. Denn Ballett beschäftigt sich mit Schwerelosigkeit, mit der Illusion, den Körper vom Boden wegzubewegen – ja, das sind diese Feenwesen, und 'what comes up, must come down', deswegen das Stunting. Weil diese Körper, die sich schulen darin, vom Boden abzuheben, die müssen sich auch schulen darin, wie es ist, auf dem Boden aufzuclashen sozusagen."
Agitation im Nacktkostüm
Tatsächlich ist Florentina Holzinger ja schon auf der Bühne verunglückt. Dennoch fliegen in einer irrwitzig choreographierten Szene des aktuellen Stückes die Performerinnen an Seilen durcheinander, sie fallen und schlagen auf. Andererseits unterbricht Florentina Holzinger die Handlung, um mit dem Publikum einen Mental-Trick durchzuspielen. Im Nacktkostüm agiert sie ebenso direkt, wie sie von den großen Plakaten schaut - als Gesicht der zeitgenössischen Tanzperformance.
Wenn die muskulöse kleine Frau wie in Zeitlupe an einem schwebenden Motorrad ohne Motor turnt, verwandelt sie Klischees in schräge Poesie. Trash und Pop inspirieren Florentina Holzinger, doch ihr genügt die Popularität innerhalb ihres Genres. "Ich mein, ich bleib' halt dort in der Nische, wo ich die Mittel bekommt, dafür dass ich machen kann, was ich umsetzen will."
In diesem Sinne bietet Florentina Holzinger progressive Unterhaltung für aufgeschlossene Geister. Zu jedem Zeitpunkt gibt es Spektakel wie kulturelle Referenzen, das Publikum kann wählen zwischen Reflexion und Sensation.